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Ein ernster Gast, der keine Lust zum Basteln hat

Stefan Mertlik
  • Mi, 06. Mai 2020
    Freiburg

WIE WAR’S BEI... Jan Philipp Reemtsma beim ersten Online-Talk "Nachgefragt" des Rotteck-Gymnasiums? .

„Nachgefragt“ per Video: Jan Philipp Reemtsma  | Foto: Michael Bamberger
„Nachgefragt“ per Video: Jan Philipp Reemtsma Foto: Michael Bamberger
FREIBURG. Auch das Schüler-Talk-Format "Nachgefragt" am Rotteck-Gymnasium streamt Corona-bedingt online. Im Rahmen der digitalen Premiere sprachen die Schüler Lukas Kronmüller und Paul Wagenplast mit Jan Philipp Reemtsma, Germanist, Millionenerbe, Entführungsopfer, Publizist, Wissenschaftler, Professor und Stiftungsgründer. Bis zu 300 YouTube-Nutzerinnen und -Nutzer gleichzeitig verfolgten das Interview am Montag.

Der Gast
Jan Philipp Reemtsma sitzt in seinem Hamburger Büro und blickt ernst in die Kamera. Der 67-Jährige trägt Hemd und Jackett. Die Linse zeigt auf die weiße Zimmerdecke. Dadurch gewährt er nur wenige Einblicke in sein Zimmer. Links von ihm steht eine Schreibtischlampe, rechts ein kleines Bücherregal. "Haben Sie ihren Schreibtisch extra für uns aufgeräumt?", möchte Paul Wagenplast wissen. Der versuchte Eisbrecher ringt Reemtsma kein Lächeln ab. Es ist ein Vorgeschmack, denn die Mundwinkel des gebürtigen Bonners zeigen in den bevorstehenden 60 Minuten nur selten nach oben.

Die Themen
Ausweitung der EU-Politik, Lieblingskünstler neben Arno Schmidt, Angst vor Corona, Reichtum und seine Zeit als Honorarkonsul von Slowenien – Lukas Kronmüller und Paul Wagenplast wechseln die Themen im Minutentakt. Reemtsma fühlt sich mit den schnellen Sprüngen unwohl. Antwortet er zu ausschweifend, unterbrechen ihn die Moderatoren rüde. Anfangs rollt Reemtsma nur mit den Augen, später macht er seinem Unmut Luft: "Die Antworten müssen auch mal länger ausfallen, aber das scheint in Ihrem Frage-Rhythmus nicht vorgesehen zu sein."

Über ein Thema wollten die Moderatoren aber mehr wissen: Seine Entführung von 1996. 33 Tage wurde er gefangengehalten und erst gegen eine Lösegeldzahlung von 30 Millionen Mark freigelassen. Was ihm geholfen habe, diese Zeit zu überstehen? "Man hilft sich selbst, indem man die Fassung behält." Kronmüller und Wagenplast haken nach, möchten über psychische Folgeschäden sprechen. Reemtsma winkt ab. Der Wahl-Hamburger hat Lust zu reden – aber nur zu seinen Bedingungen. Auf die altersbedingt noch unerfahrenen Moderatoren geht er nur selten ein. Lob für die Recherche und die zum Teil cleveren und mutigen Fragen gibt’s nicht. Dabei entlocken Kronmüller und Wagenplast ihrem Gesprächspartner immer wieder klare Aussagen: "Mit Reichsbürgern können Sie gar nichts machen, die haben einen Knall."

Die Corona-Maske
Vor dem Gespräch hat das "Nachgefragt"-Team kleine Pakete an Reemtsma geschickt. Die darin enthaltenen Gegenstände sind für Spiele gedacht, auf die der Interviewte jedoch keine Lust hat. Mit einem Kaffeefilter und Gummibändern soll er eine Corona-Maske basteln. Reemtsma betont, dass er dafür kein Talent habe. "Der Mensch hat vor 100 Jahren die Arbeitsteilung erfunden, nicht jeder muss alles können", wehrt er sich in einem energischen Tonfall und fügt hinzu: "Das ist einfach keine gute Idee."

Die Kommentare
"Man fragt sich, wieso der Herr sich auf ein Interview einlässt, wenn er darauf offensichtlich keine Lust hat", schreibt ein Zuschauer in den Chat. Ein anderer pflichtet ihm bei: "Schade, dass Herr Reemtsma so arrogant rüberkommt." Anders als bei einer Vor-Ort-Veranstaltung kann das Gesehene bei einem YouTube-Stream sofort kommentiert werden. Die Sympathien sind eindeutig auf Seite der Moderatoren, die sich an dem anspruchsvollen Gast mühsam abarbeiteten.

Das Fazit
Leicht hatte es das "Nachgefragt"-Team nicht. Trotzdem überzeugten die Schülerinnen und Schüler des Rotteck-Gymnasiums mit vielen Ideen und einwandfreier technischer Umsetzung.

Ressort: Freiburg

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 06. Mai 2020: PDF-Version herunterladen

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