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Wiederaufbau

Von wegen modern: Notre-Dame in Paris wird brav rekonstruiert

Knut Krohn
  • So, 12. Juli 2020, 20:05 Uhr
    Kunst

Die ersten Ideen waren grandios, doch bald 15 Monate nach dem Brand der Kathedrale stimmt nun auch Präsident Macron einem Wiederaufbau des eingestürzten Spitzturms im historischen Stil zu.

An grandiosen Ideen herrschte kein Mangel. Eine gigantische Flamme sollte aus Notre-Dame hoch in den Himmel über Paris steigen, schlug ein Architekt vor. Ein Kollege präsentierte einen Turm aus Kristallglas oder Titan, ein anderer wollte in schwindelnder Höhe über der Île de la Cité einen ganzen Eichenwald wachsen lassen. Schon wenige Tage nach dem Brand in der Kathedrale im April 2019 fand eine Art inoffizieller Ideen-Wettlauf statt, angefacht von Präsident Emmanuel Macron. Er wollte, dass nach dieser nationalen Katastrophe etwas Neues, Zukunftsweisendes aus der Asche entstehe.

Für die Architekten dieser Welt war das Ansporn genug, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen. Also schwirrten die wildesten Vorschläge durch das Internet, wie das zerstörte Dach der mehr als 850 Jahre alten gotischen Kathedrale gestaltet werden sollte. Nun ist etwas mehr als ein Jahr vergangen, und die hochtrabenden Ideen sind an der harten Realität zerschellt.

Eine Kommission, die sich mit dem Aufbau befasst, war in diesen Tagen zu einem Treffen ins Kulturministerium nach Paris gerufen worden. Dort mussten die Verantwortlichen von Notre-Dame ihre Sicht der Dinge darlegen: Soll der Dachstuhl aus Holz sein, aus Stahl oder aus Beton? Welche Rolle spielt der Brandschutz? Bekommt die Kathedrale wieder ihr ursprüngliches Dach aus Blei? Wie getreu wird man sich an der Form orientieren, die in Flammen aufgegangen ist?

Macron wollte zunächst eine zukunftsweisende Gestaltung

Ein sehr gewichtiges Wort bei der Suche nach einer Lösung hat natürlich der Chef-Architekt Philippe Villeneuve. Er hat der Kommission in Paris ein Exposé von mehr als 3000 Seiten übergeben und darin verschiedene Machbarkeitsstudien präsentiert. Villeneuve hat aber auch nie mit seiner Meinung hinter dem Berg gehalten, dass er es für die beste Lösung hält, das Dach in der letzten bekannten Form mit dem markanten, mehr als 90 Meter hohen Turm aufzubauen. Das heißt, in der Art des legendären Architekten Eugène Viollet-le-Duc, der im 19. Jahrhundert mit seinen Umbauarbeiten das heutige Aussehen von Notre-Dame prägte. Auch aus dem französischen Kulturministerium ist zu vernehmen, dass der Wiederaufbau des eingestürzten Spitzturms im historischen Stil eine sehr gute Lösung wäre. Dafür gebe es einen "breiten Konsens", sagte die neue Kulturministerin Roselyne Bachelot dem Radiosender France Inter. Die frühere Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner, die die deutsche Hilfe beim Wiederaufbau koordiniert, äußerte sich am Sonntag erleichtert über die Ankündigung der originalgetreuen Rekonstruktion.
Notre-Dame de Paris

Die Kathedrale ist neben dem Eiffelturm und dem Triumphbogen eines der Wahrzeichen von Paris. Sie steht im Stadtzentrum auf der Île de la Cité und wird als Touristenmagnet jedes Jahr von rund 14 Millionen Menschen besucht. Mit dem Bau wurde im Jahr 1163 begonnen. Das Innere der frühgotischen Bischofskirche ist 130 Meter lang und 35 Meter hoch. Die beiden Türme der Fassade erreichen 69 Meter Höhe, der beim Brand eingestürzte Vierungsturm maß 96 Meter. In der Kathedrale waren bis vor dem Brand die wichtigsten Reliquien von Paris versammelt, darunter eine Dornenkrone und ein Kreuznagel, die von der Kreuzigung Christi stammen sollen.

Bereits Ende Juni hatten sich rund ein Dutzend hochgestellte Wissenschaftler und Historiker für eine konservative Lösung stark gemacht. In einem offenen Brief haben sie sich dahingehend geäußert, dass Paris seine in der ganzen Welt bekannte ikonische Silhouette mit der Kathedrale von Notre-Dame nicht verlieren dürfe. Danach machten mehrere Umfragen unter der Bevölkerung deutlich, dass auch die Mehrheit der Franzosen "ihre Kathedrale" nicht verlieren möchte.

Natürlich haben auch die großen Geldgeber einen nicht geringen Einfluss auf den Lauf der Dinge. Sie steuern einen wesentlichen Teil der Summe von rund einer Milliarde Euro bei, die nach dem Brand in nur wenigen Wochen für den Wiederaufbau gespendet wurde. Jean-Jacques Aillagon, Berater des Multi-Milliardärs François Pinault, erklärte, die Arbeiten an Notre-Dame sollten die Menschen einen und nicht spalten, vor allem da es sich um ein Wahrzeichen von nationaler Größe handle. Die Entscheidung für eine eher traditionelle Lösung scheint also gefallen, zumal mit ersten Arbeiten bald begonnen werden soll und die Zeit für einen groß angelegten, internationalen Architektenwettbewerb damit reichlich knapp wäre.

Hat sich Macron selbst ein Bein gestellt?

Als entscheidende Instanz hat sich nun auch Präsident Macron noch einmal zu Wort gemeldet. Der Präsident war es, der noch in der Brandnacht, als die Flammen aus dem Dachstuhl in den Nachthimmel über Paris schlugen, der entsetzten Welt eine "viel schönere Kathedrale als zuvor" versprach – und durchblicken ließ, dass für ihn "schöner" auch "moderner" heißt. Spötter unkten nach dieser Ankündigung, er wolle sich damit vor allem selbst eine Art Denkmal setzten.

Nach der Sitzung der Notre-Dame-Kommission ließ er am späten Donnerstag allerdings verkünden, dass er die Idee eines internationalen Architektenwettbewerbes fallenlasse. Er wolle den "Fortgang der Arbeiten nicht verzögern", zudem sehe auch er, dass sich bereits ein Kompromiss abzeichne. Grund für diesen Meinungswandel ist auch die Tatsache, dass der Staatschef mit seiner ursprünglichen Idee einer modernen Dach-Variante plötzlich in eigenen Reihen alleine dastand. Alle eifrigen Verfechter einer kühnen Lösung in Sachen Notre-Dame sind in diesen Tagen bei der Regierungsumbildung vom Präsidenten ausgetauscht worden. Macron hat sich in diesem Fall selbst ein Bein gestellt.

Ressort: Kunst

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 13. Juli 2020: PDF-Version herunterladen

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