Pflege

Werden Bedürftige allein gelassen? Protest gegen Gesetz

Notwendiger Abbau von Bürokratie oder Kahlschlag beim Schutz von pflegebedürftigen Menschen? An einem neuen Pflegegesetz des Landes scheiden sich die Geister. Nun hat der Landtag beraten.  

Mail

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
1/4
Die Verbände fürchten, dass Bedürftige nicht mehr geschützt werden künftig. Foto: Katharina Kausche/dpa

Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa).
Die BZ-Redaktion hat diese Meldung nicht redaktionell bearbeitet.

Stuttgart (dpa/lsw) - Der Sozialminister spricht von Bürokratieabbau und praxistauglichen Regeln - doch Sozialverbände sorgen sich um den Schutz von Pflegebedürftigen und die Opposition warnt, dass der Südwesten ein Eldorado für Dumping-Pflege werden könnte: An einem geplanten Pflegegesetz der Landesregierung scheiden sich die Geister.

15 Verbände protestierten nun vor dem Landtag gegen das geplante Teilhabe- und Pflegequalitätsgesetz. Sie monieren, dass Pflegebedürftige künftig stärker sich selbst überlassen und nicht mehr ausreichend geschützt würden. Anschließend befasste sich der Sozialausschuss mit dem Thema. Dort sprachen sich mehrere Verbandsvertreter und Experten für die Änderungen aus, etwa die Liga der freien Wohlfahrtspflege, ein Vertreter eines Landratsamts oder eine Vertreterin der St. Elisabeth-Stiftung, die viele Einrichtungen im Land betreibt. Aber es gab auch Kritik. Um diese Punkte geht es bei dem Streit:

Pflege-Wohngemeinschaften 

Ambulant betreute Pflege-Wohngemeinschaften werden künftig nicht mehr von der Heimaufsicht kontrolliert. Die kommt bislang in den ersten drei Jahren einmal jährlich oder anlassbezogen. Künftig sollen diese Kontrollen wegfallen. Die Heimaufsicht prüft vor allem bauliche Anforderungen sowie Personalvorgaben, etwa, ob den Bewohnern genug Wohnfläche und Rückzugsmöglichkeiten zur Verfügung stehen oder ob die Sanitäreinrichtungen barrierefrei sind. Der Pflegedienst selbst werde wie bisher vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen geprüft, heißt es aus dem Sozialministerium.

Das Bündnis aus 15 Verbänden kritisiert diese Pläne scharf. Darunter sind unter anderem der Sozialverband VdK, der Landesseniorenrat, die Gewerkschaft Verdi und der Landespflegerat. Sie befürchten, dass künftig nicht mehr klar ist, wo Wohngemeinschaften entstehen, wie sie organisiert werden oder nach welchen Grundsätzen dort die Betreuung gestaltet wird. Auch gebe es dann keine unabhängige Beschwerdemöglichkeit mehr, an die sich Bewohner wenden könnten. "Schaffen sie Freiräume, aber keine schutzlosen Lebensräume", kritisierte Gabriele Beck von der Landesarbeitsgemeinschaft ambulant betreuter Wohngemeinschaften Baden-Württemberg im Landtag. 

Laut SPD-Fraktion werden zudem bei jeder zweiten Kontrolle der Heimaufsicht in den Wohngemeinschaften Mängel festgestellt. SPD-Gesundheitsexperte Florian Wahl fürchtet massive Auswirkungen auf die Pflegelandschaft im Südwesten. Die meisten Träger hätten das Wohl ihrer Bewohner im Blick. Es gebe aber auch Träger, denen es nur um Geld gehe. "Baden-Württemberg kann dadurch zu einem Eldorado der Dumping-Pflege werden, denn nach dieser vollkommenen Deregulierung würde unser Land die schwarzen Schafe der Branche anziehen wie das Licht die Motten."

Sozialminister Manne Lucha (Grüne) weist die Kritik zurück. Selbstbestimmung und Sicherheit blieben unangetastet, teilte er jüngst mit. "Die in den Wohngemeinschaften lebenden Pflegebedürftigen sind nicht schutzlos, da die ambulanten Pflegedienste, die von den WG-Bewohnerinnen und Bewohnern in Anspruch genommen werden, vom Medizinischen Dienst geprüft werden." Man schaffe mit dem Gesetz klare und praxistaugliche Regeln, die den Einrichtungen mehr Zeit für die Menschen gebe, statt sie in unnötiger Bürokratie zu fesseln.

Mitsprache

Mit dem Gesetz wird außerdem die bisher verpflichtende Mitsprache von Bewohnerinnen und Bewohnern in Pflegeheimen durch einen Heimbeirat abgeschafft. Der Gesetzentwurf sieht künftig nur noch vor, dass die Einrichtungen die Mitwirkung gewährleisten und fördern sollen. Das Sozialministerium argumentiert, dass sich vielerorts nicht genügend Personen fänden, die in den Heimbeiräten wirken wollten.

Die Sozialverbände kritisieren das scharf und fürchten, dass Bewohnerinnen und Bewohner damit künftig eines ihrer wichtigsten Beteiligungsinstrumente verlieren. "Die vorgesehene Abschwächung der Mitwirkung bedeutet de facto einen Ausschluss der Betroffenen von Entscheidungen, die ihr tägliches Leben und ihre Lebensqualität unmittelbar betreffen", schreiben die 15 Verbände. Hans-Josef Hotz, Vorsitzender des Sozialverbands VdK, betonte im Landtag, die Heimbeiräte seien wichtig für die Bewohner, um bei Beschwerden die Anonymität zu wahren. "Sie sind für den Schutz im Alltag von elementarer Bedeutung." Bürokratieabbau dürfe nie dazu führen, dass zentrale Schutzrechte abgebaut würden.

Kontrollen

Auf Kritik stößt auch eine geplante Neuregelung bei den Kontrollen von Pflegeheimen. Bislang müssen Pflegeheime grundsätzlich einmal pro Jahr von der Heimaufsicht, die bei den Landkreisen angesiedelt ist, kontrolliert werden. Die Prüfungen erfolgen in der Regel unangemeldet. Zudem gibt es anlassbezogene Prüfungen, etwa wenn sich Bewohner oder Angehörige beschwert haben.

Mit dem Gesetzentwurf will das Land die Abstände zwischen den Regelkontrollen in Heimen ausdehnen. Künftig soll nicht mehr jede, sondern nur noch knapp jede dritte Einrichtung jährlich kontrolliert werden. Welche genau, entscheidet die Heimaufsicht. Mindestens alle fünf Jahre soll so jede Einrichtung geprüft werden. Die anlassbezogenen Kontrollen sollen weiter bestehen bleiben - und auch die Überprüfungen durch den Medizinischen Dienst, der die Qualität der Pflege in den Einrichtungen kontrolliert.

© dpa‍-infocom, dpa:251203‍-930‍-372422/3

Weitere Artikel