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Neues Album

Justin Timberlake: Zurück zur Natur

Steffen Rüth

Von

Fr, 02. Februar 2018 um 20:30 Uhr

Rock & Pop

Justin Timberlake neues Platte "Man Of The Woods" ist wie Knoblauch mit Ameisenglasur – eine teils überambitionierte Übung in herzhaftem Futurismus.

Der Mann mit dem Pickup: Justin Timberlakes neues Image  | Foto: Sony Music
Der Mann mit dem Pickup: Justin Timberlakes neues Image Foto: Sony Music
Erster Eindruck: Die ziehen das hier echt durch mit dem Wald. Überall in der riesigen Veranstaltungshalle am Hudson River in Manhattans Tribeca-Viertel wurden eigens für den Abend Bäumchen und Sträucher aufgestellt. Und so flanieren Hunderte Gäste des Sponsors, Medienleute, Vertreter der Musik- und Filmbranche und Partypeople auf ihrem Weg von Bar zu Bar durch eine urbane Laublandschaft, während die dazugehörigen Tiere nicht mehr krabbeln, sondern auf Tabletts serviert werden. René Redzapi, Küchenchef des berühmten Kopenhagener Restaurants "Noma" stellte das Buffet zusammen. Es gibt fermentierten schwarzen, mit Ameisenglasur bestrichenen Knoblauch, getrocknete Beeren an püriertem Schweinebauch mit Schokosplittern und Pfannkuchenbällchen, gefüllt mit Grashüpferpaste. Schmeckt. Vor allem, wenn man es verputzt und sich erst dann erklären lässt, was man da gegessen hat.

"Wahnsinn, Leute, ihr habt den Wald nach New York gebracht", ruft ein strahlender Justin Timberlake, als er nach der Insektenmahlzeit den Raum betritt, ein kurzes Grußwort spricht und fordert, man möge sein neues Album nun sehr laut abspielen. Der 37-Jährige ist in Begleitung seiner Frau, der Schauspielerin Jessica Biel. Er trägt Turnschuhe, Flanellhemd, Jeansjacke mit weißem Innenfell und eine rote Wollmütze, er sieht also hundertprozentig so aus wie ein – dezent modebewusster – Mitarbeiter des Gartenbauamts, der eben noch Ulmen im Central Park gestutzt hat.

Genau das ist auch die Idee. Sein fünftes Solowerk "Man Of The Woods" soll verkauft werden als Timberlakes Weg zurück zur Natur. Auf aktuellen Pressefotos kniet der Knabe in der Prärie, im Hintergrund Pferde und die Berge Montanas – die Timberlakes haben dort ein abgelegenes Anwesen, in dem sie sich dem Vernehmen nach sehr gern aufhalten. Im Trailer zum neuen Album wetzt er durch den Schnee und breitet die Arme aus, während Jessica Biel die Platte als "Wilder Westen, bloß heute" beschreibt. Als dann noch bekannt wurde, dass Timberlake ein Duett mit Chris Stapleton, dem zurzeit erfolgreichsten Countrysänger der USA, auf dem Album hat, dachten alle: Der Justin macht jetzt also eine Countryplatte.

Nur: "Man Of The Woods" ist alles Mögliche, nur nicht Country. Was man in Wirklichkeit bekommt, ist der mutige, ambitionierte, bisweilen überambitionierte, auf 16 Songs in 66 Minuten verteilte Versuch, mit modernsten Produktionsmitteln ein heimeliges Klanggefühl zu schaffen. Soul-, Gospel- und R&B-Einflüsse sollten gekreuzt werden mit futuristischem Funk, zukunftsweisenden Beats und Sounds, erdig und innovativ.

Klingt kompliziert? Ist es in der Praxis auch. "Man Of The Woods" ist kein besonders zugängliches Album, ein kristallklarer Hit wie zuletzt "Can’t Stop The Feeling" aus dem Sommer 2016 ist nicht zu erkennen. Doch es ist Timberlake hoch anzurechnen, dass er es sich während der zweijährigen Produktionsarbeit nicht leicht gemacht hat. Zusammen mit dem Produzententeam The Neptunes um Pharrell Williams und seinem Spezi Tim "Timbaland" Mosley, mit dem er die interessant ungerade und nach derbem Sex klingende, sich vor Prince verneigende Robo-Pop-Single "Filthy" aufgenommen hat, reitet Timberlake durch eine Klanglandschaft, die sich gängigen Genres entzieht. Besonders stark ist der housig-heftige "Midnight Summer Jam", zu der die Lichter im Pop-Up-Wäldchen zu flackern und die Leute sich zu bewegen beginnen. Der Song wirkt komplexer als Vergleichbares von Bruno Mars, auch cooler. Im langsameren und textlich ungewohnt persönlichen Titelsong ("Man Of The Woods" ist die Übersetzung des Namens seines Sohnes Silas) mag man Anleihen an George Michaels "Faith" erkennen, "Supplies" klingt dunkel, hart, cluborientiert und erfrischend unkommerziell.

In der Mitte hängt das Albums dann ziemlich durch. Das bekifft klingende "Wave", das reggaefizierte Duett "Morning Light" mit Alicia Keys, der Song mit Chris Stapleton ("Say Something", gospelchorverstärkter Pomp) das austauschbare Trinklied "Flannel" – alle können sie nicht überzeugen. "Montana" macht dann wieder Spaß, angesiedelt zwischen Bee Gees und Scissor Sisters. "Hard Stuff" packt einen dann mit akustischer Gitarre und emotionalen Geschichten über Frau und Kind wirklich so richtig schön in der Herzgegend. Abschließend brabbelt der kleine Silas im poppigsten Song "Young Man" auch noch selbst.

Die ganze Albumkampagne ist nicht frei von Widersprüchen. Im Video zu "Supplies" schaut Timberlake auf Monitore, auf denen Harvey Weinstein, Trump und der "Women’s March" zu sehen sind, um anschließend als Kämpfer der Apokalypse das Böse zu meucheln. Zugleich verweigert er zu Woody Allen, dem sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen wird und in dessen aktuellem Film "Wonder Wheel" er eine Hauptrolle spielt, jeden Kommentar. Vielleicht wäre Timberlake gut beraten, Feminismus nicht nur zu promoten, sondern auch zu leben.

Justin Timberlake: Man Of The Woods (Sony Music).

Nippelgate

Wenn Justin Timberlake am Montag gegen 2.30 Uhr deutscher Zeit in der Halbzeit des Finales im American Football auftritt, wird Janet Jackson nicht dabei sein, hat der Sänger erklärt. Anders als 2004, als die zwei für den Aufreger sorgten, der als Nippelgate in die Geschichte einging. Am Ende des Songs "Rock Your Body" riss Timberlake ein Körbchen von Jacksons Korsage ab, darunter sollte ein BH zum Vorschein kommen. So wird es jedenfalls heute dargestellt. Tatsächlich fehlte nach dem ruckartigem Griff beides. Jacksons rechte Brust war kurz nackt im Fernsehen zu sehen – ein Skandal, der bis heute nachwirkt. US-Sender verzögern seither Liveübertragungen um einige Sekunden, um solche Bilder zu verhindern. Radio- und TV-Stationen boykottierten Jackson. Das führte zu sinkenden Plattenverkäufen und einem anhaltenden Karriereknick. Timberlake dagegen ist heute ein Weltstar und tritt als erster Musiker zum dritten Mal bei Amerikas wichtigstem Sportereignis auf. Angeblich hat er sich nie bei Jackson entschuldigt.

Ressort: Rock & Pop

  • Zum Artikel aus der gedruckten BZ vom Sa, 03. Februar 2018:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

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