Interview

Was ist der Unterschied zwischen Ultras und Hooligans?

Gehört der Krawall von Hooligans zum Inventar von Fußball-Turnieren? Und warum sind eigentlich kaum Frauen darunter? Ein Interview mit der Freiburger Soziologin Nina Degele.  

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Und (fast) immer sind es Männer: Englische Fans randalieren in Lille. Foto: afp

Krawalle, Straßenschlachten, Hunderte von verhafteten Randalierern: Die Fußball-EM in Frankreich hat nicht wie ein Sommermärchen begonnen. Gehören die Ausschreitungen von Hooligans mittlerweile zum Inventar von Turnieren? Und warum sind eigentlich kaum Frauen darunter? Darüber sprach Alexander Dick mit der Freiburger Soziologin Nina Degele.

BZ: Frau Degele, in Anlehnung an eine berühmte These des preußischen Generalmajors und Militärdenkers von Clausewitz heißt es heute oft, Fußball sei die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Lässt sich mit Blick auf die aktuellen Ereignisse bei der Fußball-Europameisterschaft sagen, dass Fußball immer mehr die Fortsetzung des Krieges mit dessen ureigensten Mitteln ist?
Degele: Ja. Fußball hat sehr starke militärische Wurzeln. Er wurde erst in den 1920er Jahren ein Massenphänomen mit massiver Unterstützung des Militärs. Wenn man die Sprache anschaut: Da gab und gibt es die "Schlachtenbummler", "Angriff", "Abwehr", "Schuss", "Granate", "Bombe" – das hat eine vehemente militärische Tradition. Und die ist im Fußball enthalten. Kampf ist ein agonaler Lebensstil: Es geht darum einen klaren Feind zu haben, das Revier abzugrenzen, den Feind zu identifizieren und zu schlagen. Wobei ich glaube, dass es bei den Hooligans mit Fußball nicht mehr so rasend viel zu tun hat.
BZ: Deren Auseinandersetzungen sehen in der Tat stark nach Vorsatz aus. Könnte der Anlass also auch ein anderer sein – geht es im Grunde nur noch um Nationalchauvinismus?
Degele: Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und vermuten: Es müssen nicht unbedingt unterschiedliche Nationen sein, eine andere Hooligan-Gruppe würde auch schon genügen. Es geht vor allem um ein Kräftemessen. Man kann den Hooliganismus von den Ultras gut abgrenzen: Die identifizieren sich vollkommen mit dem Verein oder der Nation, während es bei den Hooligans sehr oft Leute sind, die ein ganz normales Leben führen...

BZ:...ist das so?
Degele: Ja, schon. Es sind nicht unbedingt die Verlierer schlechthin, sondern Leute, die – man könnte sagen – eine Art Doppelleben führen. Schauen Sie sich aktuell die russischen Hooligans an: Da sind nicht unbedingt dickbäuchige, vollbesoffene Typen aufgelaufen, sondern eher militärisch durchtrainierte Männer. Die verabreden sich im Internet, für die besteht der Reiz im Sich-Prügeln wie für andere in Extremsportarten. Der Fußball ist dafür eine super Bühne.

BZ: Gibt’s Erkenntnisse darüber, dass der Antrieb, so etwas zu tun, sich verändert hat im Lauf der Zeit? Dass es möglicherweise etwas zu tun hat mit einer zunehmenden Brutalisierung der Gesellschaft?
Degele: Was sich mit Sicherheit auswirkt, sind eine große Mobilität und eine über Gruppen organisierte Kommunikation im Internet. Und die Möglichkeit, auf andere Themen zurückzugreifen: Da gab es zum Beispiel 2014 die Hogesa in Köln – "Hooligans gegen Salafisten".

BZ: Wir reden immer von dem Hooligan – Maskulinum. Der weibliche Anteil tendiert gegen Null, oder? Warum?
Degele: Es gibt wohl auch wenige weibliche Hooligans. Aber wenn Sie fragen, warum, dann würde ich Sie auf die Geschichte verweisen – auf den zitierten militärischen Rahmen. Wo hätten Frauen sich dazugehörig fühlen sollen, wenn sie immer ausgeschlossen waren? Von 1956 bis 1970 war Fußball für Frauen in Deutschland verboten. Wo hätte es da die Möglichkeit geben sollen, eine Identität auszubilden? Bei Männern steht Fußball als maskulines Spielfeld schlechthin. Geprügelt vom Krieg, waren sie nach dem "Wunder von Bern" 1954 wieder wer. Obwohl die Deutschen ihr Land nach dem Krieg auch ungeachtet dessen aufgebaut hätten. Fußball ist als Nationalsport so stark mit Mannsein assoziiert – es heißt ja auch Fußball und Frauenfußball. Das sagt schon alles.

BZ: Aber man könnte doch einwenden, dass mit der Etablierung des Frauenfußballs sich auch eine Aktionsfläche für weibliche Hooligans böte.
Degele: Theoretisch ja, praktisch nein. Weil eben diese militärische Tradition fehlt und weil der Frauenfußball von Anfang an ein Sport war, zu dem ganze Familien gingen. Es gibt schon Fangruppen für Frauenfußball, aber von Hooligans habe ich nichts gehört. Im Hooliganismus ist ja auch sehr stark ein gewalttätiger Machismus-Stil – das würde bei Frauen gar nicht passen. Was sollten die dann sein: Ultra-Tussies oder Ultra-Kampfmaschinen?

BZ: Die Frau als Kampfmaschine ist eine männliche Projektion – aus Comics kennen wird das...
Degele: . . . klar. Aber Frauenfußball hat einfach auch gesellschaftlich nicht den Stellenwert, als dass man dafür Anerkennung bekommen könnte. Fußball ist ja auch, wie mir ein Journalist sagte, eine nationale sexuelle Orientierung. Da ist etwas dran – dass da die Fußballmänner den -frauen die Szene überlassen, ist sehr unwahrscheinlich.
Im Hooliganismus ist
sehr stark ein gewalttätiger

Machismus-Stil

BZ: Dann müssen wir allerdings die Frage nach der Disposition stellen: Ist sie historisch, erziehungsbedingt oder gar genetisch?
Degele: Von mir werden Sie ganz bestimmt nichts zu genetischen Dispositionen hören (lacht). Ich würde es historisch kontextualisieren. Es gibt gewalttätige Frauen, aber dass sich das nicht zu Hooligans in der Form ausgebildet hat, ist historisch erklärbar. Und durch die Bedeutung, die Fußball hat.
BZ: Zurück in die Gegenwart. Diese Europameisterschaft ist eine Woche alt und hat schon einiges an Ausschreitungen erlebt. Müssen wir mit einer weiteren Zunahme dieses Phänomens rechnen?
Degele: Studien dazu sind mir nicht bekannt. Aber Dokumentationen über EM’s und WM’s sagen einiges aus. Bei der EM 2012 in Polen/Ukraine ist relativ wenig passiert. 2008 sind 150 Hooligans verhaftet worden. Und natürlich gibt es Risikospiele bei ganz bestimmten Ländern, etwa bei Derbys zwischen Deutschland und Polen oder Kroatien, Türkei, Russland. In Marseille waren aktuell ja auch französische Hooligans beteiligt – die Küstenstadt hat hohe Symbolkraft mit vielen Migranten. Ich glaube, dass da viele verschiedene Gründe zusammenkommen. Der Hooliganismus ist nicht neu, er wird als Problem sicher nicht verschwinden. Es geht also um die Frage, wie man am sinnvollsten damit umgeht – und offensichtlich war die französische Polizei damit überfordert, weil sie zu sehr auf mögliche Terrorgefahren konzentriert ist.

BZ: Wir müssen uns also an den Gedanken gewöhnen, dass solche Begleiterscheinungen bei Sportgroßereignissen Normalität sind.
Degele: Ja, wir leben ja schon seit einiger Zeit damit. Ich fürchte, es wird nicht einfach so vergehen. Denn dafür hat es zu viel öffentliche Aufmerksamkeit.

Nina Degele, Jahrgang 1963, ist Professorin für Soziologie und empirische Geschlechterforschung in Freiburg.

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