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Wilhelmshaven

Was der erste deutsche Anleger für den Flüssigerdgas-Import bedeutet

Björn Hartmann
  • dpa &

  • Di, 15. November 2022, 19:35 Uhr
    Deutschland

Bislang fehlte die Infrastruktur für Flüssigerdgas (LNG). Inzwischen hat sich die Lage gebessert: In Wilhelmshaven wurde ein erster Anleger eröffnet. Schon bald soll dort ein Spezialschiff festmachen.

Mehr als ein Viertel des Gases in Deut...ier Wilhelmshaven) abgewickelt werden.  | Foto: Hauke-Christian Dittrich (dpa)
Mehr als ein Viertel des Gases in Deutschland soll bald über die schwimmenden LNG-Terminals (hier Wilhelmshaven) abgewickelt werden. Foto: Hauke-Christian Dittrich (dpa)
Die ersten deutschen LNG-Terminals stehen kurz vor dem Betriebsbeginn. Zwar sind die Gasspeicher für den Winter inzwischen fast voll, doch verflüssigtes Erdgas (liquefied natural gas, LNG) soll auch noch in den kommenden Jahren die Energieversorgung zusätzlich absichern. Mit den Terminals will Deutschland komplett von russischem Gasimporten unabhängig werden. Zuletzt lieferte das Land ohnehin nichts mehr. Ein Überblick.

Wie sehen die Zeitpläne für Bauabschluss und Betriebsbeginn aus?

In Wilhelmshaven ist am Dienstag die erste Anlegestelle für Spezialschiffe mit Flüssiggas (LNG) in Deutschland eingeweiht worden. Zunächst geht es um die Anbindung eines schwimmenden Terminals, der Beginn des Betriebs ist für Mitte Dezember vorgesehen. Dann soll ein voll beladenes Tank-Lagerschiff festmachen. Der Energiekonzern Uniper als Betreiber nimmt an, dass dann auch die Infrastruktur auf Landseite bereitstehen wird. Ab Mitte Januar werden die LNG-Tanker eintreffen, heißt es aus der niedersächsischen Landesregierung. In Wilhelmshaven ist ein zweites Terminal von Tree Energy Solutions und Eon geplant. Es soll Ende 2023 starten, vorerst ebenfalls als Schwimmterminal. Eine stationäre Anlage an Land soll später folgen.

Im niedersächsischen Stade baut ein privates Konsortium eine schwimmende Plattform. Sie soll Ende 2023 fertig sein. Bis 2026 ist eine stationäre Anlage geplant. Noch in diesem Jahr soll im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel ein LNG-Schwimmterminal seine Arbeit aufnehmen. Der erste LNG-Tanker ist für Ende Dezember angekündigt. Parallel plant dort die German LNG Terminal GmbH eine feste Anlage, die voraussichtlich 2026 in Betrieb gehen könnte.

Im vorpommerschen Lubmin, wo die Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 ankommen, will das Unternehmen Deutsche Regas mit einem schwimmenden Terminal LNG importieren. Ob der Betriebsbeginn zum 1. Dezember möglich ist, ist unklar. Die Arbeiten liegen der Deutschen Regas zufolge im Zeitplan, es stehen aber noch Genehmigungen aus. Ein zweites Terminal von RWE und der norwegischen Stena Power soll in der zweiten Jahreshälfte 2023 starten.

Wo könnte es noch Hindernisse geben?

Wegen des Zeitdrucks wurden Planungsverfahren beschleunigt, die Landesregierungen legten allerdings Wert auf eine Veröffentlichung von Projektunterlagen. Kritiker können Einwendungen gegen die Vorhaben einreichen. Zu Wilhelmshaven I steht der Zeitplan bis auf Weiteres. Auch in Mecklenburg-Vorpommern liegen Dokumente zur Öffentlichkeitsbeteiligung aus. In Lubmin sind Beschwerden bis zum 28. November möglich – was die Projekte verzögern könnte. So befürchten Vertreter mehrerer Umweltorganisationen durch die neuen Anlagen im Wasser mehr Stress für marine Ökosysteme.

Woher sollen die ersten LNG-Lieferungen kommen?

Bisher erhalten Deutschland und andere europäische Länder das über die Niederlande, Belgien oder Frankreich aufgenommene LNG vor allem aus den USA. Zu den größten Exporteuren zählt auch Katar, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bemühte sich auf einer Reise im Frühjahr um Lieferbeziehungen. Bisher ist aber noch kein Vertrag geschlossen. Weitere wichtige LNG-Ausfuhrländer sind Australien, Malaysia oder Nigeria. Mit konkreten Angaben zur Herkunft der Lieferungen halten sich manche Betreiber noch zurück. Brunsbüttel soll zum Beispiel Gas aus Abu Dhabi erhalten.

Was ist mit der Anbindung der Pipelines?

Wilhelmshaven I wird über eine 26-Kilometer-Pipeline an das überregionale Gasnetz angebunden. Sie führt bis zum Anschlusspunkt Etzel und ist fast fertig. Die Leitung soll anfangs zehn Milliarden Kubikmeter, später bis zu 28 Milliarden Kubikmeter pro Jahr transportieren und auch für Wasserstoff genutzt werden können. In Stade wird das Gas direkt ins Netz des niederländischen Betreibers Gasunie eingespeist. Das Genehmigungsverfahren wird vorbereitet. In Schleswig-Holstein wird vom Hafen Brunsbüttel aus bereits eine drei Kilometer lange Leitung gebaut. Die gesamte Anbindetrasse an das europäische Verbundnetz soll später mehr als 50 Kilometer lang werden.

Welche Mengen wird das zusätzliche Gas zu welchem Preis ersetzen?

Insgesamt geht die Bundesregierung davon aus, dass mehr als ein Viertel der bisher benötigten Gasmenge in Deutschland über die schwimmenden LNG-Terminals abgewickelt werden kann. Über die beiden Wilhelmshavener Schwimmanlagen sollen rund zehn Milliarden Kubikmeter umgeschlagen werden. Auch in Stade sind fünf Milliarden Kubikmeter vorgesehen. Die Planer des festen Terminals dort gingen bislang von etwa 13 Milliarden Kubikmetern aus, was für bis zu 15 Prozent des deutschen Gasbedarfs reichen könne. Über die schwimmende Brunsbütteler Anlage sollen 3,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr ins Netz gelangen, für die feste Anlage nach früheren Angaben rund acht Milliarden Kubikmeter. In Lubmin plant man für beide Terminals jeweils etwa mit fünf Milliarden Kubikmetern jährlich. Zu welchen Konditionen das LNG auf den Energiemarkt kommt, ist noch unsicher. Die Weltmarktpreise schwanken.

Wie sieht es mit der Klima- und Umweltbilanz von LNG aus?

Beim Verbrennen von Erdgas wird viel CO2 frei – Klimaschützer halten den Ausbau der LNG-Kapazitäten daher für falsch. Hinzu kommt, dass vor allem die USA mit dem umstrittenen Fracking-Verfahren fördern: Das Gas wird unter Hochdruck aus Gesteinsporen gepresst, im Fall älterer Technik kommt ein Chemikalien-Cocktail zum Einsatz. Umweltschützer sorgen sich zudem um Lebensräume von Meerestieren und -pflanzen. Viele glauben, dass die Gründlichkeit ökologischer Prüfungen unter der beschleunigten Genehmigung der Projekte leiden könnte.

Warum dann überhaupt verflüssigtes Erdgas?

Deutschland braucht Gas für die Industrie und zum Heizen. Flüssiggas ist eine einfache und schnelle Möglichkeit, es zu bekommen. Die hauptsächlich aus Methan bestehenden Gemische werden für den Transport auf bis zu minus 164 Grad gekühlt, so werden sie flüssig. Das Volumen sinkt etwa auf ein Sechshundertstel, weshalb sich das Gas dann in großen Mengen per Schiff transportieren lässt. Niedersachsens Energieminister Christian Meyer (Grüne) betont, LNG zu verwenden, dürfe nur eine Übergangslösung sein, bis es genug Strom und Wärme aus erneuerbaren Quellen gebe. Die fest installierten, späteren LNG-Terminals sollen sich auch für grünen Wasserstoff nutzen lassen.

Derzeit stauen sich vor allem vor Spanien LNG-Tanker. Hat Europa zu viel Gas eingekauft?

LNG, das bestellt wurde, wird geliefert. Einige Händler haben ihre Schiffe auch in Erwartung guter Absatzmöglichkeiten nach Europa geschickt. Es ist ein gutes Zeichen, denn bei Bedarf lässt sich so recht schnell noch mehr Gas beschaffen. Das hohe Angebot hat bewirkt, dass der Gaspreis an den Terminmärkten deutlich gesunken ist. So sehr, dass manche Händler ihre Schiffe lieber auf Reede liegen lassen, als das Gas jetzt anzulanden. Sie warten auf höhere Preise.

Die Gasspeicher hierzulande sind voll. Wo soll das Gas hin?

Wenn es kalt wird in Deutschland werden sich die Speicher leeren, dann wird frisches Gas benötigt. Auch jetzt schon schwankt der Speicherstand – wenn viel benötigt wird, fließt Gas ab, das dann wieder ersetzt wird. Grundsätzlich ist es unerheblich, ob das zum Beispiel im größten deutschen Speicher in Rheden lagert oder auf drei Schiffen im Atlantik. Wichtig ist, dass es zügig geliefert werden kann, wenn es gebraucht wird.

Ressort: Deutschland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 16. November 2022: PDF-Version herunterladen

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