Arbeitsmarkt

Chef der Freiburger Arbeitsagentur: "Es entstehen trotz Krise neue Jobs"

Eine neue Massenarbeitslosigkeit fürchtet der Chef der Freiburger Arbeitsagentur trotz der Wirtschaftsflaute nicht. Im Interview erklärt Alexander Merk, was die Region so stark macht.  

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Während es in der Industrie derzeit ni...nmarkt in den Dienstleistungen weiter.  | Foto: Jens Büttner (dpa)
Während es in der Industrie derzeit nicht so gut läuft, boomt der Stellenmarkt in den Dienstleistungen weiter. Foto: Jens Büttner (dpa)

BZ: BZ: Herr Merk, laut Ökonomen dürfte die Zahl der Erwerbslosen bundesweit demnächst wieder die Schwelle von drei Millionen überschreiten. Stehen wir am Beginn einer neuen Massenarbeitslosigkeit?

Nein. Von Phasen der Massenarbeitslosigkeit früherer Jahrzehnte mit zum Teil mehr als fünf Millionen Erwerbslosen sind wir weit entfernt. Wir sehen auch nicht die Gefahr, dass es in absehbarer Zeit dazu kommt.

BZ: BZ: Wie würden Sie die Lage auf Südbadens Arbeitsmarkt beschreiben?

Trotz der vielen Krisen in aller Welt zeigt sich der Arbeitsmarkt im Bezirk Freiburg – zu dem die Stadt Freiburg zählt sowie die Kreise Breisgau-Hochschwarzwald und Emmendingen – besonders robust. Das liegt auch daran, weil hier die Dienstleistungsbranchen dominieren, die unabhängiger von Schocks in der internationalen Politik und der Weltwirtschaft sind, anders, als es die Industrie ist. Deshalb wird diese Region in Krisenzeiten weniger hart getroffen als andere; umgekehrt geht es hier auch nicht so schnell aufwärts wie andernorts, wenn die Konjunktur brummt. Alles in allem haben wir im Agenturbezirk Freiburg im Vergleich zum Vorjahr das stärkste Beschäftigungswachstum in Baden-Württemberg. Wachstumstreiber sind das ohnehin dominante Gesundheits- und das Erziehungswesen sowie die öffentliche Verwaltung, während es im Verarbeitenden Gewerbe, in den industrienahen Dienstleistungen und bei der Arbeitnehmerüberlassung (also bei der Leiharbeit – d. Red.) Jobverluste gibt.

Alexander Merk  | Foto: Bundesagentur für Arbeit
Alexander Merk Foto: Bundesagentur für Arbeit

BZ: BZ: Trotz der schlechten Wirtschaftslage klingen Sie zuversichtlich.

Ja, es entstehen trotz Krise neue Jobs. Die Prognose sieht für den Agenturbezirk Freiburg in diesem Jahr ein Beschäftigungswachstum von 1,2 Prozent voraus. Damit liegen wir über dem Landes- und dem Bundesschnitt. Allerdings steigt parallel dazu die Zahl der Arbeitslosen. Im Mai, einem traditionell sehr starken Arbeitsmarktmonat, ist die Zahl der Erwerbslosen bei uns gestiegen, was es in den 30 Jahren zuvor erst zweimal gab. Bei uns dürfte im Jahresschnitt die Zahl der Arbeitslosen um 6,5 Prozent höher liegen als vor einem Jahr. Dieser erwartete Anstieg fällt größer aus als im Bundesschnitt, wo es 4,8 Prozent sind.

BZ: BZ: Es gibt also in der Region gleichzeitig mehr Arbeitsplätze und mehr Arbeitslose?

Das klingt paradox, ist aber so. Wir erleben gleichzeitig einen Stellenabbau in der Industrie und einen hohen Bedarf an mehr Fachkräften in den Dienstleistungen, weil mehr und mehr Babyboomer in Rente gehen. Deshalb ist der Fachkräftemangel auch nicht gelöst, nur weil die Wirtschaft nicht wächst.

BZ: BZ: Haben es derzeit Menschen schwerer, die keine Arbeit haben aber gern eine hätten?

Ja, es gibt etwa sieben Prozent mehr Langzeitarbeitslose als vor einem Jahr. Wer arbeitslos ist, hat es also schwerer, eine neue Beschäftigung zu finden. Die offenen Stellen, die bei uns gemeldet sind, sind zu 85 Prozent welche für Fachkräfte. Dazu braucht man eine duale Ausbildung oder ein Studium. Über eine solche Qualifikation verfügt nur etwa jeder zweite Arbeitslose. Hinzu kommt in vielen Fällen eine eingeschränkte Mobilität. Deshalb können wir viele offene Stellen nicht so einfach besetzen.

BZ: BZ: Wer heute Mitte 30 ist, keinen Berufsabschluss hat und schon länger arbeitslos ist – hat so jemand derzeit überhaupt noch eine Chance auf dem Jobmarkt?

Ja. Wir als Arbeitsagentur fördern es, wenn jemand seinen Berufsabschluss nachholt. In diesen Fällen steigt die Chance auf eine neue Beschäftigung erheblich. Und es sinkt das Risiko, später nochmal arbeitslos zu werden. Unsere Qualifizierungsbemühungen beginnen aber schon bei der Prävention. Wenn Industriebetriebe Menschen entlassen müssen, bieten wir frühzeitig unsere Unterstützung an. Mit der Arbeitsmarktdrehscheibe bieten wir eine Plattform, auf der personalabgebende Unternehmen mit personalaufnehmenden zusammenkommen können. Ziel ist es, Arbeitslosigkeit im Vorfeld zu verhindern. Arbeitnehmer können so nahtlos zu einem anderen Unternehmen wechseln, und wir können dort auch eine sogenannte Anpassungsqualifizierung finanzieren. Davon hat dann auch der aufnehmende Betrieb etwas. Dies ist – auch mit Blick auf das Geld des Beitragszahlers – deutlich günstiger als Arbeitslosigkeit.

BZ: BZ: Können sich junge Menschen ihren Ausbildungsplatz trotz der Wirtschaftsflaute quasi noch immer aussuchen?

Die Chancen für junge Menschen stehen jedenfalls besser denn je. Es gibt nach wie vor einen Bewerbermarkt. Im Juli gab es im Agenturbezirk 1507 offene Ausbildungsstellen bei 1186 unversorgten Bewerberinnen und Bewerbern. Die Chancen stehen richtig gut, jetzt noch einen Ausbildungsplatz für den Herbst zu finden. Es lohnt sich, Kontakt mit den Betrieben aufzunehmen oder auch mit uns.

BZ: BZ: Was lässt sich über die neuen Arbeitsplätze sagen, die gerade entstehen?

40 Prozent sind Vollzeitstellen, 60 Prozent Teilzeit. Bemerkenswert ist, dass hinter zwei Dritteln des Zuwachses bei den neuen Stellen Menschen mit Migrationshintergrund stehen – sowohl EU-Zuwanderer als auch Menschen aus Drittstaaten wie der Ukraine oder Flüchtlinge aus Syrien oder dem Irak. Mit den Menschen, die hier sind, können wir den Bedarf nie und nimmer decken.

BZ: BZ: Tun die Arbeitgeber genug, um Arbeitskräfte im Ausland anzuwerben?

Die Bereitschaft nimmt zu. Es gibt gute Beispiele, etwa die Anwerbung in Indien im Handwerk.

BZ: BZ: Zuletzt forderte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, Ukrainern kein Bürgergeld mehr zu zahlen, sondern die niedrigeren Leistungen für Asylbewerber. Als ein Argument dienen ihm die geringeren Beschäftigtenquoten von Ukrainern in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern. Was sagen Sie als Praktiker dazu?

Das sind politische Entscheidungen, die die Politik zu treffen hat. Was man aber sehen sollte: Es werden oft Äpfel mit Birnen verglichen, wenn man auf die Beschäftigung der Ukrainer in verschiedenen europäischen Staaten blickt. In Deutschland werden als sozialversicherungspflichtig beschäftigt nur Menschen gezählt, die mindestens 15 Stunden die Woche arbeiten. In anderen Ländern liegt diese Grenze niedriger. Andere Länder haben zudem einen englischsprachigen Arbeitsmarkt wie etwa die Niederlande oder Skandinavien. Die Startbedingungen für Ukrainer sind deshalb dort viel besser als auf einem deutschsprachigen Arbeitsmarkt. Deshalb warne ich vor vorschnellen Urteilen beim Vergleich dieser Zahlen.

Alexander Merk (57) stammt aus Freiburg und ist seit zwei Jahren Geschäftsführer der hiesigen Arbeitsagentur. Zuvor war er Chef des Freiburger Jobcenters.

Schlagworte: Alexander Merk, Markus Söder

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