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Viele heimische Vogelarten brauchen Hilfe – nicht nur im Winter

  • Christel Hülter-Hassler

  • Do, 16. März 2017
    Endingen

Menschen am Kaiserstuhl registrierten deutlichen Rückgang der Gartenvögel an den winterlichen Fressplätzen / Experten sehen verschiedene Ursachen.

Eine Meise am Futterplatz: Im zurückli...au ein seltenerer Anblick als früher.   | Foto: Martin Neub
Eine Meise am Futterplatz: Im zurückliegenden Winter 2016/2017 war dies auch im Breisgau ein seltenerer Anblick als früher. Foto: Martin Neub
NÖRDLICHER KAISERSTUHL. Unangetastete Meisenknödel, verschmähte Leckerbissen am Futterplatz; statt lebhaftem Gezänk am Futterhäuschen Totenstille. In den vergangenen Wintermonaten registrierten viele Menschen in der Region zuvor nicht gekannte Szenen in ihren Gärten. Was die Bürger beobachteten, bestätigen auch Experten: Die Population bei vielen Gartenvögeln schwindet – aus verschiedenen Gründen.

"Wir hatten jedes Jahr unsere Freude am Trubel der Blaumeisen und Kohlmeisen. Auch Kleiber und Rotkehlchen sind immer gekommen. Dieses Jahr haben wir stundenlang keinen einzigen Vogel am Futterhäuschen gesehen", erzählt Helmut Bühler aus Königschaffhausen. Die Nachbarn berichteten genau dasselbe.

"Diesen Winter riefen bei uns im Freiburger Büro immer häufiger besorgte Menschen an, die von einem rapiden Rückgang beobachteter Gartenvögel erzählen", bestätigt BUND-Geschäftsführer Axel Mayer. Nicht nur die organisierten Umweltschützer machen sich Sorgen.

Der Kiechlinsberger Jäger Gerhard Wiedemann kennt sich von Kind auf aus mit Vögeln und beobachtet schon seit einigen Jahren einen Rückgang. In diesem Winter falle der Schwund drastischer ins Auge, weil die nasskalte Witterung im Frühjahr 2016 zusätzlich zu hohen Brutverlusten geführt habe. "Viele Altvögel hatten erhebliche Schwierigkeiten, genügend Insektennahrung zur Fütterung der Jungen zu finden, die dann außerdem durch die von den Eltern ins Nest getragene Nässe unterkühlten", erklärt auch Martin Neub von der NABU-Kreisgruppe Emmendingen.

Die gravierendste Ursache für den Rückgang an Gartenvögeln ist nach einhelliger Meinung der Experten die schleichende Veränderung der Landschaft durch die Industrialisierung der Landwirtschaft und ungezügelte Bebauung. Das nimmt nicht nur den Vögeln den Lebensraum, sondern auch vielen Insekten und Schmetterlingsarten die Lebensgrundlage und damit den Vögeln wichtige Nahrung. Eine Studie des Krefelder Entomologischen Vereins 2016 belegt, dass die Zahl der Insekten in manchen Gegenden Deutschlands in den letzten zehn Jahren um 80 Prozent gesunken ist. "Man erkennt das an den Autoscheiben, die früher im Gegensatz zu heute nach langen Fahrten voller Insekten klebten", betont Martin Neub. Sterben Insekten, dann sterben Vögel.

Nicht nur die direkte Wirkung von Insektiziden dezimiert die Vogelpopulation. "Die heutige Umgebung wird den Ansprüchen der Vögel nicht gerecht", sagt Vogelkenner Christian Harms. Er meint damit ausgeräumte Agrarlandschaften, Vogelschlag an verglasten und verspiegelten Gebäuden oder durch das erhöhte Verkehrsaufkommen und Flächenverluste durch Bebauung der Landschaften.

"Ohne gezielte Hilfsmaßnahmen und unsere Unterstützung werden viele Vogelarten nicht überleben", ist der renommierte Vogelkenner Harms überzeugt. Feldvögel wie Rebhühner, Feldlerche oder Grauammer sind am Kaiserstuhl verschwunden. Amseln verenden an dem Usuta-Virus, das sich in Deutschland ausbreitet. Das Grünfinkensterben wiederum wird von einem einzelligen Parasiten ausgelöst, der seit Jahren gehäuft auftritt. Elstern und Eichelhäher, deren Lebensräume in der Feldflur verschwinden, siedeln sich dagegen vermehrt in den Gärten an – mit zum Teil fatalen Folgen für die Singvogelbruten.

Ins Feld geführt werden auch Vogelverluste durch Katzen. "In früheren Jahren gab es ein Gesetz, in dem das freie Herumlaufen von Katzen während der Brutsaison der Vögel untersagt wurde", berichtet Martin Neub. Die Regelung sei aber wegen mangelnder Umsetzbarkeit wieder abgeschafft worden.

Interessant ist, dass es auch entgegengesetzte Trends und "Gewinner" im Ringen um Standorte unter den Vögeln gibt. So wird die Rettung von Bienenfresser, Steinkauz und Wiedehopf am Kaiserstuhl als mustergültige Erfolgsgeschichte engagierten Handelns bezeichnet.

Verlierer sind die ganz gewöhnlichen, früher weit verbreiteten Vögel. Von diesen gilt rund die Hälfte als gefährdet.

Was kann jeder zum Schutz der kleinen Gesellen im Garten oder in der Landschaft tun? Ihnen die Lebensräume erhalten oder geben, die sie brauchen: Naturnahe Gärten statt englischer Rasen, heimische Sträucher statt Exoten. Durch bewusstes Einkaufen kann eine naturnahe Landwirtschaft unterstützt werden; ressourcenschonendes Verhalten in allen Lebensbereichen hilft nicht nur den Vögeln. Denn es geht um mehr als um vermisste Vogelkonzerte und verschmähte Meisenknödel, betont Axel Mayer: "Artenschutz ist immer auch Menschenschutz!"

Ressort: Endingen

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 16. März 2017: PDF-Version herunterladen

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