"Ökos sind mir lieber als Hipster!"

FUDDER-INTERVIEWmit dem Rapper Retardo, der im Musikvideo "Freiburger Struggle" Freiburg- und Hiphop-Klischees parodiert.  

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fudder, Retardo  | Foto: PR
fudder, Retardo Foto: PR

Als Normalo hat man’s in Freiburg nicht leicht. Wer Atomstrom bezieht, sein Hackfleisch bei Aldi kauft und keine dicke Fahrradkette hat, wird von den hiesigen Ökos übelst gedisst – das behauptet jedenfalls der Rapper Retardo (24) in seinem neuen Musikvideo "Freiburger Struggle". Fudder-Redakteur Manuel Lorenz hat mit ihm unernsthaft-ernsthaft über Freiburg-Klischees und -Wirklichkeiten gesprochen.

Fudder: Retardo, in deinem Videoclip dient dir der Oberlinden-Brunnen als Jacuzzi. Du sitzt darin mit zwei Mädels und chillst. Klischeehafterweise rennen in Freiburg nur – Verzeihung – Öko-Tussis rum: Wo findet man da zwei so heiße Frauen?
Retardo: In der Beat Bar Butzemann – zumindest die eine. Wir haben uns beim Feiern kennen gelernt, sie hat mir ihre Handynummer gegeben, und wir haben uns drei Jahre lang nicht mehr gesehen. Dann hab’ ich sie angerufen und gesagt: Hey, Folgendes: Ich dreh’ ’n Video. Hast du Bock, halbnackt im Oberlinden-Brunnen rumzuturnen? Und sie hat gesagt: Selbstverständlich!
Fudder: Gänzlich unentspannter ergeht es dir in einer anderen Szene: Eine Fahrradfahrer-Gang umzingelt dich, sie prahlt mit ihren dicken Fahrradketten und verteilt mit ihren Fahrradpumpen Schellen – also Ohrfeigen. Hinterlässt so etwas nicht Narben im Gesicht?
Retardo: Ja, tatsächlich. Ich hab’ auch ’ne Narbe, auf der rechten Wangenseite. Da ham’se mich mal erwischt, die Ganoven.
Fudder: Und das ist sicher kein Schmiss einer Freiburger Burschenschaft?
Retardo: Nein. Ich würde niemals lügen.
Freiburg wäre eine bessere Stadt, läge es am Meer

Fudder: Der Fahrradfahrer-Gang gehst du auf den Keks, weil du nicht – Zitat – das "neue, coole Paar Wollsocken" trägst.
Retardo: Ich bin ein Heuchler. Jetzt gerade trage ich ein Paar Wollsocken. Ich hol’ mir jedes neue Paar, das angesagt ist. Dieses hier hat zum Beispiel ein abgesetztes Bündchen mit einem Reliefmuster in verschiedenen Farben.
Fudder: Und Birkenstock-Sandalen und lange Bärte? Die findest du ja auch nicht so cool, obwohl die Hipster sie doch längst legitimiert haben ...
Retardo: Gerade dafür gehören sie noch mal hinterhergebasht! Zuerst kriegen sie eins auf die Mütze, weil sie für Öko stehen, dann noch mal...  Nee, also bitte! Ökos sind mir lieber als Hipster! Hipster sind ja etwas Erfundenes, nichts Echtes. Ökos gibt’s schon seit Ewigkeiten. Die haben mehr kulturelle Berechtigung.
Fudder: Du kaufst Hack bei Aldi...
Retardo: ... ich schäme mich dafür aber auch...
Fudder: ... und wirst dabei fotografiert und an den Online-Pranger gestellt. Ist das typisches Freiburger Verhalten?
Retardo: Dieses Gesnitche? Jetzt muss ich aufpassen, sonst werd’ ich noch mit Lauch ausgepeitscht. So ein Pranger passt natürlich gut zum mittelalterlichen Freiburg. Und dort dann mit fauligem Obst und Gemüse beworfen zu werden. Der Badenser an sich tratscht natürlich gerne und würde es genau so machen, wie ich es in meinem Video dargestellt habe.
Fudder: Warum hast du eigentlich keine Sonnenkollektoren auf dem Dach? In Freiburg bist du dafür ja geschmäht worden.
Retardo: Die waren mir zu teuer. Das ist ja auch dieses Bio-Ding: Der arme Teil unserer Gesellschaft kann sich partout nicht leisten, so cool zu sein wie der Rest.
Fudder: Was für eine Reaktion erwartest du dir von den Freiburger Ökos auf dein Musikvideo?
Retardo: Liebe? Zuneigung? Das ist jedenfalls deren Paradigma. Wenn man so hippiehaft veranlagt ist, hält man die rechte Wange ja gerne noch mal hin. Das erwarte ich mir – damit ich mit der Fahrradpumpe noch ein paar Schellen verteilen kann.
Fudder: Jetzt mal im Ernst: Wäre Freiburg eine bessere Stadt, wenn es all das nicht geben würde?
Retardo: Nein. Ich sag’ dir, wann Freiburg ’ne bessere Stadt wäre – da hab’ ich heut’ erst drüber nachgedacht. Deutschland ist leider falsch herum: Da, wo’s warm ist, gibt es kein Meer, und da, wo’s kalt ist, gibt es welches. Freiburg wäre eine bessere Stadt, läge es am Meer, hätte es einen vernünftigen Fluss oder wenigstens irgendeinen großen See, der nicht ekelhaft ist.
Fudder: Und die Ökos?
Retardo: Sind super. Die gehören dazu. Ist doch alles wunderbar.
Fudder: Wo ist Freiburg am meisten Freiburg?
Retardo: Bei diesem Krokodil beim Gewerbekanal. Ich mag diese Ecke. Da bin ich als Tourist schon ein paar Mal gewesen, bevor ich nach Freiburg gezogen bin. Später bin ich da immer wieder gerne essen gegangen – im Gasthaus zum Rauhen Mann.
Fudder: Wo ist Freiburg am meisten Klischee?
Retardo: Bei dieser komischen Gondelbahn, hoch zum Dingsbums ...
Fudder: ... zum Schlossberg?
Retardo: Nee, nicht das kleine Gammeldings. Die richtige, wenn schon.
Fudder: Die auf den Schauinsland!
Retardo: Genau! Die kleine ist aber auch geil: Die ist typisch Freiburg! Du baust für 20 Meter den Berg hoch noch mal so ’ne Scheißbahn hin für fünf Millionen Euro, die auch noch vier Euro kostet, wenn du sie benutzen willst. Und die ist nicht mal cool! Die hängt nicht mal! Die fährt nur so am Boden entlang! Richtig sinnlos.
Fudder: Du lebst zur Zeit vor allem in Berlin. Wie spricht man in der rauen Hauptstadt über Freiburg?
Retardo: Man bedient sich vieler Klischees, die ich im "Freiburger Struggle" erwähnt habe, und nimmt es nicht so ernst. Es gilt als friedlich, ländlich, lieb und nett. Nicht so Struggle, nicht so hart.
Fudder: Ist es für hiesige Rapper ein Nachteil, dass Freiburg so schön und idyllisch ist?
Retardo: Bestimmt. Und für alles, was als harte Sache ernst genommen werden will. Das sieht man ja schon beim Bundesliga-Fußball. Die Fans zum Beispiel. Ich bin zwar kein Freiburg-, sondern ein Dortmund-Fan, aber im Dreisam-Stadion war ich trotzdem ein paar Mal. Da hab’ ich mit Kumpels so richtig böse rumgepöbelt – für Freiburg, gegen den Gegner. Da meinten die Freiburg-Fans um uns herum: Hey, wir beschimpfen den Gegner nicht, wir feuern nur unsere eigene Mannschaft an. Das ist natürlich irgendwie liebreizend, aber ernst genommen wird man damit nirgendwo.
Fudder: Apropos beschimpfen: Dein Künstlername verweist auf den englischen "retard", den geistig Zurückgebliebenen, und auf deiner Facebook-Seite schreibst du "Let’s get behindert!". Das kommt im politisch korrekten Freiburg sicherlich auch nicht besonders gut an.
Retardo: Kann sein. Aber "ritardo" heißt auf Italienisch auch "Verspätung". Und das passt auch ganz gut zu mir.
Fudder: Und immerhin hast du Besserung gelobt. Zum Ende des Musikvideos kündigst du an, dein nächstes Album auf Tofu zu pressen. Wo wird man es denn kaufen können?
Retardo: Bei Manufactum und auf dem Freiburger Wochenmarkt – frisch abgeschöpft, in Salzlake eingelegt.

Das Musikvideo gibt’s unter      fudr.fr/freiburger-struggle

ZUR PERSON: RETARDO

Der Rapper ist 24 Jahre alt und in Norddeutschland aufgewachsen. 2008 bis 2012 hat er in Freiburg gelebt, seinen Zivildienst absolviert und Schauspiel studiert. Seit zwei Jahren wohnt er vor allem in Berlin, wo er Filme dreht und Rap-Musik macht. Meistens arbeitet er mit dem Regisseur Marcus Harnisch zusammen – so auch bei seiner EP "Resteessen", die am 20. März erscheinen und aus dem Internet herunterladbar sein soll. Darauf enthalten: "Freiburger Struggle."

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