Energiewende

Südkorea entdeckt die Atomkraft wieder

Vor fünf Jahren wollte Südkorea aus der Kernenergie aussteigen. Der neue Präsident nimmt das nun zurück. Es geht wieder um billigen Strom, um Exporte und auch um Abschreckung.  

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Reaktoren aus Südkorea gelten als günstig, pünktlich und hochwertig.  | Foto: ARTE G.E.I.E. (dpa)
Reaktoren aus Südkorea gelten als günstig, pünktlich und hochwertig. Foto: ARTE G.E.I.E. (dpa)
"Wären wir über die vergangenen fünf Jahre nicht so blöd gewesen und hätten den Atomkraftsektor weiter gestärkt, dann hätten wir heute wahrscheinlich keine Konkurrenz." Diese Worte stammen nicht von einem wütenden Atomlobbyisten oder einem polemischen Influencer. Yoon Suk-yeol hat sie gesagt – der Präsident Südkoreas. Als er Ende Juni ein Gelände des Kraftwerksbauers Doosan Enerbility besuchte, versicherte Yoon außerdem: "Wir haben unsere Richtung beschlossen."

Soll heißen: Südkorea wird in Zukunft verstärkt auf die Atomkraft setzen. Damit wird ein Entschluss von fünf Jahren rückgängig gemacht, als der damalige liberale Präsident Moon Jae-in den Ausstieg beschloss. Im Zuge der Bemühungen, das ostasiatische Land in eine grüne Volkswirtschaft umzuwandeln, sollte Südkorea binnen 45 Jahren unabhängig von Atomkraft werden. Der Schritt galt als mutig. Rund ein Drittel des südkoreanischen Stroms kam aus Atomenergie.

Der konservative Populist Yoon aber, der im März mit hauchdünnem Vorsprung die Präsidentschaftswahl gewann, hält dies für einen Fehler. Atomkraft betrachtet er nicht nur als grün. Sie liefere auch billigeren Strom als diverse andere Quellen. Angesichts steigender Energiepreise sei dies ein wichtiger Schritt, um für günstigen Strom zu sorgen. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs ist Strom in Südkorea spürbar teurer geworden.

Aber wer den Beschluss von Yoon Suk-yeol als einen rein preispolitischen versteht, greift zu kurz. Der Atomkraftsektor gilt als Teil des Stolzes einer erst seit relativ kurzer Zeit industrialisierten Nation. Zum Ende des Koreakriegs in den 1950er-Jahren gehörte die koreanische Halbinsel noch zu den ärmsten Flecken der Welt. Dank kluger Industriepolitik begründete Südkorea dann über drei Jahrzehnte eine einzigartige Wachstumsgeschichte, wurde Technologieführer in mehreren Sektoren.

Von Smartphones über Autos bis zu Batterien und Halbleitern kommen diverse hochwertige Produkte aus Südkorea. Auch die Atomkraft ist seit rund einem Jahrzehnt ein wichtiges Exportgeschäft. Der von 2008 bis 2013 regierende Konservative Lee Myung-bak kündigte an, bis 2030 werde man 80 Reaktoren im Ausland gebaut haben. Im Jahr 2009 wurde gleich ein Deal mit den Vereinigten Arabischen Emiraten über vier Reaktoren besiegelt. Verträge in Brasilien und Kenia folgten. Reaktoren aus Südkorea gelten als günstig, pünktlich und hochwertig.

Mögliche Deals mit Finnland und Saudi-Arabien

Nun bereitet das Ministerium für Wirtschaft, Industrie und Energie einen Plan für die weitere Stärkung des Exportgeschäfts vor. Als US-Präsident Joe Biden im Mai den noch unfertigen Entwurf des indopazifischen Rahmenvertrags vorlegte, der die Region im Indopazifik ökonomisch und sicherheitspolitisch an die liberale Welt binden soll, beteiligte sich Südkorea mit Plänen zur Bereitstellung von Nukleartechnologie.

Im Juni besuchten südkoreanische Offizielle auch Finnland, um dort die heimische Technologie anzubieten, damit sich das Land schneller unabhängig von Energieimporten aus Russland machen könne. Auch mit Saudi-Arabien, wo man sich in Zukunft von Ölexporten lösen will, finden Gespräche statt. Die Wichtigkeit des Atomsektors rührt wohl auch daher, dass der verfeindete Bruderstaat Nordkorea immer wieder mit dem Test von Atombomben droht. Südkorea ist zwar offiziell keine Atommacht, hat durch die Atomtechnologie aber entscheidende Schritte hierzu gemacht. Zudem besteht eine latente Forderung, auch gleich Atomwaffen zu bauen, die als Abschreckung gegenüber Nordkorea dienen könnten.

Atomkraft bleibt umstritten

Wer in Südkorea pazifistisch denkt und den Austausch mit Nordkorea sucht, will von ihr meist nichts wissen. Hinzu kommt die ungeklärte Frage nach dem Umgang mit Atommüll. Bei den Bemühungen, einen Ort für ein Endlager zu finden, hat sich die lokale Bevölkerung der jeweiligen Orte stets dagegengestellt. Dabei drängt die Zeit. Im kommenden Jahrzehnt erreichen die Reaktoren ihre Kapazitätsgrenze für die Zwischenlagerung. Bis ein Endlager in Betrieb wäre, könnten laut Schätzungen des Energieministeriums aber Jahrzehnte vergehen.


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