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Wie viel Testosteron darf sein?

Johannes Dieterich
  • Sa, 28. April 2018
    Leichtathletik

Der Leichtathletik-Weltverband beschließt neue Regeln / Südafrikas Regierungspartei bezeichnet diese als unfair und rassistisch.

Die Kontroverse um die Läuferin Caster Semenya dauert bereits neun Jahre  an.   | Foto: dpa
Die Kontroverse um die Läuferin Caster Semenya dauert bereits neun Jahre an. Foto: dpa

JOHANNESBURG. Die Entscheidung des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF), für Langsprinterinnen und Mittelstreckenläuferinnen Höchstwerte des Testosteron-Hormons festzusetzen, hat in Südafrika einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Südafrikas Regierungspartei, der Afrikanische Nationalkongress (ANC), brandmarkte die IAAF-Entscheidung als "äußerst unfair, ungerecht und rassistisch".

"Diese Regelungen sind eine schmerzliche Erinnerung an unsere Vergangenheit, in der eine ungerechte Regierung absichtlich Gesetze einführte, um einen Teil der Bevölkerung von der Gesellschaft auszuschließen", hieß es von der ANC. Sportministerin Toko Xasa wertete den Beschluss der IAAF als neuerliche Attacke gegen die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya: Die Weltmeisterin und Olympiasiegerin im 800-Meter-Lauf solle auf diese Weise von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen werden.

Dass der IAAF-Beschluss weithin als eine gegen die Ausnahmesportlerin gerichtete "Lex Caster" betrachtet wird, hat Gründe. Die von der Regelung betroffenen Disziplinen decken ausgerechnet die Stärken der 27-Jährigen ab: den 400-, 800- und 1500-Meter-Lauf. In der Begründung für die Entscheidung hebt die IAAF ihre Verantwortung hervor, "gleiche Ausgangsvoraussetzungen für alle Athletinnen zu schaffen" und "klare Kriterien" für die Einteilung in Männer und Frauen zu benennen: "Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass Testosteron – ob auf natürliche Weise im Körper hergestellt oder injiziert – eine bedeutende Leistungsverbesserung bei Athletinnen hervorbringt", heißt es in einer IAAF-Erklärung.

Der südafrikanische Sportwissenschaftler Ross Tucker weist allerdings darauf hin, dass dieser Vorteil auch bei Hammerwerferinnen und Stabhochspringerinnen nachgewiesen wurde, die von der IAAF-Regelung nicht betroffen sind, während die Auswirkungen beim 1500-Meter-Lauf nicht nachweisbar gewesen seien: Trotzdem wurde diese von Semenya praktizierte Disziplin in den Kanon der Restriktionen aufgenommen.

Als Grenzwert für den Testosteronwert unter Frauen legte die Athletikbehörde fünf Nanomol pro Liter Blut fest: Üblicherweise liegt dieser Wert bei Frauen zwischen 0,12 und 1,79 nmol/L, bei Männern zwischen 7,7 und 29,4. Will eine Sportlerin trotz eines erhöhten Testosteronspiegels in den erwähnten Disziplinen antreten, muss sie durch Medikamente ihren Hormonwert senken und über mindestens sechs Monate auf diesem Niveau halten – oder als Mann antreten. Angaben des Sportwissenschaftlers Tucker zufolge haben die Hormonpillen starke Nebenwirkungen: "Vergleichbar den Folgen, die eine Frau beim Eintritt in die Wechseljahre erlebt."

Die Kontroverse um Caster Semenya geht bereits neun Jahre, bis zur Weltmeisterschaft in Berlin 2009, zurück. Damals wurde die Athletin mit der dunklen Stimme und dem muskulösen Körperbau zu einem Geschlechtstest genötigt, was in Südafrika heftige öffentliche Proteste auslöste. Semenya durfte schließlich als Frau antreten: In ihrem Körper sei allerdings ein stark erhöhter Testosteronspiegel festgestellt worden, hieß es. Der genaue Wert wurde jedoch nicht bekannt gegeben. Danach trat die Läuferin bei zahlreichen Wettbewerben auf: Sie wurde zweimal Weltmeisterin, gewann eine Olympia-Goldmedaille (2016) und holte sich in diesem Monat bei den Commonwealth-Spielenin Australien zweimal Gold – über 800 und 1500 Meter.

Unterdessen hatte die indische Kurzstreckenläuferin Dutee Chand ihren Ausschluss von einem Wettkampf wegen zu hoher Testosteron-Werte vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) angefochten und im Jahr 2015 Recht bekommen: Das Schiedsgericht forderte die IAAF auf, sich klarere Regeln zur Abgrenzung von Sportlerinnen und Sportlern zu geben. Die IAAF gab daraufhin eine Studie in Auftrag und veröffentlichte deren Ergebnisse im Juli 2017. Danach haben Frauen mit hohen Testosteron-Werten Vorteile im Bereich von 1,8 bis 4,5 Prozent in den Disziplinen 400 Meter, 400 Meter Hürden, 800 Meter, Hammerwurf und Stabhochsprung. Auf diesen Ergebnissen gründen sich die jetzt beschlossenen Regelungen, die am 1. November in Kraft treten, zumindest teilweise. Sportwissenschaftler Tucker ist sich indes sicher, dass auch dieses Regelwerk vor dem CAS keinen Bestand haben wird: Südafrikas Regierungspartei kündigte an, den IAAF-Beschluss vor die Lausanner Behörde zu bringen.

Caster Semenya, die in Südafrika längst wie ein Idol verehrt wird, reagierte auf die wiederaufgeflammte Debatte per Twitter-Nachricht. "Ich bin mir 97 Prozent sicher, dass die (von der IAAF) mich nicht leiden könnt", heißt es darin: "Und 100 Prozent sicher, dass mir das egal ist."

Ressort: Leichtathletik

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