Account/Login

Boris Johnson ist erst einmal abgetaucht

Peter Nonnenmacher
  • Sa, 15. Januar 2022
    Ausland

In der Regierungszentrale Downing Street Number 10 wurden Partys gefeiert, die alles andere als corona-regelkonform waren.

Die Queen trauerte einsam um Philipp, als Mitarbeiter des Premier feierten.  | Foto: JONATHAN BRADY (AFP)
Die Queen trauerte einsam um Philipp, als Mitarbeiter des Premier feierten. Foto: JONATHAN BRADY (AFP)
. Viele Briten zeigten sich am Freitag sprachlos nach den neuesten Enthüllungen über Lockdown-Feste in der Regierungszentrale. Die Regierung sah sich gezwungen, Königin Elizabeth II., Großbritanniens Staatsoberhaupt, in aller Form um Entschuldigung zu bitten. Der Zeitpunkt zweier Festivitäten vom April vorigen Jahres, die jetzt ans Licht kamen, sei "zutiefst bedauerlich", habe man der Monarchin versichert, hieß es in Downing Street. Die zwei gleichzeitig in No 10 abgehaltenen Feiern fanden nämlich am 16. April 2021 statt – in der Nacht vor dem Begräbnis von Prinz Philip, zu einer Zeit offizieller nationaler Trauer und strenger Covid-Restriktionen also.

Im nationalen Gedächtnis ist haften geblieben, wie die Königin am 17. April jenes Jahres einsam und schwarz maskiert im Chorgestühl der Windsor-Kapelle saß, um von ihrem langjährigen Gatten Abschied zu nehmen. Die wenigen zugelassenen Familienmitglieder und anderen Gäste der Royals waren auf Haushalte verteilt und strikt auf Abstand während des Gottesdienstes. Mitsingen war ihnen nicht erlaubt. Trauernde Monarchisten wurden gebeten, nicht zum Schloss zu pilgern an diesem Tag.

Den von der Regierung erlassenen Vorschriften zufolge durften sich damals selbst im Freien höchstens sechs Personen aus zwei verschiedenen Haushalten zusammenfinden. In geschlossenen Räumen waren, außer Pflegepersonal und anderen Helfern, keine Mitglieder anderer Haushalte erlaubt. In der Regierungszentrale aber fanden am Abend vor dem Windsor-Begräbnis die beiden Partys statt – eine in den oberen Räumlichkeiten, wo sich Boris Johnsons scheidender Kommunikationsdirektor James Slack von seinen Mitarbeitern verabschiedete. Die andere im Untergeschoss galt dem Abgang eines der Fotografen der Downing Street.

Bei dieser Gelegenheit wurde offenbar getanzt, laute Musik gespielt, viel getrunken und einiges an Wein auf die guten Teppiche verschüttet. Die betreffenden Flaschen hatte man in aller Stille in einem Koffer aus einem nahe gelegenen Supermarkt herbeigeschafft. Anschließend setzten die Teilnehmer beider Veranstaltungen ihre Feiern gemeinsam im Downing-Street-Garten fort.

Bis tief in die Nacht soll sich das Ganze hingezogen haben. Jemand brach dabei angeblich die Schaukel Wilfreds, des kleinen Jungen von Boris und Carrie Johnson, in Stücke. Johnson selbst hielt sich zu dieser Zeit nicht in Downing Street auf. Dass die Feste stattfanden, enthüllte ausgerechnet der rechtskonservative Daily Telegraph, für den der Premier früher einmal gearbeitet hatte.

Zur Entschuldigung, die die Regierungszentrale am Freitag abgab, wollte man sich bei Hofe zunächst nicht äußern. Oppositionspolitikern war das nachträgliche Bedauern aber nicht genug. "Mir fehlen die Worte, was die Kultur und das Benehmen in der Regierungszentrale angeht", meinte Labours Vize-Chefin Angela Rayner. Oppositionsführer Sir Keir Starmer warf Boris Johnson vor, "sein Amt in Verruf gebracht" zu haben, "schockiert" zeigte sich sogar Johnsons Innen-Staatssekretär Damien Hinds.

Dabei sind die Feiern vom 16. April nur die letzten einer Reihe mutmaßlicher Lockdown-Verstöße durch die Regierungsspitze und ihre Mitarbeiter. Diese Woche hatte Premier Johnson zugeben müssen, dass er an (mindestens) einer Party selbst teilgenommen hatte – auch wenn er sie, wie er beteuerte, für "ein Arbeitstreffen" hielt.

Inzwischen wartet man in Westminster auf die Ergebnisse einer der Staatsbeamtin Sue Gray übertragenen Untersuchung all der Party-Vorwürfe. Leider zeichne sich "kein Ende der Enthüllungen" ab, klagte Parlamentarier Andrew Bridgen. Er gehört zu einer Handvoll von Tory-Abgeordneten, die offen für die Absetzung Johnsons eingetreten sind. Auch viele Tories, die noch nicht direkt nach Johnsons Rücktritt rufen, scheinen den Glauben an ihren Parteichef verloren zu haben. Die Popularität Johnsons in der Bevölkerung ist jüngsten Umfragen zufolge stark gesunken. Johnson selbst war am Donnerstag auf wundersame Weise "abgetaucht", nachdem ein Regierungssprecher erklärt hatte, dass sich "jemand in seiner Familie mit Covid infiziert" habe. Der Regierungschef werde darum eine Woche lang "wenig sichtbar" sein.

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 15. Januar 2022: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel