Feuerscheiben durch die Nacht

Südbaden hat, was andere Regionen nicht haben – die traditionsreiche Bauernfasnacht mit Umzügen und dem Scheibenschlagen.  

Zu den Kommentaren
Mail

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
Funkenregen vor Nachthimmel: Beim Sche...endes Buchenholz ins Tal geschleudert.  | Foto: dpa
Funkenregen vor Nachthimmel: Beim Scheibenschlagen wird glühendes Buchenholz ins Tal geschleudert. Foto: dpa

"Völlig Gaga", war der Kommentar des Sportsenders Sport1 über die Pressekonferenz des SC Freiburg vor dem Bundesligaspiel gegen Borussia Dortmund vergangenen Februar. Warum? Trainer Christian Streich erklärte darin den süddeutschen Brauch des Scheibenschlagens. Julius Heitz, Schüler der Klasse 8a des Kollegs St. Sebastian Stegen, erklärt, was beim Scheibenschlagen passiert.

In Streichs Heimat Weil am Rhein und in anderen Orten des Südschwarzwaldes ist er aber noch lebendig. So auch in Burg-Höfen, einem Ortsteil von Kirchzarten im Dreisamtal. Dort flogen die glühenden Holzscheiben am 11. März ins Tal, am zweiten Samstag nach Aschermittwoch. Es war ein eigenartiges Schauspiel: Kurz vor Einbruch der Dunkelheit bestiegen die Zuschauer einen Hügel. Dort war ein großer Scheiterhaufen aufgerichtet, und etwa zehn Meter daneben brannte ein kleines Feuer. Daran wärmten sich schon die Schiibebube, ledige, junge Männer aus dem Ort.

Sie sind die Hauptpersonen bei jedem Scheibenschlagen und führen eine alte Tradition fort. Schon vor knapp 60 Jahren hat der heute 77-jährige Conny Goldschmidt am selben Hügel Scheiben geschlagen. 1958 zum ersten Mal, danach noch weitere sechs Jahre. Begeistert erzählt er, dass das Scheibenschlagen damals ein großes Highlight für sie war. Für ihn zählten dabei vor allem Begegnung und Zusammengehörigkeit mit den anderen Bauernjungen. Während in seiner Zeit nur ledige, junge Männer, die ihr 18. Lebensjahr vollendet hatten, "mit einer weißen Weste" aus dem Ortsteil Höfen zugelassen waren, schlagen heute auch Jungen aus den Ortsteilen Burg-Birkenhof und Burg am Wald die Holzscheiben ins Tal.

Unverändert geblieben ist der Ablauf: Wenn die Dunkelheit einbricht, umkreisen die Schiibebube zweimal den Scheiterhaufen, auf dem eine mit Kleidern angezogene Strohpuppe, die "Hex", befestigt ist, und beten das "Vater unser". Dann zünden sie das große Feuer an und schütten einen Kanister Benzin hinein. Danach nehmen sie ihre langen Stöcke und stecken an deren Spitze jeweils eine Schiibe auf. Um gut schlagen zu können, berichtet Conny Goldschmidt, braucht man einen elastischen, aber nicht zu biegsamen Haselnussstecken. Auch auf die richtige Befestigung der Scheibe komme es an, nicht zu fest und nicht zu locker dürfe sie sitzen. Die Buchenholzscheiben werden im kleinen Feuer zum Glühen gebracht. Währenddessen überlegen sich die Jungs, wem sie die Schiibe widmen.

Wenn sie etwas glüht, gehen sie zu einer Rampe, einer aufgebockten Holzplanke, schwingen den Stock und rufen den Zuschauern zu: "Schibi, schibo, schibi, schibo, wem soll die Schiibe goh? Die Schiibe soll dem… goh." Nachdem sie den Spruch aufgesagt haben, hauen sie ihre "Schiibe" auf die Rampe, und wenn sie hoch und weit fliegt, rufen die Zuschauer ein "Oohhh". Die erste Schiibe wird in Höfen der Heiligen Dreifaltigkeit gewidmet. Sie ist, wie Conny erklärt, größer als normale Scheiben. Nach dem Pfarrer und dem Bürgermeister bekommen viele Personen eine Schiibe geschlagen: Eltern oder Freunde des Schiibebubs, Nachbarn, spendable Gastgeber, die den Buben beim Holzsammeln gutes Essen aufgetischt haben, oder Menschen aus dem Ort, denen ein Missgeschick passiert ist oder die sich ein lustiges Erlebnis geleistet haben. Das Mädchen, das die meisten Scheiben gewidmet bekommt, ist das Schiibemädle. "Meistens sieht sie nett aus", sagt Conny Goldschmidt. Der älteste Schiibebub ist der Schiibevater, "der hat das Sagen", das heißt, er trägt die Verantwortung für die ganze Veranstaltung.

Wenn die letzte Schiibe geschlagen wird, ruft der Schiibevater den abschließenden Spruch: "Schiib, Schiib, über de Rai ab/ D’Küechlipfanne het e Bai ab/ De Ankehafe het de Bode duß/ Und jetzt isch die alt Fasnet us!" An diesem Spruch kann man sehen, dass das Scheibenschlagen eigentlich zur Fastnacht gehört und nicht ein uralter heidnischer Brauch ist, um den Winter zu vertreiben, wie manche Leute sagen. Das Scheibenschlagen gehört also zum christlichen Kirchenjahr, wie man bei dem Forscher Werner Mezger auch nachlesen kann. Am sogenannten "Funkensonntag" gibt es in anderen Gegenden ähnliche Feuerbräuche. Die im Spruch genannte "alte Fastnacht" liegt später im Jahr als die heutige Fastnacht und wird nach Aschermittwoch gefeiert.

Vielleicht wären die Reaktionen anders ausgefallen, hätte Christian Streich diese Zusammenhänge auch erklärt.

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel