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US-Wahlkampf

Nichts ist mehr wie früher

Jens Schmitz
  • Di, 18. Oktober 2016
    Ausland

     

Republikaner, die Trump nicht wählen wollen, und Demokraten, die Clinton nicht wählen wollen – Beobachtungen aus dem wankelmütigen US-Bundesstaat Ohio.

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Die Zufahrt führt durch ein steinernes Portal, schlängelt sich über Brücken und sanfte Hügel in einen Park geschützt gelegener Filet-Grundstücke. Vom 4000-Einwohner-Dorf Sunbury ist nichts mehr zu sehen in dieser privilegierten Anlage. Gepflegter Rasen, Stauden vor der Veranda, ein freistehender Ofen im geräumigen Haus: So wohnt jemand, der es geschafft hat. Der Hausherr hat sein politisches Leben lang republikanisch gewählt, seit Ronald Reagans zweiter Kür 1984. Diesmal schert John Stark allerdings aus: "Sehen Sie Donald Trump doch nur an – hören Sie ihm zu", stöhnt der 50-jährige Unternehmer. "Er ist ein Clown!"

Delaware County inmitten von Ohio ist nicht nur der reichste Bezirk in dem umkämpften US-Bundesstaat. Er ist auch eine Bastion der Republikaner. Wenn Donald Trump am achten November gewinnen will, muss er hier punkten. Doch die Stammwählerschaft schwankt. Und das nicht nur bei den Republikanern. Beide Präsidentschaftskandidaten der großen Parteien sind unbeliebt, Trump ist unberechenbar, und manche demokratische Wähler befinden sich in einer prekären wirtschaftlichen Lage. Das bringt traditionelle politische Muster ins Rutschen. Stark empfängt im Firmen-T-Shirt, er betreibt ein kleines Unternehmen für Terrassen- und Balkonbauten. Ihn erfüllen nicht nur Trumps Tiraden gegen den globalen Handel mit Sorge, ihn ärgern nicht nur dessen Ausfälle gegen Mexikaner, die in den USA jene Jobs machen, die sonst keiner will. "Ich habe keine Ahnung, ob er überhaupt konservativ ist", klagt Stark. Schlanker Staat, niedrige Steuern, weniger Vorschriften? "Trump wird nie konkret."

Hillary Clinton ist allerdings keine Alternative für ihn. "In unserer ländlichen Gegend sind Beziehungen der Schlüssel zum Überleben", sagt er. "Und Clinton hat uns einfach zu oft belogen. Ihre E-Mail-Affäre, das Gemauschel um ihre Stiftung, mutmaßliche Insider-Geschäfte – die Clintons haben ihren Einfluss benutzt, um sich zu bereichern", erklärt Stark. "Ich kann Hillary nicht ausstehen." Dass Menschen wie er trotzdem nicht Trump wählen, verheißt nichts Gutes für die Republikaner. Eigentlich wäre Stark eine leichte Beute. "Ich habe Demokraten nie unterstützt, weil es grundsätzliche Unterschiede zwischen den Philosophien gibt", sagt er. "Und in den vergangenen Jahren hat die Gesundheitsreform meine Abneigung verschärft."

Vor Obamacare, wie das Prestigeprojekt des Präsidenten im Volksmund genannt wird, hatte Stark sich, seine Frau und zwei Söhne für 6000 Dollar im Jahr versichert, erzählt er. "Jetzt bezahlen wir 17 000 Dollar, und die Leistungen sind auch noch schlechter." Stark beschäftigt zehn Mitarbeiter. "Drei davon nehmen an einem Versicherungsplan teil, bei dem ich die Hälfte bezahle. Die meisten sind unversichert und entrichten einfach die dafür vorgesehene Strafe. Es kommt sie billiger."

Für Stark illustriert das kriselnde Programm alles, was bei der Linken schiefläuft; seine Frau Dana (48), zuvor strikt demokratisch, wechselte 2012 zum Republikaner Mitt Romney. "Die Demokraten scheinen zu jedem Problem eine regierungsorientierte Lösung vorzuschlagen", sagt Stark. "Konservative sind nicht herzlos. Aber wir glauben nicht, dass jeder versorgt werden muss. Amerika bietet jedem perfekte Bedingungen, um erfolgreich zu sein."

Stark möchte für Gary Johnson stimmen, den chancenlosen Ex-Gouverneur von New Mexico, der früher Republikaner war und heute für die kleine Partei der Libertarians antritt. Stark weiß, dass seine Entscheidung es Clinton schwerer macht, Trump zu verhindern. "Aber ich kann mir weder den einen noch die andere im Weißen Haus vorstellen. Wir werden einen von beiden abbekommen, und danach muss das Leben weitergehen."

Hillary Clinton kann sich der Stammklientel ihrer Partei auch nicht überall sicher sein. "Wir werden eine Menge Kohleunternehmen und Bergbauarbeiter arbeitslos machen", verkündete sie im März – kein Wunder, dass die Bergarbeitergewerkschaft ihr die Unterstützung verweigert. Das Magazin Newsweek enthüllte vor Kurzem, dass Trump als Bauherr Stahl und Aluminium aus China für einige Großprojekte geordert hat. Entsprechend hält die Stahlarbeitergewerkschaft Clinton offiziell noch die Stange.

Doch an der Basis grummelt es – die Branche beklagt den Verlust von 19 000 Jobs durch Billigimporte, und viele sehen die Ursache dafür in Handelsabkommen, die unter anderem Hillary Clintons Ehemann Bill als Präsident unterschrieben hat.

Trumbull County nördlich der Stahlmetropole Youngstown gehört historisch zu den verlässlichsten Bezirken für die Linken. Die Arbeiter hier haben jahrzehntelang demokratisch gewählt. Aber die alten Loyalitäten bröckeln. "Eine Menge Kollegen sehen sich von Trump besser vertreten", sagt Stahlarbeiter Daniel Edward Moore im 5000-Einwohner-Städtchen Newton Falls.

Keiner der beiden Kandidaten

ist bei den Wählern beliebt

Moore hat 2008 und 2012 für Barack Obama gestimmt, doch heute ist er enttäuscht: "Unsere Mittelschicht ist seit Jahrzehnten im Abstieg", sagt der 57-Jährige. "Die Leute hier brauchten keine Krankenversicherung. Sie brauchten einen Job!"

Im Wahlkampf, sagt Moore, habe Obama versprochen, das nordamerikanische Handelsabkommen Nafta zu prüfen, das in den Neunzigern unter Clinton verabschiedet wurde. Geschehen sei nichts. Nicht nur Moore möchte nun dem Geschäftsmann Trump eine Chance geben. Auch seine Frau Lisa wird diesmal republikanisch stimmen. Die Kinder, die beiden Erstwähler Ashley (20) und Daniel "Danny" Jonathan (21) ebenso. Danny macht an der Youngstown University gerade eine Ausbildung zum Kraftwerksingenieur; er findet Clintons Energiepläne utopisch. Für seine jüngste Hausarbeit über Donald Trumps Pluspunkte hat er eine Eins erhalten – von einem liberalen Professor, wie er betont. Seinem Vater hat er Trumps Bestseller "The Art of the Deal" geschenkt.

Der Senior ist beeindruckt: "Ich bin begeistert, weil Trump die Wahrheit sagt, und das ist das Kennzeichen eines guten Anführers. Ich will jemanden im Weißen Haus, der keine schlechten Handelsabkommen unterschreibt. Als Geschäftsmann versteht Trump die Bedeutung einer starken Mittelschicht. Er wird für Schuldenabbau kämpfen und unsere Gesellschaft auf Produktion ausrichten."

Moore findet nicht nur Trumps Pläne überzeugend, die Körperschaftssteuer zu senken und Strafzölle für Unternehmen einzuführen, die außerhalb des Landes produzieren. "Auch seine außenpolitischen Ansichten sind konsistent", sagt der 57-Jährige. "Obamas Politik scheitert jeden Tag mehr."

Das Stahlwerk in Pennsylvania, in dem Moore arbeitet, gehört zum russischen NLMK-Konzern. Moore hätte nichts dagegen, wenn Trumps vielbeschworene Nähe zu Kreml-Chef Wladimir Putin das Verständnis zwischen den beiden Nationen beförderte. Auch Trumps Kritik an der Nato sei berechtigt, sagt der Air-Force-Veteran, der früher am atomaren Minuteman-Raketensystem arbeitete. "Wir können nicht für alle bezahlen." Dass Trump ehemalige Kriegsgefangene wie den republikanischen Senator John McCain beleidigt hat, darüber sieht Moore hinweg. "So ist Trump halt", sagt er. "Sein Team wird ihn einfangen."

Auch der Junior Danny findet nicht, dass Trump Grenzen überschreitet. Die Bemerkung, dass Immigranten aus Mexiko oft Kriminelle und Vergewaltiger seien, sei nicht falsch und deshalb auch nicht rassistisch. Trumps Aussagen über Frauen ändern an der Unterstützung der Familie ebenfalls nichts.

Mutter Lisa (56) engagiert sich als Spendensammlerin für die Kinderkrebsforschung; sie erklärt: "Ich war mal für Hillary, aber ich vertraue ihr nicht mehr. Manche sagen, dass sie uns an die Saudis verkauft. Ich habe gelesen, dass ihr Mann mit George H. W. Bush Drogen ins Land geschmuggelt hat. Und Obama ist ein Muslim, glaube ich." Sie seufzt. "Washington ist so korrupt! Trump zahlt vielleicht keine Steuern, aber er ist ein Außenseiter."

Danny deutet zwischen den überbordenden Halloween-Dekorationen im Haus auf pastellfarbene Bilder mit Jesus-Darstellungen und Mariengestalten. "Wir sind katholisch, wie Sie vermutlich sehen können." Clinton kämpft für das Selbstbestimmungsrecht der Frau beim Thema Abtreibung; das macht es den Moores zusätzlich schwer, für die Demokratin zu stimmen.

"Es gibt keinen allgemeinen Maßstab mehr für die Moral, sondern das soll jetzt jeder für sich selber entscheiden", beobachtet Danny. Die politische Korrektheit der Linken untergrabe das jüdisch-christliche Erbe auch sonst – "die Kultur ändert sich komplett, aber so war Amerika nicht gemeint".

Dass der amtierende Präsident ein Muslim sei, wollen die beiden Männer dann aber doch nicht stehen lassen. "Er hat vielleicht ein paar Sympathien, weil sein Vater Muslim war, aber ich glaube nicht, dass er selbst einer ist", beschwichtigt Daniel Edward. "Ich glaube einfach, dass Clinton wirtschaftliche Entscheidungen treffen würde, die uns noch tiefer in die Misere führen. Deshalb unterstütze ich Trump."

HINTERGRUND

Ohio ist einer der wichtigsten Swing States

So wie Ohio wählt, wählt auch das Land, lautet eine politische Weisheit in den USA. Der Bundesstaat hat seit 1964 zuverlässig für den Sieger der Präsidentschaftswahl gestimmt – seine 11,5 Millionen Einwohner bilden einen vergleichsweise repräsentativen Querschnitt durch die US-Gesamtbevölkerung. Dieser Status ist allerdings bedroht, weil die wachsende Gruppe der Latinos hier nicht so stark vertreten ist wie andernorts. Doch Umfragen aus Ohio wird immer noch eine große Bedeutung zugemessen.

Ohio ist einer der wichtigsten Swing States: ein Wechselwählerstaat, in dem mal die eine, dann die andere Partei die Mehrheit erringt. Die Autoindustrie im Norden hat nach der Finanzkrise von der Rettung durch den aktuellen Präsidenten Barack Obama profitiert. Die Kohleindustrie im Südosten hingegen ist auf die Klimapolitik der Demokraten nicht gut zu sprechen. Die Region um Youngstown im Nordosten hat sich vom Niedergang der einst mächtigen Stahlindustrie noch nicht erholt. Der beliebte republikanische Gouverneur John Kasich ist seit 2011 im Amt, er war im Frühjahr der letzte innerparteiliche Rivale des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump.

Der Bundesstaat Ohio stellt 18 der 538 Wahlleute, die den Präsidenten bestimmen. Beide Parteien kämpfen heftig um den Staat, aber für Donald Trump geht es um mehr: So wie die restlichen Bundesstaaten derzeit aufgestellt sind, kann sich nur Hillary Clinton hier eine Niederlage leisten. Trump hat ohne Ohio keine Chance. Nach Kritik an seinen frauenfeindlichen Äußerungen stellte seine Kampagne an diesem Samstag die Zusammenarbeit mit der Parteiführung in Ohio trotzdem ein. Anfang des Monats hatte Trump in dem Bundesstaat noch bis zu fünf Prozentpunkte Vorsprung auf Hillary Clinton. Inzwischen sehen die meisten Umfragen die Demokratin knapp vorn.

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 18. Oktober 2016: PDF-Version herunterladen

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