Account/Login

Zensierte Gipfel

  • Carsten Hoefer und Annette Reuther (dpa)

  • Mi, 23. Februar 2022
    Panorama

Politische Korrektheit gab es bereits im 19. Jahrhundert – und sie machte auch vor den Bergen in den Alpen nicht Halt.

Der Bscheißer in den Allgäuer Alpen  | Foto: Carsten Hoefer (dpa)
Der Bscheißer in den Allgäuer Alpen Foto: Carsten Hoefer (dpa)

. Schmucke Dörfer, blühende Bergwiesen, hohe Gipfel – das Allgäu ist unbestritten eine der lieblichsten Regionen Deutschlands. Weniger idyllisch sind die Namen, mit denen die Bauern einst einige ihrer schönen Berge bezeichneten: Bscheißer, Hundsarsch, Metzenarsch. Doch auf heutigen Landkarten finden sich diese Bezeichnungen nicht mehr. Es handelt sich um frühe Fälle der Bereinigung von als anstößig empfundenen Namen.

Der Bscheißer liegt wenige Kilometer von Bad Hindelang entfernt, über den Gipfel verläuft die Grenze zu Österreich. In offiziellen Veröffentlichungen ist der Berg jedoch nur als Bschießer zu finden. Die korrekte Bezeichnung findet sich lediglich auf den örtlichen Wanderwegweisern. Was ist der Grund? "Diese Form ist natürlich ganz derb, und Bschießer ist eher eine euphemistische Lautveränderung", sagt Wolf Armin von Reitzenstein, Spezialist für Bergnamen und zweiter Vorsitzender des Verbands für Orts- und Flurnamenforschung in Bayern. "Diese amtliche Form taucht erst relativ spät auf, noch 1844 heißt der Berg Scheißer oder Bscheißer."

Ein Indiz, wie schwer einst das Leben der Bergbauern war: "Das ist durchaus wörtlich zu nehmen für Berge, die gefährlich sind, da sie Steine herunterlassen", sagt Reitzenstein. "Es gibt da auch die Namen Schüsser, Hochscheißer und Fürschießer. Damit ist besagt, dass Lawinen oder Geröll herabfallen können, was natürlich für die Almwirtschaft gefährlich sein kann." Behördlich zensiert wurden demnach auch Hunds- und Metzenarsch. Ersterer heißt seit über hundert Jahren Vilser Kegel, Letzterer wurde zur Kellespitze. Beide sind nahe des Bscheißer/Bschießer auf Tiroler Territorium gelegen, gehören aber noch zu den Allgäuer Alpen.

Metze ist eine alte Bezeichnung für Prostituierte. "Das Wort Metze geht letztlich auf Maid zurück", sagt Reitzenstein. "Es muss also nicht eine Hure sein, der Name des Berges ist aber sicher besonders negativ gemeint." Bayerns bergbegeisterte Königin Marie, die Mutter Ludwigs II., soll einst ihren Führer nach dem Namen des auffälligen Felsgipfels gefragt haben. Dieser erfand laut Überlieferung spontan den neuen Namen Kellespitze, weil er Metzenarsch für unzumutbar hielt.

Derartige Indizien, dass Bergnamen im Zuge der Verkehrsanbindung einst abgeschiedener Täler und des allmählich einsetzenden Fremdenverkehrs geändert beziehungsweise geschönt wurden, gibt es auch andernorts im Alpenraum. So war Österreichs höchster Gipfel, der Großglockner, ursprünglich bloß der Glockner. Und der Großvenediger trug bis Ende des 18. Jahrhunderts den weniger beeindruckenden Namen Stützerkopf. Allerdings haben viele Berge ihre skurrilen Namen bis heute behalten, vom Hundstod in den Berchtesgadener Alpen bis zum Saurüssel, einer unbedeutenden Erhebung im Mangfallgebirge.

"Diese Namen sind nicht sehr schön, rühren aber aus den Vorstellungen der örtlichen Bevölkerung her", sagt Reitzenstein. "Derbe Flurnamen kommen aber auch im Flachland durchaus vor." Beispiele wären Galgenbühel oder Galgenmühle.

Ein Beispiel für so etwas wie frühes Gendering – also die Einbeziehung des Geschlechteraspekts – liefert Deutschlands höchster Gipfel: Die Zugspitze war ursprünglich der Zugspitz. Grund war – anders als heute – die Sprach- und nicht die Geschlechterpolitik, da die Namen der Berge dem hochdeutschen Sprachgebrauch angepasst wurden. "Der Spitz, in Bayerisch mit langem i gesprochen, ist männlich", sagt Reitzenstein. "Die Bergnamen mit Spitze sind erst später im 19. Jahrhundert verweiblicht worden."

Am Beispiel der Zugspitze lässt sich aber auch heute noch die ursprünglich männliche Form erkennen. "Es gibt den Zugspitzgipfel und die Zugspitzbahn, also nicht den Zugspitzengipfel und die Zugspitzenbahn", sagt Reitzenstein. Heutzutage liefert die Zugspitzbahn allerdings auch das Gegenbeispiel für die bewusste Verdrehung eines harmlosen Bergnamens ins Anzügliche. "Wank mal wieder", wirbt das Unternehmen für seine Seilbahn auf den Gipfel des gleichnamigen Berges in Garmisch-Partenkirchen: "Höhepunkt auf 1780 Metern". Der Wank ist wegen seines Panoramablicks ein beliebtes Ausflugsziel.

Eigentlich bedeutet Wank "Hang", daher gibt es auch mehrere Orte dieses Namens. Anzüglich wird es auf Englisch, denn "to wank" bedeutet "wichsen". Kein Grund zum Schämen, dachten sich die Marketingleute in Garmisch-Partenkirchen. "In Garmisch sind ja viele Amerikaner, die sind auf dem Wank immer schier zusammengebrochen vor Lachen", sagt Klaus Schanda, Marketingchef der Zugspitzbahnen. "Wir wollten den Berg verjüngen und das Wortspiel und die Doppeldeutigkeit nicht ungenutzt lassen."

Der zuständige Werber Nic Nagel und Schanda sind von der Wirksamkeit der Kampagne überzeugt: "Die Amis finden das witzig, wir bekommen positive Reaktionen. Nur wenige fragen: "Leute wisst ihr eigentlich, was das bedeutet? Das könnt ihr doch nicht machen."

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 23. Februar 2022: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel