Raubkunst in Freiburg

"Es gibt kein Protokoll"

Anzeige Freiburgs Museen setzen bei der Provenienzforschung auf volle Transparenz. In Sisyphusarbeit werden Bestände digitalisiert, darunter zehn Beninbronzen. Ein Experte fordert Liste kritischer Objekte.  

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Spärliche Infos: Auch für diese Holzfiguren ist manches unklar. Sie stammen wahrscheinlich von Mitgliedern der Yoruba in Nigeria. Foto: Till Neumann
Das Zentrale Kunstdepot Hochdorf ist von außen nur ein schlichtes Gebäude. Im Innern liegen jedoch unter anderem rund 20.000 Objekte der Ethnologischen Sammlung des Museums Natur und Mensch, deren Herkunft nicht immer geklärt ist. Licht ins Dunkel versucht Nicole Landmann-Burghart zu bringen. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Ethnologischen Sammlung arbeitet seit 2019 die Bestände der Afrika-Sammlung auf. Sie erfasst Datensätze, gleicht sie ab und pflegt sie in eine Datenbank ein. Ein "Traumjob", wie sie sagt. Doch auf sensiblem Terrain. So manches hier könnte unrechtmäßig im Besitz der Freiburger Museen sein.

Um das herauszufinden, haben sich diese eine Transparenzoffensive auferlegt. So viele Informationen wie möglich sollen online gestellt werden – auf Deutsch, Französisch und Englisch. "Unser zentrales Ziel ist, Forschung und Kooperation zu ermöglichen", erklärt Landmann-Burghart und öffnet eine schwere Metalltür. Im Raum reihen sich Speere an Masken und eiserne Werkzeuge. Sie sind auch Teil der Afrika-Sammlung, die die 44-Jährige mit einer Halbtagsstelle aufbereitet.


Es fehlt an Mitteln

Mehr als 2000 Datensätze hat Landmann-Burghart bereits abgeglichen. 1000 Fotos, Objekte und Infotexte sind bis Ende des Jahres bereit zur Veröffentlichung auf der Online-Sammlung STM. Ein Drittel der 3000 Objekte aus Afrika sollen dann online zugänglich sein. Für den Rest bräuchte es weitere Fördergelder. Nur so sei die aufwendige Forschung und Aufarbeitung zu finanzieren, stellen die Museen klar.

Schwer angetan von der Leistung ihrer Kolleg·innen ist Tina Brüderlin. Eine Sisyphus-Arbeit sei das, sagt die Leiterin der Ethnologischen Sammlung des Museums Natur und Mensch. Mit der Provenienzforschung ihres Hauses ist die gebürtige US-Amerikanerin zufrieden: "Freiburg hat hier schon viel geleistet", zukunftsweisend sei die Arbeit. Bestätigung dafür gab"s gerade vom Gemeinderat: Der hat das Vorgehen der Museen in Sachen Raubkunst und Restitution im Oktober abgesegnet und gelobt.

Teil davon ist die seit 2020 verfügbare Online-Sammlung der Städtischen Museen. Rund 1400 Objekte sind dort bereits abrufbar. Sukzessive soll sie erweitert werden. Doch für große Sprünge fehlen Brüderlin die Mittel: "Das größte Problem ist die verstetigte Finanzierung." Für neue Arbeitsfelder brauche es mehr Personal. Ihr Team besteht aus zwei Festangestellten und einer Volontärin. Allein für die Provenienzforschung fehlten ihr zwei Kräfte. "Andere Städte sind besser aufgestellt", sagt die 44-Jährige. Angewiesen ist sie daher auf Fördermittel, beispielsweise vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste Magdeburg.


Noch keine Rückgabeforderungen

Lob gibt es auch von einem externen Experten: "Freiburg kommt voran", sagt Heiko Wegmann zur städtischen Provenienzforschung. Der Leiter des Forschungsprojekts freiburg-postkolonial.de findet die Online-Sammlung eine gute Sache. Und er begrüßt die Vorlage für den Gemeinderat und deren breite Annahme. Wünschenswert fände der Sozialwissenschaftler einen weiteren Schritt: "Für noch mehr Transparenz sollten die Museen öffentlich machen, welche Objekte und Sammler sie – zum jetzigen Stand der Recherchen – selbst als besonders kritisch einschätzen." Das würde zum Beispiel die Arbeit für Herkunftsgesellschaften vereinfachen.

Tina Brüderlin lehnt das ab: "Wir geben keine Liste raus." Es sei für Museen fast nicht möglich, alle Bestände konkret zu benennen, die potentiell aus kolonialen Kontexten stammen, da es viele unterschiedliche Parameter gebe. Sie verweist auf den Leitfaden des Deutschen Museumsbundes zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Um konkrete Bestände als kritisch einzustufen, sei eine intensive Aufarbeitung nötig. Pauschalisierungen sollten vermieden werden.

Rückgabeforderungen haben die Freiburger Museen bisher nicht erhalten. Daher fehlen Erfahrungen, wie so etwas laufen könnte. "Es gibt hierfür noch kein Protokoll", sagt Brüderlin. Sie weiß nur so viel: "Sollten Anfragen eingehen, müssen diese selbstverständlich bearbeitet werden und Lösungen gefunden werden."

Proaktive Forschung

Dass es zu Forderungen kommen könnte, liegt nahe. Zum Beispiel zu den zehn Beninbronzen aus dem Königreich Benin in Nigeria oder zu sogenannten Tjuringas aus Australien. Das sind sakrale Objekte der Aborigines, die nur Eingeweihte sehen dürfen. Doch mit Einschätzungen zu kritischen Objekten ist Brüderlin vorsichtig. "Um sensible Bestände zu identifizieren, bedarf es neben der wissenschaftlichen Aufarbeitung auch Kooperationen mit Vertreter·innen aus Urhebergesellschaften, um nicht nur aus europäischer Perspektive zu agieren."

Wichtig ist ihr, proaktiv zu forschen. Das heißt, auch auf Herkunftsgesellschaften zuzugehen. Immer mal wieder sind Vertreter·innen in Freiburg, um die Sammlungen zu begutachten. Beispielsweise der namibische Botschafter. "Wir befürworten diese Besuche, das sind mit die spannendsten Momente", sagt die Wissenschaftlerin.

Wechsel nach Berlin

Auch mit Ausstellungen möchten sie und ihr Team Einblicke geben. Für 2022 ist eine in Vorbereitung mit dem Titel "Freiburg und Kolonialismus. Gestern? Heute!". Ergänzend gibt es die Sonderausstellung "Handle with care. Sensible Objekte aus der Ethnologischen Sammlung". Brüderlin wird dann nicht mehr in Freiburg sein. Nach neun Jahren wechselt sie im Januar nach Berlin. Dort wird sie das Ethnologische Museum der Staatlichen Museen Berlin leiten. Einen Standort hat es im Humboldt Forum. Das hat im Sommer eröffnet und ist mit seinen ethnologischen Exponaten bereits in die Kritik geraten.

Quelle: http://www.chilli-freiburg.de
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