Wenn man stundenlang nur flüstern darf
PREMIERE AM THEATER FREIBURG (II): "Das Tagebuch der Anne Frank" als Projekt für Jugendliche und Schauspieler.
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Vier Monate lang haben acht junge Menschen aus dem "Theaterlabor" sich gemeinsam mit Ina Annett Keppel (Regie) und Michael Kaiser (Dramaturgie) mit Anne Frank beschäftigt. Zum einen mit der dramatisierten Fassung des Tagebuchs, die auf dem Drehbuch von Frances Goodrich und Albert Hackett aus dem Jahr 1959 basiert. Zum anderen mit der Biografie des 1929 geborenen jüdischen Mädchens, das im Alter von 15 Jahren im KZ Bergen-Belsen starb, nachdem es sich mit sieben anderen Menschen zwei Jahre lang in einem Amsterdamer Hinterhaus vor den Nazis versteckt hatte.
"In der Auseinandersetzung mit Anne Frank war es uns von Anfang an wichtig, die Perspektive der jugendlichen Projektteilnehmer im Blick zu behalten: Wir wollten stets überprüfen, welche Verbindungen wir von Anne zu uns und zur Gegenwart, in der wir leben, ziehen können", heißt es auf dem Programmzettel. Im Januar, so erfährt der Leser weiter, ist man darum in eine Hütte auf den Feldberg gefahren – ein Selbstexperiment.
Die Aufgabe war, sich einzufühlen: Wie ist es, mehrere Stunden gemeinsam in einem Raum zu verbringen, nur zu flüstern, nichts zu essen, nicht zur Toilette zu gehen? Via Video-Tagebuch, eingebaut ins Stück, das nun hinter der Bücherwand stattfindet, werden dem Zuschauer die Erkenntnisse mitgeteilt: "Als hätte man die Pause-Taste gedrückt fürs Leben", so hat es eine junge Frau erfahren.
Nur: Für Anne Frank und ihre Mitgefangenen war es keine Pause-Taste im Leben. Es ging nicht um ein Experiment, das hieß: Mal sehen, ob Ihr es schafft, zwischen acht und 16 Uhr keinen Lärm zu machen! Ihnen drohten Verrat, Verschleppung und Tod, wenn man sie hörte.
Bis zur Videoeinspielung hat sich das Unbehagen der Rezensentin gesteigert. Die Distanz zwischen dem Zuschauer und dem, was auf der Bühne geschieht, ist himmelhoch. Das Herz rührt sich nicht, nur der Verstand registriert, dass diese acht jungen Menschen sich bemühen, Geschichte nachzuvollziehen. Ehrenvoll, absolut notwendig – aber sind wir in der Schule? Nein, im Theater, wo es gilt, das Publikum zu berühren.
Doch Sophia Emmerich sei Dank! Ihre Anne Frank wird rechtzeitig lebendig. Sie spielt und spricht hingebungsvoll; die Szene, in der sich zwischen ihr und Peter van Daan (Marlon Ketterer) zarte Liebesbande spinnen, ist zauberhaft poetisch. Solches Spiel bewirkt, dass die berührte Seele den Verstand mitnimmt. Und auch die anderen Schauspieler auf der Bühne geben ihr Bestes. Wenn sie nur nicht zwischendurch immer wieder sich selbst ins Spiel bringen müssten – etwa, in dem sie sagen, was sie nachts tun, wenn sie aus einem Alptraum aufwachen. Denn das ist – pardon – so banal. Es marginalisiert das, worum es hier geht: Um das Schicksal der Verfolgten, um den Respekt vor ihrem Überlebenswillen. Nur, was das Herz begriffen hat, bleibt. Starker Applaus, gemischte Gefühle.
– Weitere Aufführungen: 13., 17., 18., 22. und 25. Mai, jeweils 18 Uhr, Werkraum Theater Freiburg. BZ-Kartenservice 01805/556656*
*01805: 0,14 €/Min. aus dem dt. Festnetz, Mobilfunk max. 0,42 €/Min.
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