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... Barbara Schmidle, die mit Drohne und Wärmebildkamera Rehe vor der Mähmaschine retten will

AM WALDRAND MIT ...: "Das erste Kitz vergisst man nicht"

Patrik Müller
  • Sa, 12. Mai 2018
    Südwest

     

Barbara Schmidle   | Foto: Patrik Müller
Barbara Schmidle Foto: Patrik Müller
Irgendwo muss es sein. Hier könnte es liegen, auf dieser Wiese zwischen Sexau und Emmendingen, eng an den Boden gekauert und gut getarnt im hohen Gras. Surrend schwebt die Drohne über dem Boden, rote und grüne Lichter blinken am blaugrauen Himmel. Barbara Schmidle steht am Waldrand. Sie steuert das Fluggerät mit einer Fernbedienung, die sie sich vor den Bauch geschnallt hat, ein Bildschirm zeigt Landkarte und Flugroute an. Sie hat nicht viel Zeit zum Reden an diesem Morgen. Die Vorsitzende des Vereines Reh-Rettung Hegau-Bodensee will mit Drohne und Wärmebildkamera Kitze retten. Die Sonne geht auf, mit jeder Minute steigt die Temperatur. Die Kitze sind dadurch schwerer von der Wärmebildkamera auszumachen – und irgendwann kommt der Bauer mit der Mähmaschine. Patrik Müller hat mitgesucht.

Schmidle hat Stress. Am Abend hat sie sich noch mit ihren beiden Vereinskollegen und dem Jäger die Wiesen angeguckt, nach wenigen Stunden Schlaf ist sie aufgestanden und hat sich eine neongrüne Funktionsjacke angezogen. Es ist kühl, als sie gegen fünf Uhr morgens ins Auto steigt. Der fahle Mond steht am Himmel, Tau bedeckt das Gras. Sie arbeiten zu dritt. Schmidle ist die Pilotin, sie steuert die Drohne. Dieter Prahl ist der Koordinator und Ersatzmann. Julia Muffler ist die Spotterin, die auf einem kleinen Monitor die Livebilder der fliegenden Kamera anguckt und nach der Wärmesignatur des Rehkitzes auf der Wiese sucht. Ein gelber Fleck auf dem flackernden Bildschirm kann ein Treffer sein – aber auch ein Baumstamm, ein Strauch oder ein Stein, der Wärme speichert. "Man braucht Zeit", erzählt Schmidle später.

Doch Zeit ist das, was die Retter nicht haben. Rehmütter legen ihren Nachwuchs oft im hohen Gras ab. Dort lassen sie die Kitze liegen, kommen nur zum Säugen vorbei. Das Verhalten hat Vorteile. Neugeborene Rehe haben kaum Eigengeruch, Raubtiere sehen die gut getarnten Tiere nicht. Das Problem: Kitze haben in den ersten Lebenswochen keinen Fluchtinstinkt. Sie laufen nicht weg, sondern kauern sich zusammen, wenn der Fuchs kommt – oder der Traktor. Der Deutsche Tierschutzbund schätzt, dass 100 000 junge Rehe im Jahr unter der Mähmaschine sterben.

Schmidle ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Sie weiß, wie ein Reh aussieht, das in seinem Blut auf dem Feld liegt. "Das ist ein Problem, das es schon sehr lange gibt", sagt die 40-Jährige. "Jetzt gibt es endlich eine technische Lösung." Im Sommer 2015, erzählt sie, sah sie im Fernsehen einen Bericht über die Rehkitzrettung per Drohne. Sie suchte Mitstreiter, sammelte Geld, für rund 12 000 Euro kaufte der Verein das erste Fluggerät samt Ausrüstung. "Das Teuerste war die Kamera", sagt Schmidle, die Betriebswirtschaft studiert hat.

28 Kitze haben die Reh-Retter im Jahr 2016 aus der Wiese geholt, 38 im Jahr 2017. Es läuft an. Meistens arbeiten sie mit dem Jagdpächter zusammen, der sie um Hilfe gebeten hat. Der wiederum hält Kontakt zu den Landwirten, die ihm erzählen, wann sie mähen wollen. Wenn die Helfer ein junges Reh entdecken, ziehen sie sich Latexhandschuhe an und bringen es in Sicherheit, bis die Wiese gemäht ist. "Das erste Kitz vergisst man nie", sagt Schmidle. Ihres lag in einer Wiese bei Stockach, erzählt sie, es war im April vor zwei Jahren, der Landwirt hatte die Reh-Retter angerufen. "Ich habe auch schon mal einen Jäger erlebt, der Tränen in den Augen hatte."

Schmidle, die in einem Ortsteil von Radolfzell lebt, ist Vegetarierin. "Es gefällt mir nicht, wie manche Tiere gehalten und geschlachtet werden", sagt sie. Gegen Jäger hat sie nichts. "Ich habe überhaupt kein Problem, wenn Wild waidgerecht erlegt wird", sagt sie. Manchmal hört sie Kritik: "Die Leute sagen: Ja, jetzt holt ihr die Kitze raus, dann werden sie geschossen. Ich trenne das eine aber vom anderen." Axel Mayer, Geschäftsführer des Bundes Umwelt und Naturschutz Deutschland in Freiburg, bezeichnet die Reh-Rettung als schönes, sinnvolles Projekt – "in einer winzigen örtlichen Nische". Er weist auf das grundsätzliche Problem für Bodenbrüter hin: Früher wurden Wiesen zwei Mal im Jahr gemäht. Heute, im Zeitalter von Hochleistungspflanzen und Turbodünger, kommt die Maschine häufiger.

An diesem Morgen finden die Reh-Retter kein einziges Kitz. Kurz nach zehn Uhr brechen sie die Suche ab, die Sonne steht zu hoch. Später läuft der Jäger mit seinem Hund über die gemähten Wiesen. Er findet – nichts. "Es tut weh, wenn man ein Kitz übersehen hat", sagt Schmidle. "Das gibt es in jeder Saison. Man sieht es nicht. Man konnte mit der Drohne nicht nah genug am Waldrand fliegen. Oder es sind ein paar Stunden vergangen zwischen Überflug und Mahd."

Der Ausflug nach Südbaden war Zufall. Bei einem Seminar hatte Schmidle den Sexauer Jagdpächter Joachim Göhringer kennengelernt, der hatte sie eingeladen. Meistens sind die Reh-Retter am Bodensee unterwegs, immer am frühen Morgen, in der Saison sieben Tage in der Woche. Vor kurzem haben sich die Reh-Retter noch eine Drohne gekauft, können ein zweites Team losschicken. Sie können trotzdem nur einen kleinen Bruchteil der Wiesen absuchen. "Die Idee muss sich verbreiten", sagt Schmidle. Eine Sache stimmt sie optimistisch: "So ein Kitz berührt jeden – einen besseren Imageträger gibt es nicht."

Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 12. Mai 2018: PDF-Version herunterladen

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