"Niemals aufgegeben"

Patrik Müller

Von Patrik Müller

Di, 10. März 2020

Emmendingen

BZ-INTERVIEW: Der frühere Polizist Walter Roth hat ein Buch über den Mordfall Endingen geschrieben – und liest jetzt daraus.

EMMENDINGEN. Der Polizeipräsident sprach am Ende von einem kriminalistischen Meisterstück: Es war Spur 4334, die im Sommer 2017 zur Festnahme des Frauenmörders Catalin C. führte. Mehr als ein halbes Jahr hatte die Polizei den Tod der Endinger Joggerin Carolin G. untersucht. Walter Roth hat die Ermittlungen als Pressesprecher begleitet. Im Ruhestand hat er ein Buch über den Fall geschrieben – das stellt er am Freitag, 27. März, bei einer BZ-Hautnah-Veranstaltung in Emmendingen vor. Patrik Müller sprach mit ihm.

BZ: Herr Roth, Sie waren 44 Jahre lange Polizist. Warum haben Sie gerade über die Soko Erle geschrieben?
Roth: Der Fall war wirklich außergewöhnlich, von der Konstellation her und den Umständen, die am Ende zur Aufklärung geführt haben. Wenige Wochen vorher war in Freiburg eine junge Studentin ermordet worden. Bis der Täter gefasst war, wusste man nicht, wo das hinführt: Gibt es einen Täter oder zwei? Wird vielleicht noch ein Mord passieren? Außergewöhnlich ist auch die Verbindung zu Österreich: Am Ende war es ein Mord in Kufstein, der zur Aufklärung in Endingen geführt hat. Dazu kommt, dass es eine gewaltige Menge an Spuren gegeben hat. Und ich wollte einfach nochmal festhalten, dass meine Kollegen niemals aufgegeben haben.

BZ: Obwohl es lange gedauert hat. Zwischen Mord und Verhaftung liegt mehr als ein halbes Jahr.
Roth: Meine Kollegen haben nie gesagt, das war’s jetzt, wir kommen nicht weiter. Auch nicht dann, als die ersten Leute gemeint haben: Den kriegt ihr nicht mehr. Dass die Sonderkommission nach einigen Monaten zu einer Ermittlungsgruppe reduziert wurde, haben viele von außen ja als Aufgeben interpretiert. Dabei hatte diese Entscheidung nur mit der Zahl der Spuren zu tun, die wir bearbeiten mussten. Ein Kollege hat zu mir gesagt: Wir können keine 20 Leute mehr beschäftigen – aber zu den Akten legen werden wir den Fall nie.

BZ: Wie entstand die Idee, über die Ermittlungen zu schreiben?
Roth: Als der Täter verhaftet war, fand in Freiburg für die Sokos Dreisam und Erle eine Art Abschlussveranstaltung statt. Der damalige Polizeipräsident Bernhard Rotzinger sagte da an einem Stehtisch eher nebenbei zu mir: Eigentlich müsste man das alles mal aufschreiben. Kurz darauf sagte ein zweiter Kollege haargenau den gleichen Satz. Das war die Initialzündung. Ursprünglich sollte es aber kein Buch werden, sondern eher ein interner Bericht für die Kollegen.


BZ: Wie wurde daraus dann doch noch ein Buch?
Roth: Während der Ermittlungen hat uns immer wieder eine Journalistin begleitet. Mein Job war es, die Dame zu betreuen – sie war, ich sage mal, charmant-engagiert und hat immer wieder bei uns nachgefragt. Ihr Artikel ist nach der Verhaftung dann im Zeit-Magazin erschienen. Daraufhin hat sich ein Verlag bei ihr gemeldet. Sie sagte aber, sie habe zu wenig Hintergrund – und hat auf mich verwiesen. Sie wusste, dass ich auch Notizen hatte. Das habe ich eigentlich bei allen Fällen gemacht, die ich betreut habe. Zuerst habe ich gesagt, dass das mit dem Buch schwierig werden könnte, weil vieles nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist – und dass ich mir mal Gedanken mache.
"Man muss Dinge

niederschreiben, so lange sie noch präsent sind."

Walter Roth
BZ: Sie waren Beamter. Dürfen Sie eigentlich über Ihre Arbeit schreiben?
Roth: Der Erste, dem ich von meiner Idee erzählt habe, war dann auch der damalige Polizeipräsident. Der sagte, es sei ein interessantes Projekt, er habe grundsätzlich nichts dagegen, aber es müsse auch gut darauf geachtet werden, was man schreiben darf und was nicht. So lief es dann auch. Der Inhalt ist von vielen zuständigen Stellen geprüft worden. Es ist nichts enthalten, was dienstlichen Interessen entgegensteht.

BZ: Wie viel mussten Sie streichen?
Roth: Ich habe mit erfahrenen Kollegen darüber geredet, welche ermittlungstaktischen Details man nicht beschreibt − auch im Hinblick auf künftige Straftaten, die noch aufgeklärt werden sollen. Große Diskussionen gab es nicht. Ich war lange Kriminalbeamter und weiß, was ich schreiben darf. Bei einigen Themen habe ich abgeglichen, ob sie schon öffentlich zur Sprache gekommen sind, zum Beispiel vor Gericht. Der ermittelnde Staatsanwalt, eine überaus wichtige Person im Verfahren, hat den gesamten Text ebenfalls gelesen und keine Einwände.

BZ: Sie waren Teil der Soko und wissen vieles, was Sie nicht schreiben konnten. Wie schwer war es, Dinge wegzulassen?
Roth: Gar nicht. Ich weiß viele Dinge, die man gar nicht wissen will. Es war für mich zum Beispiel selbstverständlich, dass ich auf detaillierte Beschreibungen des Tatgeschehens verzichte. Sinn des Buches ist nicht, schlimme Dinge zu schildern, sondern den mühsamen, aber letztlich erfolgreichen Weg einer Soko: Wie arbeitet eine Gruppe von 40 Leuten und unterschiedlichen Charakteren zusammen?

BZ: Der Mord liegt gerade mal dreieinhalb Jahre zurück, viele Wunden sind noch frisch. Braucht es jetzt schon ein Buch?
Roth: Das ist schwer zu beantworten. Dreieinhalb Jahre sind relativ. Man muss Dinge niederschreiben, solange sie noch präsent sind. Und solange man noch die Möglichkeit hat, beteiligte Personen zu befragen. Ich habe auch schon mehrfach festgestellt, dass zu den drei Morden – Endingen, Kufstein, Freiburg – Dinge durcheinandergebracht werden, weil die Erinnerung verblasst. Meine erste Anlaufstelle war der Polizeipräsident, die zweite waren die Angehörigen von Carolin. Wenn die gesagt hätten, dass sie das nicht möchten, wäre das Thema erledigt gewesen. Das Buch wäre dann nicht veröffentlicht worden. Ich hätte es für mich geschrieben und vielleicht noch für die Kollegen von der Soko, für den internen Gebrauch. Die Eltern und der Ehemann kannten das komplette Manuskript und konnten Einfluss nehmen. Auf einer der letzten Seiten ist ein Bild von Carolin, mit einem Zitat dabei. Ich glaube, die Angehörigen sehen das ähnlich wie ich: Sie wollen die Erinnerung wahren, die Erinnerung an Carolin – und ich die Erinnerung an die herausragende Leistung meiner Kollegen und deren unbeugsamen Willen, den Mörder zu finden.

Walter Roth (62) war 44 Jahre Polizist, zuletzt als Pressesprecher. Der Ettenheimer ist seit vergangenem Jahr im Ruhestand.