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"Es geht um die Schwächsten"

Jan Dörner
  • & Agenturen

  • Di, 10. März 2020
    Deutschland

Bundesregierung beteiligt sich an europäischer Initiative, Minderjährigen aus Lagern in Griechenland Zuflucht zu bieten .

Ein kleines Mädchen steht am Stacheldr...mps für Migranten in Moria auf Lesbos.  | Foto: Angelos Tzortzinis
Ein kleines Mädchen steht am Stacheldrahtzaun in einem provisorischen Zeltlager in der Nähe des Camps für Migranten in Moria auf Lesbos. Foto: Angelos Tzortzinis

BERLIN. Bis zu 1500 Kinder aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Ägäis-Inseln sollen in den kommenden Wochen in anderen europäischen Staaten aufgenommen werden. Die Aufnahme dieser besonders schutzbedürftigen Minderjährigen sei "keine Frage von Monaten, sondern eher von Wochen", sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Montag in Berlin. Er betonte, diese humanitäre Aktion sei kein deutscher Alleingang.

Mehr als sieben Stunden haben die Spitzen der Koalitionsparteien im Kanzleramt beraten. Die Verhandlungen über die Aufnahme von Kindern aus Flüchtlingslagern aus Griechenland zogen sich über den gesamten Abend bis in die Nacht, immer wieder prüften die Partei- und Fraktionschefs von Union und SPD die Formulierungen. Am Ende stand schließlich ein Kompromiss, von einem "harten Ringen" sprach der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans am Montag.

Als Teil einer europäischen "Koalition der Willigen" will die Bundesregierung minderjährigen Flüchtlingen Zuflucht bieten, die sich unter schwierigen humanitären Bedingungen in Griechenland aufhalten. Das Vorhaben zielt dem Beschluss von Union und SPD zufolge einerseits auf Kinder, die wegen einer "schweren Erkrankung dringend behandlungsbedürftig" seien. Andererseits sollen von ihren Eltern nicht begleitete Minderjährige unter 14 Jahren aus den Lagern geholt werden, die meisten davon Mädchen.

Insgesamt sollen so 1000 bis 1500 Kinder in anderen EU-Staaten aufgenommen werden. Im Rahmen einer europäischen Initiative stehe Deutschland bereit, "einen angemessenen Anteil zu übernehmen", erklärten die Koalitionsparteien. Wie viele Flüchtlingskinder so nach Deutschland kommen, muss noch geklärt werden. Offen ist auch, wie viele Staaten sich dem Vorhaben anschließen. Es gebe "leider nicht die Aussicht", dass sich alle 27 EU-Staaten an der Aktion beteiligten, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Mehrere europäische Länder, darunter Frankreich, haben Bereitschaft signalisiert. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat nun die Aufgabe, die Einzelheiten zu vereinbaren.

Seehofer begrüßte den Beschluss des Koalitionsgipfels. "Es geht hier um die Schwächsten, die sich zum Teil seit Monaten in einer prekären Lage befinden", sagte der Innenminister. Er werde sich dafür einsetzen, "dass wir hier gemeinsam mit anderen EU-Staaten schnell zu einer tragfähigen europäischen Lösung kommen". Der CSU-Politiker hatte sich bereits in der vergangenen Woche offen für die Aufnahme minderjähriger Flüchtlinge aus den Lagern in Griechenland gezeigt.

Während Seehofer dafür offensiv Rückendeckung von der SPD bekam, verärgerte er mit seinem unerwarteten Vorstoß CDU-Vertreter wie Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. In der CDU gibt es Befürchtungen, dass die Aufnahme von Menschen aus den Lagern in Griechenland andere Flüchtlinge dazu verleitet, sich ebenfalls auf den Weg Richtung Europäischer Union zu machen. Es gehe ihm um Ordnung und Humanität, kommentierte Brinkhaus am Mittwoch den Koalitionsbeschluss. "Wenn wir Menschen wirklich helfen wollen, brauchen wir geordnete Verfahren."

Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis begrüßte die Ankündigung der Bundesregierung. Deutschland übernehme damit eine Führungsrolle in der EU, sagte Mitsotakis bei einem deutsch-griechischen Wirtschaftsforum in Berlin. Dies sei ein praktischer Beweis der Solidarität. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am selben Ort, Griechenland nehme große Verantwortung für ganz Europa wahr und verdiene volle Solidarität und volle Unterstützung.

Scharfe Kritik übten Merkel und Mitsotakis am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Griechenland und die EU ließen sich von der Türkei nicht "erpressen", sagte der griechische Regierungschef. Die EU-Außengrenze müsse geschützt werden. Erdogan hatte das Flüchtlingsabkommen mit der Europäischen Union für gescheitert erklärt und verkündet, die Grenze zur EU sei für Migranten offen.

Das Abkommen bleibe gültig, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montagabend nach einem Treffen mit Erdogan. Meinungsverschiedenheiten bei der Umsetzung des Abkommens sollten der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu in den nächsten Tagen gemeinsam mit einem Team von Fachleuten klären, ergänzte EU-Ratschef Charles Michel.

Ressort: Deutschland

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