Nationalmannschaft

Warum wird Müller den Erwartungen noch nicht gerecht?

Raumdeuter mit Problemen: Die EM geht bisher an Thomas Müller vorbei – doch für das deutsche Team ist er sehr wichtig, wie René Kübler vor der Partie der DFB-Elf gegen Nordirland analysiert.  

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Engagiert im Sitzen, Liegen und Stehen – aber bisher glücklos bei der Europameisterschaft: Thomas Müller Foto: dpa
Im August 1997 sind die Vorzeichen noch andere. Fünfmal hintereinander hat Deutschland gegen Nordirland nicht gewinnen können, in 15 Jahren zwei Niederlagen kassiert und dreimal Remis gespielt. Auch im WM-Qualifikationsspiel in Belfast liegt der damalige Europameister 0:1 zurück. Erst ein Einwechselspieler namens Oliver Bierhoff verhindert mit einem Sieben-Minuten-Rekord-Hattrick die erneute Blamage.

"Von Offensivspielern werden Torerfolge erwartet." Thomas Müller
Nicht ganz 19 Jahre später blickt Bierhoff auf dem Podium des Pressezeltes in Évian zurück. "Die drei Tore sind irgendwie passiert, ohne dass ich es gemerkt habe", gesteht der heutige Teammanager. Klingt nach Wunder von Belfast, hat in Wirklichkeit aber mit dem Fußball zu tun, der damals gespielt wurde. Ende der 90er Jahre waren taktisch ausgeklügelte Defensivstrategien noch kein Allgemeingut. Einem wie Bierhoff genügten ein guter Instinkt und ein solides Kopfballspiel, um auch international erfolgreich zu sein. "Ich weiß nicht, ob ich noch Platz hätte heute im Fußball", räumt der 48-Jährige ein. Allerdings vergisst Bierhoff nicht, auf etwas Wesentliches hinzuweisen: "Tore zählen!"

So ist das auch heute noch. Zumindest in der Außenwirkung. "Von Offensivspielern werden Torerfolge erwartet", weiß Thomas Müller. Einverstanden ist er mit dieser oberflächlichen Betrachtungsweise nicht immer. "Mache ich ein weniger gutes Spiel, treffe aber, steht in der Zeitung: Müller hat die Mannschaft gerettet", erklärt der Bayern-Angreifer. Dann sitze er abends zu Hause und denke: "Das stimmt doch gar nicht."

Müller ist einer, der sich durchaus ernsthaft mit seinem Beruf und den Begleiterscheinungen auseinandersetzt, obwohl er gerne als Klassenclown beschrieben wird. Was auch damit zu tun haben mag, dass er es gerne mit dem Münchner Komiker Karl Valentin hält. So wie kürzlich in einem Interview des Magazins Stern: "Ich versuche, egal wo ich bin, für mich selbst Spaß zu haben. Wie hat Karl Valentin doch gesagt: Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch."

In den zurückliegenden Tagen, seit dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft, hatte Müller reichlich Gelegenheit dazu, dies zu beweisen. Im eigentlichen Sinn – es regnete in Évian, dem Ort, an dem die Deutschen ihr EM-Basisquartier haben, gefühlt ununterbrochen. Aber auch im übertragenen Sinn. "Ein Tor zu schießen, ist nicht mein Hauptanliegen", beteuert Müller glaubhaft.

"Der Gegner spielt auch mit"

Doch die bittere Erkenntnis, in gut 180 EM-Minuten nicht ein einziges Mal aufs Tor geschossen zu haben, nagt an ihm. "Das ist das, woran wir zu knabbern haben", räumt er ein. Müller wählt bewusst den Plural. Das Problem betrifft nicht ihn allein, sondern die gesamte Mannschaft. In der Vergangenheit war es meist so, dass man ihnen allen lediglich einen etwas nachlässigen Umgang bei der Verwertung vorwerfen konnte. Dass sie sich zu sehr dem schönen Spiel hingaben, sich an ihrem eigenen Kombinationstalent berauschten und dabei die Konzentration aufs Wesentliche vergaßen.

Wenn sich die Özils und Götzes mal wieder in der eigenen Spiellust verzettelten, war es oft Thomas Müller, der mit seiner Geradlinigkeit die Dinge zu Ende brachte. Bei dieser EM ist das bisher anders. Der Raumdeuter Müller scheint ein wenig die Orientierung verloren zu haben. Im Spiel gegen die Ukraine gab es eine Szene, die Sinnbild war dafür. Nach einer Flanke von links wollte Müller eigentlich schießen, köpfte dann aber doch. Und so plumpste ihm der Ball aufs Haupt, während er unten noch die Schussbewegung vollzog. Unorthodox war Müller stets, aber nie so glücklos und ineffektiv wie jetzt. Auch Bundestrainer Joachim Löw findet es "ungewöhnlich, dass er noch gar keine Chance hatte".

Auf der Suche nach Ursachen landen sie alle bei der Konkurrenz. Auch Müller selbst. "Ich will noch kurz was sagen", setzt er zu einem Plädoyer in eigener Sache an: "Der Gegner spielt auch mit! Nur weil man sich etwas Gutes überlegt, heißt das nicht, dass es auch funktioniert."

Anders als zu Bierhoffs Zeiten sind im Fußball mittlerweile nahezu alle Mannschaften taktisch in der Lage, kaum zu durchdringende Defensivnetzwerke zu installieren. Räume für fußballerische Freigeister wie Müller gibt es nur wenige, sie müssen in Sekundenbruchteilen entdeckt und genutzt werden. "Es ist enorm eng und schwierig für die Spieler geworden", bestätigt Bierhoff. Oft sei es so, dass man gerade als Stürmer lange aus dem Spiel raus sei.

88 Minuten nicht aufzufallen und dann plötzlich zuzuschlagen – auch das war immer eine Stärke Müllers. Er durfte abtauchen, weil er trotzdem ständig auf Achse war. Laufarbeit ist für Angreifer inzwischen mehr gefordert als je zuvor. Sie müssen zuverlässig ihren defensiven Beitrag leisten, vorne Weite schaffen, um dadurch in die Tiefe zu gelangen und zu vollenden. "Ich soll nicht nur rechts an der Linie kleben", betont Müller. Gleichzeitig müsste er genau das tun, da Benedikt Höwedes, sein Kompagnon auf der rechten Seite, wenig hilfreich ist, wenn es darum geht, gegnerische Abwehrketten zu entzerren. Und dann ist da laut Müller noch "die Aufgabenstellung, im Strafraum für Gefahr zu sorgen". Ein komplexes Anforderungsprofil, dem er aktuell nicht gerecht werden kann.

Unter Druck setzen lassen will sich Müller deswegen nicht. Bewertungen von außen versucht er zu ignorieren. "Man darf das nicht so sehr an sich ranlassen, sonst ist man immer in Wellentälern unterwegs."

Den Gipfel hat er nicht aus den Augen verloren. Er würde, sagt Thomas Müller, aber auch gegen die Nordiren einen zähen Sieg mitnehmen – "und das Geschriebene ertragen".

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