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Reisen mit dem Nachtzug: So kommt man ausgeruht am Ziel an

Tom Nebe

Von Tom Nebe (dpa)

Sa, 06. Mai 2023 um 22:01 Uhr

Reise

Auf den Gleisen Europas gibt es ein Revival: Die Nachtzüge werden wiederentdeckt. Das liegt nicht nur am zunehmenden Klimabewusstsein: Man kann sich beispielsweise Hotelkosten sparen.

Beim Betreten des Abteils bin ich als noch unerfahrener Nachtzugreisender kurz verwirrt. Dort, wo laut der Reservierungsnummer auf dem Ticket mein Liegeplatz für die Fahrt sein soll, ist nur eine Sitzbank. Erst beim zweiten Blick wird mir klar: Die Rückenlehne lässt sich hochklappen und an zwei Halterungen fixieren. So werden aus einer Sitzbank zwei Liegen. Und weil darüber bis zur Decke noch Platz ist, befindet sich dort eine dritte Liege. Auf der anderen Abteilseite das gleiche Bild. Macht insgesamt sechs Liegen. Eine schmale Leiter führt vor dem Fenster nach oben.

Willkommen im Sechser-Liegewagen eines ÖBB-Nightjets. Die Österreichischen Bundesbahnen, kurz ÖBB, bieten von mehreren deutschen Städten Nachtzugverbindungen an, etwa von Hamburg nach Innsbruck, München nach Rom, Stuttgart nach Venedig oder Berlin nach Zürich. Letzterer ist der Zug, in dem ich sitze. Ich werde bis nach Basel mitfahren. Abfahrt 21 Uhr, Ankunft 7.20 Uhr, Zwischenhalte unter anderem in Leipzig und Frankfurt.

Wer den Nachtzug nimmt, spart eine Hotelübernachtung

Würde man am Tag eine direkte ICE-Verbindung der Deutschen Bahn zwischen den beiden Städten nehmen, wäre man zwar knapp drei Stunden schneller. Aber man würde den Tag im Zug verbringen. "Man denkt im ersten Moment: Der Nachtzug fährt aber lange", sagt Patrick Neumann. "Aber eigentlich spart man einen Tag. Man kann nach der Ankunft direkt ausgeruht loslegen." Weil die Rückfahrt oft zwischen 18 und 23 Uhr startet, habe man noch einen kompletten Tag vor Ort, so der Experte von "Back-on-Track", einer Initiative für mehr Nachtzugverkehr in Europa. Hinzu kommt: Es ist eine Reise mit vergleichsweise grünem Gewissen. Denn der CO2-Fußabdruck, den ein Passagier im Nachtzug hinterlässt, ist um ein Vielfaches geringer, als wenn er oder sie die gleiche Strecke im Auto oder gar im Flugzeug zurücklegt.

Und den Nostalgiefaktor gibt es noch als Zugabe obendrauf. Schließlich ist der Nachtzug eine Reiseform, deren Geschichte bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht.

Die ersten gut zweieinhalb Stunden habe ich das Abteil für mich. In Leipzig steigt ein junges Pärchen zu. Mit drei Leuten und ihrem Gepäck ist das Sechser-Abteil mit seinem nur einen halben Meter breiten Gang zwischen den dreistöckigen Liegeplätzen schon gut gefüllt.

Beim Frühstück wird's eng - jetzt keine falsche Bewegung

Als der Zugbegleiter am nächsten Morgen das im Fahrpreis inbegriffene Frühstück hereinreicht, ist etwas Geschick und Rücksicht nötig, damit niemand den anderen beim Herunterklappen der mittleren Liegen zum Einrichten der Sitzbänke aus Versehen tritt. Wie es wohl sein mag, wenn hier wirklich sechs Leute drin sind?

In Mitteleuropa gibt es meist Liege- und Schlafwagen zur Auswahl, erklärt Sebastian Wilken, der im Newsletter Zugpost über Zugreisen schreibt. Um den Unterschied deutlich zu machen, zieht er einen Vergleich: "Ein Liegewagen ist eine rollende Jugendherberge, ein Schlafwagen eher ein rollendes Hotel mit mehr Service."

Gepäck gut sortieren - und Getränke für die Völkerverständigung mitnehmen

Als erfahrener Nachtzugreisender hat wiederum Patrick Neumann zwei Tipps. Erstens: Das Gepäck vorher sortieren. "Die Abteile sind keine Tanzsäle, es ist wenig Platz", meint Neumann. Die Zahnbürste liegt lieber griffbereit oben. Sonst verrenkt man sich beim Wühlen im Koffer. Überhaupt: Mehr als ein großes Gepäckstück hat man im Nachtzug besser nicht dabei. Immerhin: Meine Snowboardtasche fand unter der Liege noch gerade so Platz.

Zweitens: Ruhig ein paar Getränke mitnehmen und mit den Abteilmitfahrenden teilen, um einen netten Abend zu verbringen. Eine Nachtzugreise sei ein Stück Völkerverständigung. Wer für sich sein möchte, muss ein Privatabteil buchen.

Meine Nacht auf dem Weg in die Schweiz war in Ordnung, wirklich tiefen Schlaf habe ich aber nicht bekommen: Die harte, für meine Länge von 1,90 Meter etwas zu kurze Pritsche, dazu das Ruckeln des Zuges und das ständige Rauschen der Lüftung... es ist vermutlich eine Gewohnheitssache. Kurz: Ich war am Morgen zwar nicht top ausgeruht, aber gerädert habe ich mich auch nicht gefühlt.

Schlafmaske und Ohrenstöpsel sind für manch einen die Rettung

"Manche schlafen sehr gut, weil sie das Schaukeln mögen. Andere haben eher Probleme, weil sie einen leichten Schlaf haben", sagt Sebastian Wilken dazu. Immerhin: Oft gibt es in Liege- und Schlafwagen Nachtkits mit Schlafmasken und Ohrstöpseln. Kissen und eine Decke sind auch dabei. Und die Fenster lassen sich abdunkeln.

Die Deutsche Bahn hatte Ende 2016 ihr Angebot an Zügen mit Schlafmöglichkeiten eingestellt, die ÖBB übernahm die Wagen und führte einen Teil des Angebots weiter. Die DB lässt auf einzelnen Strecken weiterhin Nacht-IC und Nacht-ICE fahren. So fährt ein Intercity nachts auch zwischen Zürich und Berlin, im Tandem mit dem Nightjet.

In dem Intercity gibt es aber nur Sitzplätze. Für die Rückreise aus der Schweiz in die Hauptstadt bekam ich nur noch für diesen IC ein Ticket. Und obwohl ich zwei Sitze für mich allein hatte, hätte ich viel für die harte Nightjet-Liege von der Hinfahrt gegeben. So habe ich mich nach dieser Nachtfahrt wirklich fertig gefühlt, als ich am Morgen in Berlin ankam.

Die ÖBB-Nachtzüge sind stark nachgefragt. Gerade die Nord-Süd-Strecken durch Deutschland seien beliebt und fast komplett ausgelastet, so Wilken. "Vor allem wer mehr Komfort möchte und im Deluxe-Schlafwagen mit Dusche reisen will, muss Monate im Voraus buchen. Das ist nicht zu ändern, weil das Wagen-Material fehlt."

Die Pandemie hat den Trend zum Nachtzug verstärkt

Auch wenn in diesem Jahr die ersten von fast drei Dutzend neuen Nightjets auf den Gleisen rollen sollen: Nach Einschätzung des Bahnreise-Fachmanns wird es noch dauern, bis dieses Kapazitätsproblem wirklich gelöst ist. Die ÖBB haben jedenfalls ehrgeizige Ziele: Man wolle bis 2026 die Anzahl der Nightjet-Reisenden auf jährlich drei Millionen verdoppeln, kündigte die Personenverkehr-Vorständin Sabine Stock im Sommer vergangenen Jahres an.

Es ist eine Ankündigung, die den Eindruck verstärkt, dass Nachtzüge in Europa im Aufwind sind und den Billigfliegern, die nicht mehr zu absoluten Dumpingpreisen zwischen europäischen Städten fliegen, wieder Paroli bieten können. "Sie sind in den vergangenen Jahren beliebter geworden", sagt Wilken. "Das hat mit dem Klimabewusstsein zu tun, aber auch mit der Pandemie: So einige haben sich bei der Reise in einem kleinen Abteil wohler gefühlt als im Großraum mit vielen anderen Menschen."

Das Angebot wächst jedenfalls. Ab Ende Mai rollt zum Beispiel ein Zug des niederländisch-belgischen Unternehmens European Sleeper dreimal pro Woche von Berlin über Amsterdam nach Brüssel. Zuletzt gab es diese Verbindung vor fast 15 Jahren, so Neumann. Ab Dezember stehe nach neun Jahren auch wieder eine Nachtverbindung zwischen Berlin und Paris in Aussicht, angeboten von den ÖBB.

Wer den Blick über Deutschland und seine Nachbarländer weitet, wird feststellen: In Europa gibt es ein formidables Netz an Nachtzügen. Sie rollen über den Balkan, durch Osteuropa, Skandinavien und nach Großbritannien.

Weil jeder Anbieter oft nur seine eigenen Strecken abbildet, ist man für einen Gesamtüberblick aber auf die Arbeit von Bahnenthusiasten angewiesen. Die Initiative "Back-on-Track" etwa bietet auf der Seite nighttrains.net eine Karte mit den aktuellen Verbindungen.

Für einen größeren Blick auf die Nachtzugwelt in Europa und weltweit empfiehlt sich ein Klick auf die sehr ästhetischen Karten des Designers und Architekten Jug Cerovic auf der Website night-trains.com. Denn auch auf anderen Kontinenten kann man abends in den Zug steigen und am nächsten Morgen am Ziel aufwachen.
Tipps, wie man Nachtzüge am besten bucht:

Puffer einplanen: Wer mit einem anderen Zug zum Abfahrtsort des Nachtzugs anreist, sollte die Umsteigezeit lieber großzügig bemessen, rät Sebastian Wilken, der den Newsletter Zugpost herausgibt. Denn: Ein Nachtzug fährt meist nur einmal am Tag.

Anschlussrisiko: Ein zusätzliches Problem ist das Verpassen der Abfahrt, wenn man das Nachtzugticket und die Fahrkarte für den Zubringerzug jeweils einzeln gebucht hat. Für einen Anspruch auf Ersatzleistungen in so einem Fall – Hotelübernachtung und Weiterfahrt am Morgen – müssten die Verbindungen gemeinsam gebucht worden sein, sagt Patrick Neumann von "Back-on-Track", einer Initiative für mehr Nachtzugverkehr in Europa. Gut zu wissen: Reisen mit ÖBB- und DB-Zügen lassen sich gemeinsam online buchen. In Reisezentren der Deutschen Bahn werden viele Reisen mit Nachtzügen anderer Bahnunternehmen verkauft, unter anderem für Trenitalia in Italien, SJ und Snälltåget in Schweden oder PKP in Polen. Ansonsten rät Neumann zu einem auf Bahnreisen spezialisierten Reisebüro, falls man eine Zugreise aus mehreren Fahrten verschiedener Anbieter kombinieren will.

Preise: Die Plätze im Schlafwagen sind nicht nur schnell ausgebucht, sondern vergleichsweise teuer. Wobei Wilken zu bedenken gibt, dass man quasi ein Hotelzimmer auf Gleisen bucht. "Wenn man sich überlegt, dass man sonst ein Zugticket und dann noch ein Zimmer in einem Hotel in der Stadt bucht, relativiert sich das." Wer Abstriche beim Komfort macht, kann sparen. "Sitzplätze im Nachtzug gibt es teils für 29,90 Euro, Plätze im Liegewagen häufig für deutlich unter 100 Euro", sagt Wilken.

Privat oder nicht: In einem normalen Abteil können natürlich immer andere Reisende sein. Wer Wert darauf legt, für sich zu sein, muss ein Privatabteil buchen. Das lohnt sich insbesondere auch für größere Gruppen oder Familien. Ein Tipp von Neumann für alle, die es ruhiger mögen: "Die äußeren Abteile über den Drehgestellen sind lauter." Wer kann, bucht also eher Abteile in der Zugmitte.

Interrail: Bei mehreren Fahrten in einem bestimmten Zeitraum kann sich das Interrail-Ticket auch für die Nachtzüge lohnen. Zwar kosten Plätze in Schlafwagen oder Liegewagen extra. "Die Aufpreise sind aber überschaubar, gerade auch für Abteile", sagt Neumann.

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