Berlin

"D-Day"-Papier und Rücktritte: FDP gerät wegen Ampel-Ausstiegsstrategie in Turbulenzen

"Wo ist die Nachricht?" So reagierte FDP-Chef Lindner auf erste Berichte, dass sich seine Partei seit Wochen auf den Ampel-Crash vorbereitet habe. Jetzt gibt es ein Papier dazu. Und das hat Folgen – auch für Lindner?  

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Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hat a...tagvormittag seinen Rücktritt erklärt.  | Foto: Sebastian Gollnow (dpa)
Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hat am Freitagvormittag seinen Rücktritt erklärt. Foto: Sebastian Gollnow (dpa)

Das detaillierte Drehbuch der FDP für den Ausstieg aus der Ampel lässt die Wogen der Empörung hoch schlagen. Und nicht nur das. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann treten zurück. Rund ein Vierteljahr vor dem geplanten Wahltermin ist das eine mittlere Katastrophe für die FDP und ihren Vorsitzenden Christian Lindner. Wie geht es jetzt weiter?

Was hat zu den Rücktritten geführt?

In dem Strategiepapier ist mehrfach vom "D-Day" als dem Tag des Verlassens der Ampel-Koalition die Rede. Djir-Sarai betonte noch am 18. November mit Blick auf damalige Medienberichte über die "D-Day"-Formulierung: "Das stimmt nicht. Dieser Begriff ist nicht benutzt worden." Dieser Widerspruch legte die Frage nahe, ob der Generalsekretär gelogen hat. In seinem Statement im Hans-Dietrich-Genscher-Haus sagte er: "Ich habe unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert." Er habe selbst "keine Kenntnis" von diesem Papier gehabt. Dafür übernehme er die politische Verantwortung.

Als Verfasser des Strategiepapiers hatte sich am Vortag Bundesgeschäftsführer Reymann geoutet. "Das Dokument ist ein Arbeitspapier, das der Bundesgeschäftsführer zum ersten Mal am 24.10.2024 um 15:38 Uhr erstellt hat", schrieb er in einer Erklärung. Sein Rücktrittsgesuch an Lindner begründete Reymann damit, dass er "eine personelle Neuaufstellung der Partei im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ermöglichen möchte".

Was sagt Parteichef Lindner?

Lindner war am Freitag erst einmal auf Tauchstation. Er sagte aber der "Rheinischen Post" auf die Frage, ob die FDP insgesamt ein falsches Spiel gespielt habe: "Nein, denn zu jedem Zeitpunkt ging und geht es uns um den Politikwechsel, den dieses Land braucht. Die Ampel konnte ihn nicht mehr liefern." Lindner sprach von einem "Papier im Entwurfsstadium", das Mitarbeiter verfasst hätten und das in die Öffentlichkeit gebracht worden sei. "Jenseits der Details will ich aber sagen, dass es professionell ist, wenn Mitarbeiterstäbe Eventualitäten durchspielen. Der Kanzler hat sich ja auch drei unterschiedliche Reden schreiben lassen."

Christian Lindner  | Foto: Christoph Soeder (dpa)
Christian Lindner Foto: Christoph Soeder (dpa)

Wusste die FDP-Führung wirklich nichts von dem Papier?

Die FDP-Führung stellt es so dar, dass sie das umstrittene Papier nicht gekannt habe. In seiner Erklärung schrieb Bundesgeschäftsführer Reymann: "Dieses technische Papier ist kein Gegenstand der politischen Beratung von gewählten Mandatsträgern und Regierungsmitgliedern gewesen, sondern eine rein interne Vorbereitung für das Szenario eines Ausscheidens der FDP aus der Ampel-Koalition."

Aber ist das glaubwürdig? Reymann war erst seit dem 1. März Bundesgeschäftsführer. Davor war er zunächst Büroleiter von Lindner im Bundestag und dann im Leitungsstab des Bundesfinanzministeriums tätig gewesen. Er ist also ein enger Vertrauter Lindners. Schwer vorstellbar, dass er nicht mit seinem Chef über das von ihm entwickelte Szenario gesprochen hat.

Was heißt das alles für den Wahlkampf und die Wahlchancen der FDP?

Die Aufregung über das Papier und die Rücktritte werden den Wahlkampf für die FDP nicht leichter machen. Gut möglich, dass den Wahlkämpfern an den Ständen in den Innenstädten kritische Fragen gestellt werden. Der Generalsekretär und der Bundesgeschäftsführer einer Partei sind zudem der Kern jedes Wahlkampfteams. Dass Djir-Sarai und Reymann jetzt fehlen, wiegt angesichts der Kürze des Wahlkampfs umso schwerer.

Die Wahlchancen der Liberalen dürften sich durch die Turbulenzen nicht verbessern. Aktuell stehen sie in den Umfragen bei 3 bis 4 Prozent - und damit ein gutes Stück von der kritischen Fünf-Prozent-Hürde und meilenweit von den 11,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2021 entfernt.

Wie reagieren andere Politiker?

Kanzler Olaf Scholz (SPD) sieht sich in seinem Schritt zur Entlassung des damaligen FDP-Finanzministers Christian Lindner bestätigt. "Der Bundeskanzler fühlt sich durch die aktuellen Veröffentlichungen in seiner Entscheidung bestätigt. Und er findet, dass er in diesem Zusammenhang richtig entschieden hat", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner in Berlin. Er machte auf eine entsprechende Frage hin keine Angaben dazu, ob Scholz vor der Bekanntgabe der Entlassung über einen nun öffentlich gewordenen detaillierten Strategieplan der FDP informiert gewesen war. Er könne nicht sagen, zu welchem Zeitpunkt der Kanzler welchen Wissensstand gehabt habe, sagte der Sprecher.

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Lindne...November als Finanzminister entlassen.  | Foto: Christoph Soeder (dpa)
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Lindner Anfang November als Finanzminister entlassen. Foto: Christoph Soeder (dpa)

Die Grünen reagieren mit Kopfschütteln auf die jüngsten Entwicklungen bei der FDP. "Was von der FDP nach und nach ans Licht kommt, hat nichts mit verantwortungsvoller Regierungsarbeit zu tun", sagte die Politische Geschäftsführerin der Partei, Pegah Edalatian, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Wer Politik wie in House of Cards betreibt, schadet dem Vertrauen in die Politik insgesamt massiv." In der US-Serie um Intrigen im Washingtoner Politbetrieb gehen Protagonisten über Leichen. Sie respektiere die Entscheidung des FDP-Generalsekretärs Bijan Djir-Sarai, der seinen Rücktritt erklärt hatte, betonte Edalatian. "Doch es ist schwer vorstellbar, dass Christian Lindner mit dem Papier nichts zu tun hatte." In der Ampel-Regierung hätten FDP-Vertreter ohne die Zustimmung ihres Parteivorsitzenden nicht einmal über Kleinigkeiten von Gesetzen verhandeln dürfen. Wählerinnen und Wähler würden nun entscheiden, ob sie dies für glaubwürdig hielten.

Wer folgt Djir-Sarai und Reymann nach?

Interessant wird vor allem sein, wer neuer FDP-Generalsekretär wird. Zunächst fallen einem die nach Lindners Rauswurf zurückgetretenen Minister Marco Buschmann und Bettina Stark-Watzinger ein. Beide hätten jetzt Zeit. Aus der Bundestagsfraktion kämen zum Beispiel Johannes Vogel und Konstantin Kuhle infrage. Beide sind Lindner-Vertraute, was eine Art Einstellungsvoraussetzung für einen Generalsekretär ist. Klar ist auch: Auf diesem Posten sind gerade in Wahlkampfzeiten Wadenbeißer-Qualitäten gefragt. Wer diesen Job übernimmt, muss die Abteilung Attacke beherrschen.

Wird das Papier weitere personelle Konsequenzen haben?

Weitere personelle Konsequenzen müssten Parteichef Lindner selbst betreffen, doch der macht keine Anstalten, sein Amt aufzugeben. Er würde damit seine Partei auch endgültig ins Chaos stürzen. Denn er hat es in den vergangenen Jahren verstanden, sich gewissermaßen zum FDP-Alleinherrscher zu machen. Ein möglicher Nachfolger für ihn ist auf den ersten Blick nicht in Sicht. Auch kam bislang selbst nach der Serie von FDP-Pleiten bei den vergangenen Landtagswahlen keine öffentliche Kritik an Lindner auf. Er steht also ziemlich souverän an der Spitze der Partei.

Warum ist das Papier so heikel?

Seit dem Bruch der Ampel kämpfen die Beteiligten um die Interpretationshoheit, wer für das Scheitern die Verantwortung trägt. Lindner warf Kanzler Olaf Scholz (SPD) unmittelbar nach seinem Rauswurf als Bundesfinanzminister einen "einen kalkulierten Bruch dieser Koalition" vor. Das Papier lässt dies nun in einem ganz anderen Licht erscheinen.

Neben dem Inhalt geht es aber auch um Wortwahl und Stil. In dem Dokument taucht mehrfach der Begriff "D-Day" auf - die Bezeichnung für den Tag der Landung der Alliierten in der Normandie. Damit begann im Sommer 1944 die Befreiung Westeuropas von den Truppen Nazi-Deutschlands. In den Kämpfen starben Zehntausende alliierte und deutsche Soldaten sowie Zivilisten.

Auch die Formulierung "Beginn der offenen Feldschlacht", mit der in dem Papier Phase IV der "D-Day Ablaufpyramide" bezeichnet wird, klingt, als wolle die FDP in einen Krieg ziehen - gegen diejenigen, mit denen sie zum Zeitpunkt, als das Konzept entstand, noch in einer Koalition verbunden war.

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