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Digitale Flaschenpost

Google ermöglicht zeitversetztes Senden von E-Mails bis ins Jahr 2069

  • Mo, 03. Juni 2019, 20:26 Uhr
    Computer & Medien

     

Neue Option: Mit Google kann man E-Mails schreiben, die erst in 50 Jahren verschickt werden. Doch wird die digitale Post jemals beim Empfänger ankommen? Und gibt es Google dann überhaupt noch?

Der Fischer Konrad Fischer fand am 5. ...4 eine Flaschenpost aus dem Jahr 1913.  | Foto: Uwe Paesler
Der Fischer Konrad Fischer fand am 5. März 2014 eine Flaschenpost aus dem Jahr 1913. Foto: Uwe Paesler
Im vergangenen Jahr hob eine Spaziergängerin am Strand von Wedge Island in Australien eine Flaschenpost auf. Auf einem gedruckten Formular stand in verblichener Handschrift geschrieben: "Diese Flasche wurde über Bord geworfen am 12ten Juni 1886 In 32° 49’ Breite Süd Und 105° 25’ Länge Süd Greenwich Ost. Vom: Bark Schiffe: Paula Heimath: Elsfleth". Im Jahre 1886 war die Flaschenpost von Bord des deutschen Forschungsschiffes "Paula" aufgegeben worden. 132 Jahre später fand sie ihren Adressaten. Laut Medienberichten soll es sich um eine der ältesten Flaschenpost-Sendungen der Geschichte handeln.

In Zeiten von Whatsapp, Instagram, SMS und E-Mail verschickt heute kaum noch jemand eine Flaschenpost. Doch angesichts der Halbwertszeit von Speichermedien – ein USB-Stick ist nach 30 Jahren nicht mehr lesbar – stellt sich die Frage, wie sich Informationen in der digitalen Gesellschaft konservieren lassen. Vint Cerf, "Chief Internet Evangelist" bei Google und einer der "Väter" des Internets, warnte vor ein paar Jahren vor einem digitalen "Dark Age".

Künftige Generationen könnten unter einer Art digitaler Amnesie leiden, weil alte Formate nicht mehr abrufbar seien. Doch nun scheint auch für dieses Problem eine (Teil-)Lösung gefunden zu sein: Zum 15. Geburtstag seines E-Mail-Dienstes Gmail hat Google kürzlich ein neues Feature hinzufügt, mit dem sich E-Mails zeitversetzt verschicken lassen.

Neben dem Senden-Button befindet sich ein nach unter gerichteter Pfeil mit der Überschrift "Weitere Sendeoptionen". Klickt man darauf, erscheint die Schaltfläche "Senden planen". In dem Fenster lässt sich das Versanddatum der E-Mail einstellen. Am nächsten Tag oder in ein paar Monaten. Der spätmöglichste Termin ist der 14. Mai 2069. Man kann also eine E-Mail schreiben, die erst in 50 Jahren verschickt wird. Eine halbe Ewigkeit, wenn man bedenkt, dass E-Mails in beinahe Lichtgeschwindigkeit durch Datenleitungen gejagt werden.

Das zeitversetzte Senden von E-Mails war bereits mit dem Browser-Plug-in "Bumerang" möglich. Das Tool wird rege genutzt: Laut Google wurden über Bumerang bereits 152 Millionen E-Mails zugestellt. Nun kann man über Sinn und Nutzen einer solchen Funktion streiten, wo täglich über 270 Milliarden E-Mails auf der ganzen Welt verschickt werden und nicht die Zustellung, sondern vielmehr die Flut von Informationen das Problem ist. Trotzdem lädt das Feature zu einem Gedankenexperiment ein.

Was passiert mit unverschickter Post, wenn Google pleite macht?
Angenommen, man würde eine E-Mail an einen Adressatenkreis mit dem Sendetermin 1.1.2069 verfassen. Käme die digitale Post an? Oder würde sie im Ozean der Informationen versinken? Gibt es Google dann überhaupt noch? Oder den E-Mail-Provider, an dessen Adresse die Mail verschickt werden soll? Lebt der Empfänger dann noch? Welche Informationen würde man dem Adressaten mit auf den Weg geben? Wie geht man mit den Schriftstücken um? Wäre es legitim, die heute verschickten digitalen Briefe in 50 Jahren zu öffnen, weil sie etwas von der Geschichte der Menschheit erzählen? Schlummern in den Servern wertvolle Informationen wie Geständnisse oder Patente? Das mögen hypothetische Fragen sein, doch sie berühren den Kern digitaler Kommunikation.

Der Internetkritiker Evgeny Morozov verglich Google einmal mit einem digitalen Postamt: Statt einen Brief mit Briefmarken zu frankieren und dafür zu bezahlen, überträgt man das Geschäft des Post- und Fernmeldewesens einem Werberiesen, der automatisiert Briefe öffnet, den Inhalt liest und zum Schluss Reklame beilegt. Das ist eine flagrante Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, die aber von den meisten stillschweigend akzeptiert wird, weil der Versand kostenlos ist.

Denkt man die Analogie fort, würde Google auf einem riesigen Stapel von Briefsendungen sitzen, die in einem digitalen Depot lagern und des Versands harren. Einmal angenommen, Google würde in zehn Jahren zerschlagen oder ginge pleite – was passiert dann mit der unverschickten Post? Müsste der Sendeauftrag für Millionen terminierte E-Mails (möglicherweise von einem Rechtsnachfolger) erfüllt werden? Würden die E-Mails versanden? Oder als digitale Flaschenpost im Datenmeer herumtreiben?

Gut möglich, dass ein Angehöriger, dem der digitale Nachlass eines E-Mail-Kontos überantwortet wurde, anno 2069 eine E-Mail in dem Postfach findet, die vor 50 Jahren – also heute – abgeschickt wurde. Es gibt immer wieder Geschichten von Postkarten, die Jahrzehnte später ihren Empfänger erreichen. So geschehen bei einer Postkarte, die 1943 aus einem Militärlager im US-Bundesstaat Illinois abgeschickt wurde und erst 69 Jahre später ihr Ziel erreichte – die Adressaten waren da längst verstorben.

Dass die Botschaft den Sender überlebt, ist nichts Neues. Im Jahr 1977 schickte die Nasa an Bord der Raumsonden Voyager 1 und Voyager 2 zwei vergoldete Kupferschallplatten ins Weltall: die sogenannten Voyager Golden Records, auf denen Grußbotschaften in 55 Sprachen sowie Musikstücke (unter anderem von Bach, Mozart und Beethoven) gespeichert waren. Die Datenplatte mit den Bild- und Audioinformationen, die an der Außenhülle der Raumsonde angebracht wurde (sie schwebt heute in einer Entfernung von rund 20 Milliarden Kilometern im interstellaren Raum), war als Botschaft an Außerirdische gedacht. Ob sie jemals ihren Adressaten erreicht, steht in den Sternen.

Ressort: Computer & Medien

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 04. Juni 2019: PDF-Version herunterladen

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