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"Der Wolf hatte das Spiel verloren"

Sebastian Wolfrum
  • Do, 03. November 2016
    Kreis Breisgau-Hochschwarzwald

BZ-INTERVIEW mit der Kulturanthropologin Margret Hansen über das schlechte Image des Raubtieres / Ausstellung auf dem Feldberg.

Margret Hansen  | Foto: Privat
Margret Hansen Foto: Privat

BREISGAU-HOCHSCHWARZWALD. Der Wolf kommt zurück in den Schwarzwald – das ist wohl nur eine Frage der Zeit. Viele Menschen haben bei der Vorstellung ein mulmiges Gefühl, obwohl sie wohl nie eines der Tiere zu Gesicht bekommen werden. Die Geschichte vom "bösen Wolf" steckt tief im kollektiven Bewusstsein. Aber woher kommt der schlechte Ruf des Tieres? Sebastian Wolfrum hat mit Margret Hansen gesprochen, die eine Ausstellung über den Mythos Wolf mitkonzipiert hat, die derzeit im Haus der Natur in Feldberg zu sehen ist.

BZ: Beim Thema Wolf hat man sofort den "bösen Wolf" im Kopf, der kleine Mädchen mit roter Kappe fressen will. Braucht das Tier eine Imagekampagne?
Hansen: Die Ausstellung ist nicht als Imagekampagne zu verstehen, sondern will über den Wolf aufklären. Im Schwarzwald wurden die letzten Wölfe vor etwa 150 Jahren erlegt. Seitdem ist unsere Erfahrung mit freilebenden Wölfen abgerissen. Das diffuse Unbehagen, das die meisten von uns beschleicht, wenn wir an Wölfe denken, hat etwas mit alten Geschichten zu tun, die aber bis in die Gegenwart wirken.

BZ: Woher kommt denn das Bild, das wir heute vom Wolf haben?
Hansen: Kaum ein anderes Tier ist allein durch die Sprache so in unserem Bewusstsein präsent wie der Wolf. Man denke nur an die vielen Redensarten, Metaphern, Buch- oder Filmtitel, in denen der Wolf vorkommt. Nach dem großen Börsencrash drehte Martin Scorsese einen Film mit dem Titel "Wolf of Wallstreet", der ab Ende 2013 auch bei uns flächendeckend in den Kinos lief. Der Vergleich des Börsenmaklers mit einem Wolf war sicher auch nicht schmeichelhaft gemeint. Interessant ist ja auch, dass Märchen wie "Der Wolf und die sieben Geißlein" oder "Rotkäppchen" von den Brüdern Grimm erst aufgeschrieben und verbreitet wurden, als die Wölfe im Prinzip längst überall ausgerottet waren. Der Wolf hatte das Spiel verloren, nicht der Mensch.

BZ: Hatte der Wolf schon immer einen schlechten Ruf?
Hansen: Leider reichen unsere Geschichtsquellen nicht in die Zeit zurück, als Menschen und Wölfe beide eine ähnliche Lebensform und ein ähnliches Beutespektrum hatten. Aber die Tatsache, dass der Wolf als Hund das erste domestizierte Tier überhaupt war, zeigt ja auch, dass es offensichtlich nicht immer schon nur Feindschaft zwischen Mensch und Wolf gab. Heute nimmt man an, dass Menschen und Wölfe vor der Sesshaftwerdung des Menschen zumindest halbwegs friedlich in den gleichen Gebieten gelebt und gejagt haben. Einige Forscher vermuten, dass der Mensch sich möglicherweise auch Jagdtechniken von Wölfen abgeschaut hat und die ersten Hunde dann als Jagdhelfer gedient haben.

BZ: Und irgendwann ist das Verhältnis gekippt?
Hansen: Heute geht man davon aus, dass das passiert ist, als der Mensch sesshaft wurde und begann, Ackerbau zu treiben und Nutztiere zu halten. Man kann sich leicht denken, dass zahme Schafe oder Ziegen für die Wölfe leichtere Beute waren als Rehe oder Wildschweine. Ab da begann der Mensch, Lebensraum zu kultivieren und in Besitz zu nehmen. Erstmals entstanden Grenzen zwischen dem, was wir heute als Kulturlandschaft und Wildnis voneinander unterscheiden. Und nach und nach wurden aus Wölfen und anderen Gefährdern der Haustiere "Raubtiere", die es auszurotten galt.

BZ: Zeigt sich das auch an neuen Geschichten und Mythen?

Hansen: In etlichen Mythen wie zum Beispiel in der altnordischen Edda wird der Wolf daher dämonisiert. Im Zuge der Hexenverfolgungen des Mittelalters wird der Wolf als Werwolf denunziert. Erst die im 19. Jahrhundert langsam einsetzende Naturschutzbewegung hat dafür gesorgt, dass wir heute möglichst von Beutegreifern sprechen.

BZ: Es gibt aber auch andere Erzählungen vom Wolf, als die des bösen Tieres.
Hansen: Die gibt’s durchaus, sind aber seltener. Verschiedenste Kulturen haben den Wolf auch verehrt. Bei den positiven Mythen stand er dann meist für Attribute wie Kraft und Stärke, mit denen sich insbesondere Krieger oder Helden schmücken wollten. Diese Verehrung zeigt sich auch Vornamen wie etwa Wolfgang, Wolfdietrich oder Wolfram. Romulus und Remus, die als Gründer Roms gelten, waren angeblich Söhne des Kriegsgottes Mars. Der Mythos besagt, dass sie von einer Wölfin aufgezogen worden seien. Sie galt als Symbol mütterlicher Fürsorge und wird noch heute verehrt. Tatsächlich leben Wölfe ja ähnlich wie Mensch in Familienverbänden.

BZ: Auch im Nationalsozialismus wurde ein anderes Bild vom Wolf gezeichnet als in den gängigen Märchenbüchern. Hitlers Hauptquartier war die Wolfsschanze, Freischärler nannten sich Werwölfe – hier schien der Wolf für Stärke zu stehen.
Hansen: Ja, stark schon, aber vor allem auch grausam. Es geht ja auch in den positiven Mythen meist um kriegerische Fähigkeiten, die man dem Wolf zuschreibt. Also auch um Mut und Tapferkeit. Aber ich nehme an, dass man sich gerade der Ambivalenz bedienen wollte. Im Dritten Reich wollte man vor allem Angst verbreiten und hat bei der Namenswahl eben gerade auch das Unheimliche und Böse mit im Blick gehabt, das beim Wolf mitschwingt.

BZ: Neben den Skeptikern gibt es ja auch viele Befürworter einer Rückkehr des Wolfes. Aber kalt lässt das Tier keinen. Können Sie die Faszination erklären?
Hansen: Ich glaube, es ist genau diese Ambivalenz, die fasziniert. Wölfe sind uns ja in der Lebensweise ähnlich. Und es scheint kein Zufall zu sein, dass der Wolf als Kulturfolger der Menschen zum ersten domestizierten Tier wurde. Gleichzeitig begann man, die Wildform dann nach und nach auszurotten. Das spiegelt im Prinzip das Dilemma der gesamten Menschheitsgeschichte wieder. Unser heutiger Wildnishype, wenn ich das mal so nennen darf, ist eine Fortsetzung romantischer Strömungen. Und Romantik thematisiert den Verlust des sogenannten Wilden und Ursprünglichen. Dazu gehört auch der Wolf. Und mit ihm die Wolfsromantik. In meinen Augen schadet eine solch verklärte Sicht dem Wolf aber eher, als sie ihm nützt. Unsere Ausstellung will sich dafür einsetzen, dass Mensch und Wolf miteinander in der Kulturlandschaft leben. Wölfe brauchen keine Wildnis. Was sie brauchen, ist ein definierter und regulierter Schutzstatus.

BZ: Nun sind es ja nicht nur Menschen, die sich irgendwie unwohl fühlen, bei dem Gedanken an den Wolf. Es gibt Landwirte, die sich Sorgen um ihre Tiere machen. Sind die nicht berechtigt?
Hansen: Die Sorgen sind zum Teil durchaus berechtigt. So befürchten Schaf- und Ziegenhalter im Schwarzwald, dass sie ihre kleinen Herden nicht ausreichend schützen können. Die relativ guten Erfahrungen in der Lausitz, wo sich die ersten Wolfsrudel in Deutschland etablierten, lassen sich nicht ohne Weiteres übertragen. Dort ist es flach, und man kann elektrische Schutzzäune und Herdenschutzhunde einsetzen. Für die Nebenerwerbsbauern im Schwarzwald wäre ein solcher Aufwand zu groß, und sie müssten vermutlich die Tierhaltung aufgeben. Das wünscht sich aber auch niemand, da die Tiere die Landschaft offen halten. Ein echtes Dilemma. Dass sich Lösungen finden lassen, sieht man in der Schweiz. Aber es werden fast immer individuelle Lösungen sein. Allerdings zeigt ein Blick in die Geschichte der Beziehung zwischen Mensch und Wolf, dass immer polarisiert wurde. Der Wolf wurde immer instrumentalisiert, wenn es um Interessenkonflikte ging. Das ist bei manchen Akteuren auch heute noch so, und der Wolf ist dann wieder der Leidtragende.

BZ: Förster berichten von hohen Schäden, da es immer mehr Rehe und Wildschweine gibt. Würde dem Wald ein Raubtier nicht gut tun?
Hansen: Der Naturverjüngung im Wald schadet eine zu hohe Zahl an Rehen definitiv. Rehe und Wildschweine müssen durch regelmäßige Bejagung auf einem vertretbaren Stand gehalten werden. Da könnte der Wolf gute Dienste leisten. Aber manche Jäger sehen in ihm immer noch den Jagdkonkurrenten. Das sind aber bei weitem nicht alle, und es findet auch in der Jägerschaft ein Umdenken statt. Die alte Sichtweise hat wiederum historische Wurzeln. In alter Zeit hatte nur der Adel Jagdrecht, und die Bauern waren zur Wolfsfron, das heißt zur Wolfsjagd verpflichtet. Ebenso wie der Adel hat die im 19. Jahrhundert aufkommende bürgerliche Jagd den Wolf als Konkurrenten betrachtet.

"Dann ist der Wolf

der Leidtragende"

BZ: Ist die Ausstellung denn eine Imagekampagne für den Wolf?
Hansen: Nein, nicht im eigentlichen Sinn. Sie will möglichst wertfrei aufklären. Deshalb befasst sich auch etwa ein Drittel der Ausstellung mit der Geschichte der Beziehung zwischen Wolf und Mensch. Im zweiten Teil geht es um die Lebensweise. Also um das, was man heute über frei lebende Wölfe in Europa weiß. Und im dritten Teil zeigen wir, woher man das alles weiß, also wie man das Verhalten und die Lebensweise von Wölfen erforscht. Der Kreis zum historischen Teil schließt sich beim sogenannten Wolfsmanagement. Denn hier geht es darum, wie mit den auch heute wie früher bestehenden Interessenkonflikten so umgegangen werden kann, dass diese Konflikte nicht wieder auf dem Rücken der Wölfe ausgetragen werden.

Info: Die Ausstellung "Und wenn der Wolf kommt? Alte Mythen und neue Erfahrungen" ist noch bis Ende dieses Jahres im Haus der Natur auf dem Feldberg und danach an anderen Orten zu sehen. Geöffnet ist sie Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr, der Eintritt ist frei. Die Ausstellung entstand unter Federführung des Waldhauses in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren: Wildtierökologen der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) und Wildwege e. V., dem Naturpark Südschwarzwald, dem WWF und Forst BW. Die Inhalte wurden darüber hinaus mit der AG Luchs und Wolf abgestimmt.

ZUR PERSON: Margret Hansen

Margret Hansen ist stellvertretende Leiterin des Waldhauses in Freiburg. Die 55-Jährige ist promovierte Kulturanthropologin und Ethnologin und hat bereits in verschiedenen Museen gearbeitet, unter anderem dem Haus der Geschichte in Bonn. Bei der Wanderausstellung, die auch in Freiburg zu sehen war, war sie Projektleiterin.

Ressort: Kreis Breisgau-Hochschwarzwald

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