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... dem Krankenpfleger und Rentner Paul G. Wiesenberg, der in der zweiten Heimat Borneo Menschen hilft

EIN REISEBERICHT VON ...: Mit der Apotheke in den Urwald

  • Sa, 04. Februar 2017
    Südwest

Zurück aus dem Dschungel: Paul G. Wiesenberg im verschneiten Neustadt  | Foto: Julia Gross
Zurück aus dem Dschungel: Paul G. Wiesenberg im verschneiten Neustadt Foto: Julia Gross
40 Grad Unterschied sind es zwischen dem sonnig-heißen Borneo und dem kalten Titisee-Neustadt. Gerade ist Paul G. Wiesenberg aus seiner zweiten Heimat, dem Dschungel, zurückgekehrt. Seine Haut ist braun, die 28 Tage im Dezember auf der Insel haben ihre Spuren hinterlassen. Die Erinnerungen sind noch frisch: Vier Wochen lang lebt Wiesenberg unter Einheimischen, reist durch die Wildnis und versorgt die Menschen dort medizinisch. Wiesenberg kann das, er ist gelernter Krankenpfleger. Mit Julia Gross wandert er noch einmal in Gedanken durch das Land, das seit 29 Jahren seine Haut und sein Herz wärmt.

Wenn Wiesenberg sich in Borneo duschen will, ziert er sich kein bisschen: Eine große, schwarze Wanne steht vor der Hütte, direkt am Rande des Dschungels in Sarawak, einem Bundesstaat von Malaysia im Nordwesten der Insel. Hier schläft der gelernte Krankenpfleger – seit drei Jahren schon in Rente – bei Freunden. Hier kippt er sich das über Tage gesammelte Regenwasser über Kopf und Körper. "Eine schönere Dusche gibt es nicht", erzählt er. Keine einzige Nacht schläft der 68-Jährige in einem Hotelbett, Wiesenberg will den Menschen auf der Insel, die den drei Staaten Indonesien, Malaysia und Brunei gehört, möglichst nahe sein. Denn wann er wiederkommen wird, das weiß er nicht. Nur, dass er wieder kommen wird. "Ich folge da meinem Glauben", sagt er. Wiesenberg ist Mitglied einer kirchlichen Gemeinde in Titisee-Neustadt – auch hier in Sarawak gibt es diese Gläubigen. Sie laden ihn immer wieder ein, wollen, dass Wiesenberg sie unterstützt, unterstützen ihn aber auch darin, Menschen zu verarzten – so weit er das eben kann.

Zum zwölften Mal packt der Rentner also im Dezember seinen Koffer, fliegt von Frankfurt nach Singapur zwölf Stunden lang, und ist zwei weitere unterwegs zum Ziel. Er will hier helfen, Gutes tun. "Egal wie viel mich das kostet", sagt er. Eine halbe Apotheke trägt Wiesenberg mit sich, für sich selbst, einige Medikamente aber auch für die Kranken. Mit dabei: ein Instrumentenarsenal. Pinzette, Schere, Desinfektionsmittel, Messer – Wiesenberg weiß nicht, welche Menschen ihn auf Borneo aufsuchen werden. "Ich muss auf alles vorbereitet sein. Wenn’s sein muss, führe ich auch kleinere Operationen durch", sagt er.

Einmal musste Wiesenberg schon schnippeln. Ein Mann hatte sich einen großen Splitter in den Fuß getreten, die Wunde musste genäht werden. "Aber normalerweise sind es nur kleinere Sachen, mal ein Pflaster oder eine Wunde desinfizieren." Dieses Mal klärt Wiesenberg die Menschen auf, hält einen Vortrag darüber, wie man Krankheiten vorbeugen kann, wie richtige Verhütung funktioniert und welche Lebensmittel gesund sind oder nicht. "Verbiegen kann man die Leute aber nicht. Das will ich auch gar nicht", sagt er.

Bleibt bei diesem Engagement Zeit für Familie? "Nein, nicht wirklich." Nachdem sich 1988 seine damalige Frau von ihm trennt, beginnt Wiesenberg mit dem Reisen, die Familienplanung rückt immer weiter ins Abseits. "Aber ich bin glücklich", sagt er heute, graue Haare, ein jugendliches Schmunzeln bewahrt. Fünfzig Jahre lang arbeitet der Schwarzwälder in der Krankenpflege, 2013 geht er in Rente. Aber aufhören? "Nein, niemals." Wiesenberg schüttelt den Kopf, fährt sich mit dem Handrücken über die Stirn. "Das könnte ich doch gar nicht." Immer wieder übernimmt er Nachtdienste in den Kliniken in Neustadt und schaut auf seinen alten Stationen vorbei. "Dort kennt mich das Personal noch, wir kommen ins Gespräch und erinnern uns an tolle Zeiten."

Wiesenberg ist vor allem wegen seiner Art bekannt wie ein bunter Hund: Ein Witz, ein schelmisches Lachen, viel Wärme – so hat er in all den Jahren unzählige Kranke begleitet, ihnen die Ängste so gut es ging genommen. Einmal, am 1. April, plant Wiesenberg einen Bubenstreich. Aus Gips bastelt er einen unechten Patienten und veräppelt die Ärzte, das ganze Klinikpersonal. Später lachen alle lachen herzlich über den Scherz, Wiesenberg noch heute.

Seinen Jahresurlaub opfert der Krankenpfleger schon damals für die Menschen in Südostasien. Früher gehen seine Reisen auch nach Indonesien, Neuguinea und auf die Philippinen – heute fast nur noch nach Sarawak. Dort hilft Wiesenberg auch sich selbst: Das tropische Klima tut seiner erkrankten Lunge gut, die Natur der Seele. "Ich liebe es, den Geräuschen des Dschungels zu lauschen, besonders nachts. Da hört man Grillen, Vögel und andere Tiere."

Und begegnet auch der Wildnis: "Eine riesige Spinne habe ich gesehen, zwei Krokodile sind mir über den Weg gelaufen. Natürlich hab’ ich dann erst mal meine Kamera gezückt." Das Fotografieren ist Wiesenbergs einzige große Leidenschaft: Sie lässt sich gut mit den Hilfsreisen verbinden, füllt aber auch sein Leben im Schwarzwald aus.

Wiesenberg ist kein Mann, der an Zufälle glaubt. Er gleitet durchs Leben, auch durch die Natur. Wenn er einmal Zeit findet, auf den Feldberg zu wandern oder auf den Hochfirst, dann entdeckt Wiesenberg in den verschneiten Landschaften immer wieder Zeichen: "Erst letztens habe ich einen betenden Mann aus Schnee gesehen." Da wusste der Dschungel-Doktor, wie er sich selbst nennt: Bald geht’s wieder los.

Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 04. Februar 2017: PDF-Version herunterladen

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