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"Arm sind halt die, wo’s zugeben"

Der Weihnachtsmann tischt nicht überall gleich üppig auf: Manch einer wird nun aus 1-Euro-Läden beschenkt.  

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Jetzt ist Weihnachten schon bedrohlich nah. Und je weniger Tage noch übrig sind, desto mehr Kauflustige tummeln sich in der Innenstadt, um die letzten Besorgungen zu erledigen. Wir wollten wissen, ob der "Weihnachtsmann" nach wie vor bei allen ungebremst schenkt.

Unter den Geschenkekäufern ist auch Anton Lehmann, der sich nach einem Geschenk für seine Enkelin umsieht. Der gelernte Konditormeister, seit einigen Monaten Hartz IV-Empfänger, betritt einen 1-Euro-Laden, in dem ihn eine bunte, märchenhafte Warenwelt empfängt: neben Stapeln von goldenen Adventsaschenbechern für 1 Euro türmen sich rote Plastikherzen, schwarz-rot-goldene Schweißbänder und auch Schürzen mit aufgenähten Brüsten. Kopfschüttelnd geht August an all den Angeboten und an den herumstehenden Kartons vorbei.

Überhaupt hasten die meisten auffallend eilig durch die engen Gänge der Billigläden – für die Jagd auf attraktive Schnäppchen zahlt man den Preis, dass sie eher ungemütlich ist. So achtet auch die kleine Frau in der roten Winterjacke nicht auf die im Hintergrund abgespielte Radiowerbung, die auffordert, "doch einmal den Designershop in Ihrer Nähe" aufzusuchen.

"Man hat ein bisschen das Gefühl, die Leute kaufen nur noch, was sie brauchen", sagt Anton Lehmann. Was seine Enkelin angeht, ist er inzwischen fündig geworden: Eine Tasse mit Tiermotiv hat es ihm angetan. Er wird noch eine Kleinigkeit hineintun. "Momentan ist eben nicht so viel Geld da", erklärt er. Für Anton Lehmann hat der "Weihnachtsstress" damit schon ein Ende: Für seine Lebensgefährtin wird er nichts kaufen, sondern etwas Besonderes backen. Ist es eigentlich schwer für ihn, dass für teure Geschenke kein Geld übrig bleibt? "Ich lebe", wiegelt Anton Lehmann ab, "also ist das kein Thema." Allerdings glaubt er, dass eine solche Situation für Jugendliche schwerer ist: "Die Jungen haben ein ganz anderes Konsumverhalten. Da herrscht viel Neid." Entsprechend hoch ist der Druck.

Janosch und Michael finden das auch. Sie kommen gerade aus dem McDonald’s, tragen schwarze Wollmützen und dicke Daunenjacken. Die Fünfzehnjährigen sind erklärte Modelleisenbahn-Fans. Michael geht auf die Hauptschule, Janosch aufs Gymnasium, und wenn auch beide sagen, dass viel verglichen wird, so lässt sich doch heraushören, dass die sozialen Unterschiede auch oft totgeschwiegen werden. "Es ist ja niemand stolz drauf, arm zu sein", erklärt Janosch. Es sei deshalb "für Jugendliche unglaublich schwer", überhaupt über Armut zu reden. Und so scheinen denn auch Özkan und seine gleichaltrigen Begleiter verunsichert, als wir sie fragen, wie wohl in ärmeren Familien die Weihnachtsbescherung aussieht. Er und seine Begleiter suchen erst mal Rückhalt in den Augen der anderen, bevor sie antworten. Die 11- bis 13-jährigen können es sich am ehesten vorstellen. "Da liegen halt keine Markenartikel und mehr Nützliches unterm Weihnachtsbaum", vermutet Alper, der jüngste in der Gruppe. "Aber", fügt er hinzu, "Marken sind ja auch nicht so wichtig." Das findet auch Özkan. Dabei zeigt die Kleidung der Gruppe, dass ihnen Stil und Klamotten keineswegs egal sind. "Arm sind halt die", sagt Özkan im Weggehen, "wo’s zugeben."

Muss also, wer nicht so wirken will, als ob er knapp bei Kasse ist, großzügig konsumieren? An den Möglichkeiten das zu tun, mangelt es jedenfalls nicht. Edle Konsumtempel gibt es auch in Freiburg. Da werden die Kunden von Nadelstreifenverkäufern empfangen, deren Umgangsformen mindestens so geschliffen wie das Parkett, auf dem sie auf die Kundschaft zueilen. Manchen geht’s beim Geschenkekauf aber noch um etwas anderes. Doris Baumer aus Schallstadt erklärt: "Ich verschenke auf keinen Fall Gebrauchsgegenstände, eher etwas Besonderes." Dem Massenandrang in den Kaufhäusern erteilt die 57-Jährige eine klare Absage. Qualität ist ihr besonders wichtig: "Es ging bei uns nie um viele Geschenke, sondern immer um gute Geschenke." Deswegen bevorzugt sie den traditionellen Einzelhandel. Dort, meint Doris Baumer, wird man auch heute noch sehr persönlich und fachkundig beraten.

"Wir müssen den Blick

dahin lenken,

wo die Regale leer sind."

Schwester Inge, ’s Einlädele
Eine kleine Goldschmiede in der Innenstadt erfüllt solche Erwartungen. Tritt man durch die Türe, begibt man sich eine Oase der Stille. Man fühlt sich geschützt vor der Hektik auf den Straßen und dem Trubel der Kaufhäuser. Unaufdringlich wird nach den Wünschen gefragt – und hier berät auch der Meister persönlich. Er spricht von einem Trend hin zu mehr Originalität. Die Arbeit erfordere gegenüber früher "mehr Fantasie", weil die Kunden keine Ware von der Stange mehr wünschten. Im Gegenteil seien besonders in der Weihnachtszeit Einzelanfertigungen gefragt, die sich durch Individualität auszeichnen, aber erschwinglich bleiben. Erschwinglich, das heißt hier zwischen 240 und 280 Euro. Ein Preis, für den manch einer allerdings auch auf andere, kleinere Geschenke verzichtet.

Völlig anderes erlebt im S’Einlädele Schwester Inge. Da kommen Menschen, die sagen, wissen Sie, ich habe zur Zeit nicht viel. Dann verschenkt Schwester Inge auch schon mal was. Dass sich das häuft, fällt ihr in diesem Jahr besonders auf. Dabei ist es nicht so, dass das, was das "S"Einlädele" anbietet, teuer wäre.

In dem engen Geschäft an der Wannerstraße stapelt sich so allerhand und auf den ersten Blick sieht alles ziemlich chaotisch aus. Erst auf den zweiten Blick erkennt man die liebevolle Auswahl an Nützlichem und Nostalgischem. Draußen stehen Kleiderständer mit Lederjacken und Anzügen, und ein Schild lädt zu einer Tasse Kaffee ein, denn um den Verkauf geht es nur vordergründig. "Alles Leben ist Begegnung" ist das Motto der gemeinnützigen Einrichtung. Drinnen findet man noch mehr Kleidung, dazwischen aber auch ein vollständiges Teeservice, Kerzenständer, Schmuck.

Der Kaffee wird in einem Hinterzimmer serviert, das von meterhohen Wandregalen voller Bücher eingerahmt wird – Taschenbücher für 50 Cent! Hier findet man auch Schwester Inge. Wenn sie vom Weihnachtsgeschäft spricht, überkommt sie Traurigkeit. "Die Leute rennen Weihnachten hinterher, das ganze verkommt zum Kommerz." Sie wünscht sich einen besseren Umgang mit der Geschenkflut und meint: "Wir müssen den Blick dahin richten, wo die Regale leer sind." Sie ist überzeugt: "Die ungerechte Güterverteilung kann niemals Gottes Wille sein!"

Ressort: Zisch

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