"Weihnachten ist etwas für die Seele"

Wie zwei Ukrainerinnen in diesem Jahr Weihnachten ohne ihre Familie erleben

In der Ukraine wird Weihnachten Anfang Januar gefeiert. Viele im Kreis lebende Geflüchtet werden dann ihre Familien sehr vermissen.  

Zu den Kommentaren
Mail

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
1/3
Foto: Ruth Seitz
Weihnachten ist das Fest der Familie. Gemeinsam am Tisch sitzen, essen feiern – viele genießen diese Zeit. Doch viele können diese Zeit nicht genießen, weil sie ohne ihre Familien sind, weil ein Teil der Familie fehlt. Menschen, die aus ihre Heimat flüchten mussten, vor Hunger, Krieg oder Gewalt, sind oft alleine. Auch viele Menschen, die in diesem Jahr aus der Ukraine vor dem Krieg geflohen sind, verbringen Weihnachten ohne ihre Familien – vor ohne Ehemänner und Väter. Viele Ukrainer sind orthodoxen Glaubens und feiern Weihnachten am 6. und am 7. Januar – wie hierzulande mit Familie und Freunden.

"Wenn es an Heilig Abend, also dem 6. Januar, in Saporischschja dunkel wird und der erste Stern am Himmel steht, dann versammelt sich die ganze Familie um den Tisch", erzählt Tetjana Orlowa. Die Lehrerin ist mit ihrer Tochter aus der Ukraine gekommen, lebt in Königschaffhausen und arbeitet nun stundenweise bei der Stadt Endingen als Übersetzerin.

Die ganze Familie sitzt gemeinsam am Tisch

Nicht nur Vater, Mutter und die Kinder sitzen am Tisch, sondern die ganze große Familie, betont Tetjana Orlowa. Auf dem Tisch stehen zwölf Speisen, die Hauptspeise ist Kutja – ein süßer Brei aus gekochten Körnern, Nüssen, Rosinen und Honig. Damit beginnt das Abendessen. Jeder, der am Tisch sitzt, isst einen Löffel davon – das älteste Familienmitglied zuerst, in der Regel der Großvater, dann die Großmutter. "Besonders in den Dörfern wird das noch sehr gepflegt", erzählt Tetjana Orlowa. Dann, am 7. Januar steht alles auf dem Tisch: Piroggen, Pfannkuchen, Borschtsch. "Die Frauen bei uns kochen sehr gerne", erzählt sie weiter. An Weihnachten ist es wichtig, dass viel auf dem Tisch steht – auch Fleisch. Denn vor Weihnachten fasten die Angehörigen orthodoxen Glaubens: Dann gibt es kein Fleisch, keine Eier, keine Milchprodukte.

Ein Weihnachtsgruß für jeden

Die Kinder besuchen an Weihnachten ihre Paten, bringen ihnen Kutja. Sie ziehen sich schön an, gehen von Tür zu Tür und singen, bekommen kleine Süßigkeiten dafür. Wer an Weihnachten aus dem Haus geht, richtet einen Weihnachtsgruß an alle, die ihm begegnen – "egal, ob gläubig oder nicht, das ist Tradition", sagt Tetjana Orlowa. Gerade in den Dörfern verbringen die Menschen viel Zeit miteinander. "Weihnachten ist etwas für die Seele bei uns", sagt Tetjana Orlowa, "da liegt etwas ganz Besonderes in der Luft, das muss man einfach erleben." Ganz wichtig ist auch der Weihnachtsbaum.

Was für Tetjana Orlowa wichtig ist, die zum ersten Mal in Deutschland Weihnachten feiern wird: Dass sie allen Menschen, die ihr und den vielen anderen Geflüchteten helfen, Danke sagen kann. "Sie haben uns nicht nur Unterkunft geben, sondern auch ein Stück ihrer Seele, das ist nicht selbstverständlich." Gerade die vielen kleinen Gesten – ein Blumenstrauß in der neuen Wohnung, ein schnelles Medikament im Notfall – seien es, die helfen und trösten, sagt Tetjana Orlowa: "Diese Wärme ist etwas ganz Besonderes."

Ganz anders aufgewachsen ist Iryna Dieterle in der Ukraine. Sie ist in Sumy geboren, lebt nun seit drei Jahren hier, hat einen deutschen Mann. Sie ist in einer kommunistischen Familie groß geworden, in der Weihnachten kein Thema war – bis ins Jugendalter hatte sie noch nie etwas von Weihnachten gehört, alle seien Atheisten gewesen, erzählt sie.

Mit den Gedanken bei der Familie in der Ukraine

Dann kam sie in Kontakt mit Protestanten, wandte sich dem Glauben zu. Später wurde Weihnachten nach dem orthodoxen Glauben gefeiert. Sie erzählt wie Tetjana Orlowa von Kutja und den zwölf Speisen auf dem Tisch. Auch in Odessa, wo sie fünf Jahre gelebt hat, sei dieser Brauch gepflegt worden. Später hat sie auch Weihnachten in der Westukraine nahe der rumänischen Grenze kennengelernt. Und dort, so erzählt sie, wird Weihnachten am 6. und 7. Januar "echt groß" gefeiert. Die Menschen kaufen sich Festtagskleidung, putzen das Haus, richten es festlich her - "Sviata" wird diese Zeit genannt. Auch sie kennt den Brauch, dass Kinder und Jugendliche singend von Tür zu Tür gehen, die Menschen in den Dörfern zusammen feiern, sich besuchen. In diesem Jahr hat Iryna Dieterle mit 150 Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, vergangene Woche ein Weihnachtskonzert in Ettenheim veranstaltet. Jede Familie hat ein ukrainisches Gericht mitgebracht, alle haben zusammengessen. Keiner war allein, aber vermutlich oft mit den Gedanken in der Heimat und bei der Familie. So wie auch Tetjana Orlowa.
PDF-Version herunterladen Fehler melden

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel