Humanitäre Krise
Nach Blockade: Größere Hilfslieferungen erreichen Gaza
Viele Menschen im abgeriegelten Küstenstreifen leiden Hunger. Seit März lässt Israel nur wenig humanitäre Hilfe durch. Weltweit sorgt das für massive Kritik. Kommt es nun zur Kehrtwende?
Lars Nicolaysen und Gregor Mayer (dpa)
So, 27. Jul 2025, 18:44 Uhr
Politik Ausland
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Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa).
Die BZ-Redaktion hat diese Meldung nicht redaktionell bearbeitet.
Gaza/Tel Aviv (dpa) - Nach einer monatelangen faktischen Blockade durch Israel haben erstmals wieder größere Hilfslieferungen den Gazastreifen erreicht. Am Sonntag fuhr eine Kolonne von rund 100 Lastwagen mit Gütern für die notleidende Bevölkerung über den israelischen Grenzübergang Kerem Schalom in das großflächig zerstörte Küstengebiet, wie Quellen dort bestätigten.
Die Waren – Lebensmittel, Medikamente, Baby-Nahrung - werden dringend benötigt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte zuletzt vor einer tödlichen Hungerkrise unter den rund zwei Millionen Bewohnern des Gazastreifens. Fotos aus dem abgeriegelten Gebiet, in dem Israel Krieg gegen die islamistische Hamas führt, zeigten Kleinkinder in den Krankenhäusern, die nur noch Haut und Knochen waren.
Nach Angaben des von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums starben bereits mehr als 100 Menschen an Unterernährung, 80 Prozent von ihnen Kinder. Israel bestreitet, dass es im Gazastreifen eine Hungerkatastrophe gebe und spricht stattdessen von einer "Kampagne" der Hamas.
Den UN-Organisationen warf Israel zuletzt immer wieder vor, die Hilfe im Gazastreifen nicht verteilen zu wollen. Diese konterten, dass Israel keine sicheren Transportwege innerhalb des umkämpften Gebiets garantieren wollte. Tatsächlich gelangte seit Ende März, als Israel eine damalige Waffenruhe beendete, nur sehr wenig Hilfe zu den Menschen im Gazastreifen.
Kehrtwende nach weltweiter Kritik
Die weltweite Kritik an ihrer Vorgangsweise in dem Palästinensergebiet hat die israelische Führung nun offensichtlich zu einer Kehrtwende bewogen. Überraschend kündigte das Militär in der Nacht zum Sonntag an, bis auf Widerruf jeden Tag von 10.00 bis 20.00 Uhr Ortszeit eine selbst erklärte humanitäre Feuerpause in Teilen des Gazastreifens einzuhalten.
Allein 32 Menschen sollen beim Warten auf humanitäre Hilfe getötet worden sein. Vor allem im Umfeld der Verteilzentren der von Israel und den USA unterstützten Gaza Humanitarian Foundation (GHF) kommt es immer wieder zu tödlichen Zwischenfällen.
Seit Verhängung der faktischen Blockade ließ Israel den Großteil der wenigen Güter, die in den Gazastreifen kamen, durch die GHF verteilen. Dort kam es bei der - von Experten als unsachgemäß kritisierten - Ausgabe der Lebensmittelpakete häufig zu chaotischen Szenen. Israelische Soldaten, die das Umfeld sichern sollten, schossen immer wieder in die Menge der Hilfesuchenden. Nach UN-Angaben sollen auf diese Weise rund 900 Menschen ums Leben gekommen sein.
Auslöser des Gaza-Kriegs war der Überfall der Hamas und anderer islamistischer Terrororganisationen auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Seither sind laut dem Gesundheitsministerium bis zum Sonntag 59.821 Menschen getötet worden. Auch diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen und unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern. Sie werden aber von UN-Organisationen als weitgehend zuverlässig angesehen.
Waffenruhegespräche in der Schwebe
Die indirekten Gespräche über eine 60-tägige Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas gerieten zuletzt in eine Sackgasse. Es seien nun jedoch "wirkliche Bemühungen" im Gange, um sie wieder auf die Schienen zu bringen, zitierte das öffentlich-rechtliche Kan-Radio am Sonntagmorgen namentlich nicht genannte israelische Regierungsvertreter.
Bei den seit Monaten laufenden, sich oft im Kreis drehenden Verhandlungen vermitteln Katar, Ägypten und die USA. Israel und die USA hatten zuletzt ihre Delegationen aus der katarischen Hauptstadt zu "Konsultationen" zurückbeordert. Beide Länder warfen der Hamas vor, durch überzogene Forderungen die Gesprächsgrundlage unterminiert zu haben. Die Hamas bestritt dies.
Die Tageszeitung "Israel Hajom" zitierte am Sonntag einen israelischen Regierungsbeamten mit den Worten, die Gespräche seien "weder kollabiert noch geplatzt". Wann es zu einer Rückkehr an den Verhandlungstisch kommen könnte, blieb aber unklar.
Merz dringt bei Netanjahu auf Einigung
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) telefonierte derweil erneut mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Dabei drang er einem Sprecher zufolge auf eine Verbesserung der humanitären Lage im Gazastreifen. "Der Bundeskanzler brachte seine große Sorge zur katastrophalen humanitären Lage in Gaza zum Ausdruck. Er forderte Premierminister Netanjahu auf, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um umgehend einen Waffenstillstand zu erreichen", teilte Regierungssprecher Stefan Kornelius mit.
Der französische Präsident Emmanuel Macron verwies auf eine an diesem Montag in New York von seinem Land und Saudi-Arabien geplante internationale Konferenz zur Zweistaatenlösung. Dort solle eine neue Dynamik zugunsten einer gerechten und dauerhaften Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts auf der Grundlage der Zweistaatenlösung geschaffen werden. Macron hatte zuvor bereits angekündigt, er werde dort dann die Anerkennung Palästinas als Staat verkünden. Dafür hatte er scharfe Kritik Israels und seines Verbündeten USA auf sich gezogen.
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