Der Krachmacher

Matthias arbeitet als Urlaubsvertretung für Kirchenglocken: Er bedient im Kuhbacher Kirchturm die Rätsche  

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Matthias (rechts) und seine Riesenräts...und  Annemarie (von links) </Bildtext>  | Foto: W. Künstle
Matthias (rechts) und seine Riesenrätsche. Daneben seine Helfer Roland, Anne und Annemarie (von links) Foto: W. Künstle
Die Glocken machen von Karfreitag bis Ostern in Rom Ferien. Das ist erfunden! Aber Menschen erzählen sich diese Geschichte. Denn von Freitag bis Sonntag dieser Woche läuten die Glocken in katholischen Kirchen nicht. Sie bleiben stumm, so als wären sie verreist. In diesen drei Tagen ohne Glocken schlägt die große Stunde von Matthias Jung aus Lahr-Kuhbach (16 Jahre). Seine Rätsche aus Holz ersetzt das Glockenläuten mit einem unglaublichen Krach, der so laut ist, dass einem fast die Ohren wegfliegen, wenn man danebensteht. Das Geräusch klingt wie Peitschen, deren Schnüre schnell nacheinander auf den Boden knallen.

Aber warum läuten an diesen drei Tagen die Glocken nicht? Menschen, die an Gott glauben, sind in dieser Zeit traurig. Sie denken an Jesus, den Sohn Gottes, der umgebracht wurde, weil ihn die Herrscher nicht mochten. Jesus war nämlich dafür, dass die Herrscher den Armen auch was abgeben sollen, und dass Gott viel mächtiger ist als sie. Die Könige und Kaiser wollten aber die Größten sein – und deswegen brachten sie Jesus um.

Im Moment denken gläubige Menschen an den Tod Jesu. Sie entfernen Blumen und bunte Teppiche aus der Kirche. Sie singen traurige Lieder ohne Orgelmusik und denken daran, wie weh es Jesus getan hat, zu sterben. Und sie läuten nicht mehr mit den Glocken, weil das zu fröhlich klingen würde. Das Rätschen ersetzt die Glocken, die normalerweise die Menschen daran erinnert zu beten.

Es riecht modrig im Kuhbacher Kirchturm, zwei Turmfalken und ein paar Fledermäuse haben sich eingenistet und wachen über die Rätsche aus Holz, die ungefähr einen Meter lang und einen halben Meter breit ist. Die Rätsche befindet sich dort, wo die Glocken sind, 101 Stufen weit oben. Matthias legt los. Er kurbelt, um die vier Holzleisten wie Lineale hochzubiegen. Wenn sie niederschnellen, klingt das nicht festlich, sondern hart und kalt und unheimlich – genauso wie den Menschen wegen des Todes Jesu gerade zumute ist. "Das ist bis an die Grenzen des Ortes zu hören", sagt Matthias. Er hält die Rätsche ganz nah an das Fenster, damit das Geräusch nach draußen dringt.
Matthias ist beim Rätschen nicht alleine, zwei oder drei Mädchen oder Jungs drehen abwechselnd, damit sie fünf Minuten durchhalten, denn die Arbeit ist schwer und dauert immerhin so lange wie zwei Lieder aus dem Radio, die nacheinander gespielt werden.

In manchen Orten ziehen die Kinder mit dem Instrument durch die Straßen. Rätschen gibt es seit mehr als 200 Jahren. Sie werden auch in der Fasnacht eingesetzt. "Rätsche" kommt von "Rasseln" und hört sich an wie etwas, das nicht gerade wie ein schönes Lied klingt. Probier’s mal aus und sprich es nach: "Rätsche!"

Matthias, der schon öfters gerätscht hat, muss freitags und samstags dreimal rätschen, nämlich morgens, mittags und abends. In der Nacht auf Sonntag muss er ganz, ganz früh aufstehen. Er muss zum Kurbeln in den Kirchturm, wenn es draußen noch dunkel ist, schon um 5 und um halb 6 Uhr. "Dazwischen spielen wir vielleicht eine Runde Karten", sagt er und lacht. Und um 6 Uhr beginnt dann der Gottesdienst, in dem die Menschen sich freuen, dass Jesus nicht tot ist, sondern von Gott wieder zum Leben erweckt wurde. Die Gläubigen hören auf traurig zu sein. Deshalb spielt auch wieder die Orgel ganz laut – und die Glocken läuten, zurück aus Rom, wie verrückt.

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