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Flüchtlinge in Südbaden (4)

Ehemaliger Leiter eines Asylbewerberwohnheims über Probleme und Lösungen

Annemarie Rösch
  • Sa, 08. August 2015
    Deutschland

Interview mit Herwig Popken, der als früherer Leiter des Asylbewerberwohnheims in Rheinfelden viele Erfahrungen mit dem Thema Flüchtlinge gesammelt hat.

Junge Asylbewerber in der Unterkunft in Rheinfelden Foto: Peter Gerigk
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Überfüllte Flüchtlingsheime, Nachbarn, die oft über die neue Nachbarschaft wenig begeistert sind. Herwig Popken hat als früherer Leiter des Asylbewerberwohnheims in Rheinfelden und engagiertes Mitglied vom Freundeskreis Asyl viele Erfahrungen mit diesem Thema gesammelt. Annemarie Rösch wollte von ihm wissen, wie er die heutige Lage sieht.

BZ: Herr Popken, viele Menschen hierzulande haben Angst, dass es mehr Diebstähle geben könnte, wenn ein Flüchtlingswohnheim neben ihnen eingerichtet wird. Wie sehen Sie das?

Popken: Die Menschen zu normalen Bedingungen leben zu lassen, ist eine gute Voraussetzung, um solchen Problemen vorzubeugen. Wenn die Flüchtlinge zu eng zusammengepfercht sind, dann muss es ein Ventil geben. Das ist unsere langjährige Erfahrung.

BZ: Was sind normale Bedingungen?

Popken: Darunter verstehe ich, dass jeder Flüchtling, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist, sieben Quadratmeter zur Verfügung haben sollte. In Rheinfelden sind wir im Moment aber bei nur zweieinhalb bis drei Quadratmetern. Fünf Menschen wohnen zurzeit in einem Container. Das ist viel zu eng und unmenschlich. Da stauen sich schnell Aggressionen an. Unsere Behörden sind leider im Moment total überfordert mit dem Ansturm der Flüchtlinge.



BZ: Es gibt immer wieder Beschwerden über Gruppen junger Flüchtlinge, die klauen oder andere belästigen. Was muss da geschehen?

Popken: Diese jungen Männer, von denen Sie sprechen, stammen oft aus Afrika oder manchen arabischen Ländern, in denen es bereits langjährige Konflikte und Kriege gibt. Diese jungen Männer haben gelernt, dass sie nur überleben können, wenn sie anderen etwas wegnehmen. Sie werden auch schnell aggressiv. Jeden Tag kommen an der Grenze in Weil am Rhein solche zum Teil auch minderjährigen Flüchtlinge an. Es ist klar, dass ihr Verhalten auf Widerstand stößt. Sie müssen lernen, dass sie hier anders leben müssen. Dafür braucht es auch therapeutische Hilfe, zumal ja auch einige von ihnen in diesen Kriegen traumatisiert wurden. Viele von ihnen wurden auch schon auf ihrem Weg nach Europa ins Gefängnis gesteckt, dort geschlagen.

BZ: Wie gehen Sie mit solchen Flüchtlingen um?

Popken: Wichtig ist, dass wir klare Grenzen setzen. Das fängt bei einer Zurechtweisung an, im schlimmsten Fall muss man die Polizei rufen, um durchzugreifen. Man darf sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Ich betone aber, dass solche Fälle eine kleine Minderheit sind.

BZ: Gibt es ausreichend Hilfe für traumatisierte Flüchtlinge?

Popken: Nach meiner Erfahrung dürften etwa 30 bis 40 Prozent aller Flüchtlinge bei uns in Rheinfelden traumatisiert sein, sei es durch Kriege, Polizeigewalt oder Gewalt untereinander. Es gibt viel zu wenige Therapiemöglichkeiten hier. Wir sind gerade dabei, im Landkreis Lörrach ein Netzwerk von Therapeuten aufzubauen. Vorbildlich arbeitet aus meiner Sicht Refugio in Villingen-Schwenningen. Der Verein bietet Trauma-Therapien an, hilft den Flüchtlingen aber auch etwa bei rechtlichen Problemen und Asyl-Fragen. Das ist sehr wichtig für die Therapie. Wenn den traumatisierten Menschen geholfen werden soll, dürfen sie nicht in permanenter Angst leben, abgeschoben zu werden.

BZ: Hierzulande ist auch der Vorwurf zu hören, viele würden nur versuchen, Asyl und dadurch auch soziale Leistungen zu erschleichen. Was sind Ihre Erfahrungen?

Popken: In den 20 Jahren, in denen ich in der Flüchtlingsarbeit tätig bin, kann ich mich vielleicht an 20 Fälle erinnern, in denen es klare Hinweise auf Missbrauch gab. Das ist nicht viel. Wir haben durchaus Möglichkeiten, herauszufinden, ob jemand ehrlich ist. Man bekommt mit der Zeit auch ein Gespür dafür, wer flunkert. Darüber hinaus können wir auch Angaben überprüfen, die uns zweifelhaft vorkommen, etwa über das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR oder das Rote Kreuz.

BZ: Haben Sie Beispiele dafür?

Popken: Wenn jemand ohne Papiere ankommt, fragen wir bei den Hilfsorganisationen nach, ob es in dem vom Flüchtling genannten Land tatsächlich nicht möglich ist, wieder Ausweise nachzumachen. Ist das nicht der Fall, konfrontieren wir die Flüchtlinge damit. Es gab schon Fälle, da wurden diese aggressiv, als wir sie aufforderten, sich neue Papiere zu besorgen. Das lässt natürlich aufhorchen. In einem anderen Fall haben wir den Namen eines Dorfes im Irak nachrecherchiert. Doch es gab keinen Ort mit diesem Namen. Wie gesagt, das sind aber sehr seltene Fälle.

BZ: Flüchtlingen vom Balkan haftet an, nur Wirtschaftsflüchtlinge zu sein. Viele Politiker machen sich dafür stark, sie so schnell wie möglich abzuschieben. Wie beurteilen Sie das?

Popken: Das ist ein wichtiges Thema. Im Asylbewerberwohnheim in Rheinfelden stammen etwa 40 Prozent der Flüchtlinge vom Balkan. Die meisten davon sind Roma. Serbien, Bosnien und Mazedonien wurden bereits als sichere Herkunftsländer eingestuft, in 99 Prozent der Fälle werden die Flüchtlinge von dort jetzt abgeschoben. Zwar können sie immer noch Berufung vor dem Verwaltungsgericht einlegen. Nur: Bis es zur Verhandlung kommt, sind sie abgeschoben. Jetzt sollen auch Albanien, das Kosovo und Montenegro folgen, und als sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Ich frage mich allerdings schon, wieso früher, vor dieser Einstufung, doch etliche Flüchtlinge vom Balkan Asyl bekamen. Dieses Verfahren ist rechtsstaatlich sehr bedenklich.

BZ: Die meisten Roma dürften aber doch schon Wirtschaftsflüchtlinge sein.

Popken: Ich habe da meine Zweifel. Ich nenne Ihnen Beispiele. Im Moment betreuen wir fünf Roma-Familien. In allen Familien wurden die Frauen vergewaltigt. Zum Teil mussten die Männer zusehen. Als die Familien die Polizei riefen, hat diese sie nur ausgelacht und nichts unternommen. Alle sind schwer traumatisiert. Ich halte diese Zustände durchaus für einen Asylgrund. Das gilt auch für die Roma, die so arm sind, dass sie ihre Kinder gar nicht in die Schule schicken können. Manche leben in Slums etwa am Rande von Belgrad. Diese sehen schlimmer aus als in Brasilien. In diesen Ländern unternimmt die Politik nichts, um die Lage der Roma zu verbessern. Dort werden diese Menschen seit Jahrhunderten ausgegrenzt und verfolgt. Wenn das kein Asylgrund ist! Ein Land wie Serbien darf nicht in die EU aufgenommen werden, wenn es diese Zustände nicht verbessert. Im Übrigen, wir sehen gute Erfolge mit unseren Roma, ein Mädchen hat es auf die Realschule geschafft. Müssen sie zurück, wird das alles zunichtegemacht.

BZ: Oft ist auch zu hören, dass die Flüchtlinge gar nicht arbeitswillig sind. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Popken: Die meisten Asylbewerber wollen arbeiten. Erst kürzlich haben ein paar junge afrikanische Männer in Rheinfelden eine Demonstration organisiert. Sie forderten das Recht ein, arbeiten zu dürfen. Inzwischen sind die Gesetze ja auch tatsächlich gelockert worden. Schon drei Monate, nachdem ein Flüchtling einen Asylantrag gestellt hat, darf er jetzt arbeiten. Wir haben nur ein Problem: Das Bundesamt für Migration ist derart überlastet, dass viele Asylbewerber schon acht Monate hier sind und immer noch keinen Antrag stellen konnten. Auch sonst werden den Flüchtlingen Steine in den Weg gelegt. Über lange Jahre waren die Ausländerbehörden dazu da, Migranten abzuschrecken. Manche Behördenvertreter könnte man die personifizierte Abschreckung nennen: Sie berufen sich bei den Flüchtlingen auf den Datenschutz, um sich selbst zu schützen. Eine Willkommenskultur, von der die Kanzlerin spricht, sieht anders aus.

Herwig Popken (69), von Beruf Sozialarbeiter, leitete von 1997 bis 2010 das Asylbewerberwohnheim in Rheinfelden. Heute ist er einer der Sprecher des Freundeskreises Asyl in Rheinfelden.

Die nächste Folge der Serie lesen Sie am Dienstag, 11. August. Thema ist die Willkommenskultur.

Mehr zum Thema:

Ressort: Deutschland

Dossier: Fluechtlinge

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