BZ-Interview
Warum Verzicht ein Gewinn sein kann
In dieser Woche beginnt die Fastenzeit, in der viele Menschen bewusst auf Dinge verzichten. Der Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech plädiert für weniger Konsum und mehr Selbstversorgung.
Mo, 27. Feb 2017, 0:00 Uhr
Umwelt & Natur
"Wir müssten von einer Konsum- zu einer Könnensgesellschaft werden."
BZ: Aber wir freuen uns doch über den neuen Pullover, das leckere Steak oder das schnelle Auto.
Paech: Die Freuden des Konsumgenusses sind ja nicht unendlich steigerbar. Man kann nicht Wein trinken, eine Reise antreten, ein Buch lesen oder eine CD hören, ohne seine Sinnesorgane auf diese Aktivitäten zu richten. Und Zeit ist das knappste, worüber der Mensch verfügt. Unsere Zeit lässt sich nicht vermehren. Aus der Neurobiologie wissen wir, dass Menschen nicht multitaskingfähig sind. Wir können höchstens zwei Dinge gleichzeitig ausführen, alles andere ist Stress für uns. Außerdem verlieren die Dinge an Wert, wenn wir sie nur noch flüchtig wahrnehmen und uns überfluten. Wenn ich jede halbe Stunde einen Kaffee trinke, dann kann der irgendwann kein Genuss mehr sein. Konsum ist dann reizvoll, wenn er nicht zu oft stattfindet.
BZ: Im Prinzip wissen wir ja, dass weniger oft mehr ist. Aber warum fällt es uns im Alltag so schwer, auf Dinge zu verzichten?
Paech: Ja, das ist die 100-Dollar-Frage. Es hat mal eine Zeit gegeben, in der Erfolgserlebnisse oder auch das Gefühl, etwas Sinnstiftendes zu tun, für einen Menschen darin lagen, zu arbeiten. Es ging darum, gute Arbeit zu verrichten und das Werk der Arbeit betrachten zu können oder sogar dafür gelobt zu werden. In früheren Entwicklungsphasen war Zugehörigkeit davon abhängig, wie gut jemand kämpfen konnte, von wem man abstammte oder wie gottgefällig jemand lebte. Diese Kulturmodelle sind von der Konsumgesellschaft abgelöst worden. Heute ist eine adäquate soziale Position mit Konsum und Mobilität verbunden. Wir sind gar nicht mehr in der Lage, durch andere Handlungen unsere Identität für andere sichtbar oder spürbar zum Ausdruck zu bringen. Konsumgüter sind wie eine Visitenkarte.
BZ: Und da brauchen wir eine neue?
Paech: Wir müssten von einer Konsum- zu einer Könnensgesellschaft werden, in der Handlungen, die überhaupt nichts mit Konsum zu tun haben, sinnstiftend werden. Handwerkliche und künstlerische Kompetenz könnte dabei zur Basis für soziale Zugehörigkeit werden. Das Verrückte ist Folgendes: Je weniger wir in der Lage sind, durch andere Dinge als Konsum unsere gesellschaftliche Position zum Vorschein zu bringen, desto wichtiger wird Konsum und umso mehr verdrängt er andere Praktiken, durch die wir uns selbst finden oder eine Identität erlangen könnten. Denn er frisst die für alternative Handlungen nötige Zeit auf.
BZ: Ein Teufelskreis?
Paech: Irgendwann – und ich denke, das wird recht bald sein – wird uns das in eine Sinnkrise führen. Die Orientierungslosigkeit, der Stress, der Verlust an Aufmerksamkeit, das Abstumpfen, auch die Manipulierbarkeit und der Schwund an Fähigkeiten, basale Arbeitsverrichtungen zu beherrschen, wird gesundheitlichen Schaden anrichten. Das sehen wir schon jetzt. Wir haben in Deutschland von 2000 bis 2010 die Anzahl der Antidepressiva-Verschreibungen verdoppelt. Es gibt Metastudien aus der Psychologie, die besagen, dass in der EU jeder dritte Mensch gefährdet ist, psychisch zu erkranken – und das mitten im grassierenden Wohlstand!
BZ: Sollten wir also wieder ein Leben führen wie unsere Groß- oder Urgroßeltern?
Paech: Man sollte sich erst einmal klarmachen, was Nicht-Konsumieren bedeutet. Erstens: Suffizienz. Damit ist gemeint, dass ich Dinge ersatzlos fallen lasse, sie einfach nicht kaufe. Zweitens: Dinge selber zu produzieren, etwa im eigenen Gemüsegarten. Drittens: Dinge zu reparieren und damit ihre Nutzungsdauer zu verdoppeln. Viertens: zu teilen. Als Wirtschaftswissenschaftler, der nicht in der Steinzeit lebt, weise ich dennoch darauf hin, dass ohne Konsum kein modernes und humanes Dasein möglich ist.
BZ: Aber wo liegen dann die Grenzen für einen "gesunden Konsum"?
Paech: Zwei Grenzen, die dem Konsum zu setzen wären, werden durch die Ökologie und das menschliche Wohlbefinden definiert. Es geht einerseits darum, Verantwortung für die Ökosphäre zu übernehmen, aber andererseits auch schlicht und einfach um Selbstschutz, weil übermäßiger Konsum aufgrund der Reizüberflutung unsere psychischen Ressourcen und die Sinnesorgane überfordert.
BZ: Und die Grenze der Ökologie?
Paech: Die ist ganz einfach zu bestimmen, weil es nur begrenzte Räume und Ressourcen gibt. Daraus folgt, dass jeder Einzelne nur ein bestimmtes Quantum an Ökosphäre nutzen kann, ohne über seine Verhältnisse zu leben. Das hat schon Immanuel Kant in seiner "Schrift zum Ewigen Frieden" angesprochen: Gerechtigkeit findet nicht zwischen Staaten, sondern nur zwischen Menschen statt: Was ich zu viel nehme, muss jemand anderem fehlen. Das ist die unüberwindbare Logik des irdischen Nullsummenspiels.
BZ: Was bedeutet das für den Einzelnen?
Paech: Der Klimaschutz markiert die wichtigste ökologische Grenze. Wenn wir die Zwei-Grad-Grenze nicht einhalten, werden wir dauerhaft keine Lebensgrundlagen auf diesem Planeten haben. Die Konsequenz versteht jedes Kind: Das mit dem Zwei-Grad-Ziel zu vereinbarende CO2-Budget müsste auf alle Menschen verteilt werden. Dann dürfte jede Person durch Mobilität und Konsum pro Jahr ungefähr 2,5 Tonnen CO2-Emissionen verursachen.
BZ: Wie viele Tonnen CO2-Emissionen verursachen wir denn?
Paech: Es gibt einen CO2-Rechner auf der Seite des Bundesumweltamtes. Da kann jeder Mensch erkennen, wie weit er oder sie von den zweieinhalb Tonnen entfernt ist und was die dicksten Brocken in der Bilanz sind. Der deutsche Durchschnittswert liegt derzeit bei elf Tonnen. Wir müssen also von 11 auf 2,5 Tonnen reduzieren. Wer das ablehnt, will entweder keinen Klimaschutz oder keine globale Gerechtigkeit – beides ist inhuman.
BZ: Aber es geht doch bei der Ökologie nicht nur um CO2.
Paech: Da gebe ich Ihnen recht. Andere Umweltmedien wie Wasser oder Fläche sind nicht minder wichtig. Dennoch ist der Klimawandel das größte Problem, und wenn wir die Logik des Nullsummenspiels nicht mal hier hinbekommen, sind alle anderen Umweltschutzbemühungen wie Schmuck am Nachthemd.
"Sich selbst schützen und die Natur."
BZ: Wieso ist es so schwer, von dieser Erkenntnis zur Tat zu schreiten?Paech: Diese Frage kann man unter anderem mit Luther beantworten. Die Nachhaltigkeitspraxis hat sich in einen Ablasshandel verstrickt – vor allem dort, wo am lautesten von nachhaltiger Entwicklung gesprochen wird. Die Menschen, welche über die höchste Bildung verfügen, sich zuweilen für ökologisch aufgeklärt halten, sind in den Bioläden anzutreffen, kaufen mit hoher Wahrscheinlichkeit Ökostrom und bestellen bei Hess-Natur oder Manufactum. Aber es sind eben auch die Personen, die aufgrund ihrer Bildung das meiste Geld verdienen und besonders global orientiert sind, also häufig fliegen. Ob jemand verantwortungsvoll gelebt hat, hängt von der Zahl seiner Flugreisen ab. Somit können wir nicht ausschließen, dass jene, die sich mit den meisten ökologischen Symbolen schmücken, unter dem Strich diejenigen sind, die den verheerendsten ökologischen Rucksack rumschleppen.
BZ: Zurück zum Fasten: Könnte hier nicht die Chance des Innehaltens liegen?
Paech: Das Fasten kann letzten Endes zu etwas Ähnlichem werden wie der Ablasshandel: Man nutzt die Zeit der Läuterung nur als Rechtfertigung dafür, vor und nach dem Fasten auf die Tube zu drücken: Hurra, ich habe ganz lange kein Auto mehr genutzt, also Auto-Fasten betrieben, jetzt ist die Flugreise zum Guru nach Indien nicht mehr so verwerflich. Ich will die Logik des Fastens nicht schlecht machen. Das Fasten könnte anstelle eines Alibis auch zum Übungsprogramm für ehrlichere Lebensstile werden. Es gibt viele Beispiele dafür, dass Menschen anfangen, von einem hohen Konsumniveau schrittweise herabzusteigen, um so etwas wie ein menschliches Maß des Konsums zu erreichen. Das ist erst schwer, aber dafür sind wir Menschen ja mit einer Reflexionsfähigkeit ausgestattet. Wir können Widersprüche des eigenen Lebens aufdecken und daraus Konsequenzen ziehen. Aber wir müssen es schon wollen.
Niko Paech
Der 56-jährige Volkswirt war bis 2016 Professor an der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg. Er gilt als wichtiger Vertreter der Postwachstumsökonomie. Diesen Begriff hat er selbst in seinem Werk "Befreiung vom Überfluss" geprägt. Damit meint Paech ein Wirtschaftssystem, das nicht weiter auf Wachstum, sondern auf Wachstumsrücknahme setzt, um die natürlichen Ressourcen zu schonen.