Russland

Kartoffeln als Luxus? Russlands Wirtschaft hat Probleme

Wirtschaftsminister Reschetnikow warnt vor einer Rezession in Russland. Viele Sektoren haben zu kämpfen. Die Bürger müssen am Gemüsestand immer tiefer ins Portemonnaie greifen.  

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Ein Lebensmittelstand in Moskau: In Ru...d Kartoffeln und Zwiebeln ausgegangen.  | Foto: Andre Ballin (dpa)
Ein Lebensmittelstand in Moskau: In Russland sind Kartoffeln und Zwiebeln ausgegangen. Foto: Andre Ballin (dpa)

In Russland, dem Staat mit der potenziell größten Anbaufläche für Landwirtschaft, sind Kartoffeln und Zwiebeln ausgegangen. Das Defizit hat sogar Präsident Wladimir Putin bemerkt. "Es hat sich herausgestellt, dass uns Kartoffeln fehlen", klagte der Kremlchef vor wenigen Wochen. Auch bei Zuckerrüben und einigen Gemüsesorten gebe es Engpässe, räumte er ein. Zuvor waren die Preise für Kartoffeln in den russischen Geschäften durch die Decke gegangen. Innerhalb des vergangenen Jahres haben sie sich offiziellen Angaben nach fast verdreifacht, der Preis für Zwiebeln verdoppelt. Kohl kostet über 50 Prozent mehr als vor einem Jahr, hat die Statistikbehörde Rosstat ausgerechnet. Gefühlt ist der Anstieg noch höher.

Hohe Inflation drückt Lebensstandard der Russen

Etwas mehr als einen Euro mussten die Russen im Juni für ein Kilo Kartoffeln ausgeben. Bei Durchschnittseinkommen von laut Rosstat knapp 1000 Euro vor Steuern und bei Renten von etwas mehr als 200 Euro ist das nicht wenig. Die anziehenden Lebensmittelpreise sind einer der Haupttreiber der Inflation in Russland. Derzeit liegt die laut Wirtschaftsministerium bei 9,6 Prozent.

Die Zentralbank versucht, die Inflation mit einem hohen Leitzins unter Kontrolle zu bekommen – derzeit sind es 20 Prozent. Das Kalkül dahinter: Wird es wegen der hohen Zinsen schwerer, Kredite aufzunehmen, sinkt die Geldmenge, die im Umlauf ist. Weniger Geld bedeutet weniger Nachfrage und sinkende Inflation.

"Dem Empfinden nach haben wir eine Rezession"

Doch damit ist Russland nun auf weitere Komplikationen gestoßen. Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow hat auf Putins großer Schaubühne, dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg, ungewöhnlich deutlich vor Problemen für die einheimische Wirtschaft gewarnt: "Den Zahlen nach haben wir eine Abkühlung, den aktuellen Empfindungen der Unternehmer nach sind wir schon an der Grenze zum Übergang in eine Rezession", sagte er.

Zentralbankchefin: Ressourcen sind aufgebraucht

Zentralbankchefin Elvira Nabiullina wehrte sich gegen den Vorwurf einer falschen Geldpolitik, aber auch sie prognostizierte Schwierigkeiten. Russlands Wirtschaft sei zwei Jahre lang trotz der Sanktionen durch Programme zur Importverdrängung gewachsen – dank Geldern aus dem Wohlstandsfonds und bestehenden Kapitalreserven des Bankensystems. "Wir müssen verstehen, dass viele dieser Ressourcen tatsächlich aufgebraucht sind", sagte sie.

In der Tat hat sich die russische Wirtschaft nach dem von Putin befohlenen Angriff auf die Ukraine erstaunlich gut gehalten – trotz der westlichen Strafmaßnahmen. In erster Linie ist dies auf eine rigorose Umstellung der Wirtschaft auf Kriegsproduktion zurückzuführen.

Rüstung boomt, viele zivile Sektoren kränkeln

Kritiker bemängeln, dass die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Russland nicht das Potenzial der Wirtschaft widerspiegele, neue Waren für die Bürger herzustellen – oder deren wachsenden Lebensstandard. Vielmehr zeige es nur an, dass die von Haushaltsgeldern finanzierte Rüstungswirtschaft immer mehr Drohnen, Raketen und Panzer produziere. Zivile Sektoren hingegen kränkeln seit geraumer Zeit. Sie kämpfen mit hohen Kosten, Personalmangel und technologischem Rückstand, der sich durch die Sanktionen nur noch manifestiert. Der Bau- und Immobiliensektor etwa ist stark in der Krise. Auch der Autobau stockt, seitdem westliche Produzenten und Zulieferer Russland den Rücken zugewendet haben.

Stillstand bei Automobilen

Der zum Tschemesow-Imperium gehörende Lada-Produzent Avtovaz konnte die von westlichen Autobauern hinterlassene Lücke nicht füllen. Auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg stellte der Konzern zwar sein neuestes Modell, den Lada Azimut, vor, der vom kommenden Jahr an in Serienproduktion gehen soll. Doch in den Lagern stapeln sich noch die Vorgängermodelle wegen fehlender Nachfrage. Die Neuwagenkäufe sind in Russland nach einem Zwischenhoch 2024 erneut eingebrochen.

Der Produzent von Mähdreschern und Traktoren hat gerade mehr als 15.000 Mitarbeiter in Zwangsurlaub geschickt. Schon im März wurde Kurzarbeit in der Fabrik angesetzt, im April wurden 2000 Arbeiter entlassen. Paradox: Auch Rostselmasch kann nicht vom weitgehenden Rückzug der westlichen Konkurrenz profitieren. Der Absatz bei Mähdreschern stockt: Dem Markteinbruch von 20 Prozent im vergangenen Jahr folgte ein Minus von 10 bis 15 Prozent in diesem Jahr bisher. Im Lager von Rostselmasch stauen sich 40 Prozent der Jahresproduktion. Den Bauern fehlt das Geld für neue Technik. Hohe Kreditzinsen und steigende Produktionskosten machen ihnen zu schaffen.

Bauern haben von Rekordernte nicht profitiert

Und das hat Auswirkungen auf die Ernte. Im ersten Kriegsjahr 2022 hatte Putin noch stolz von einer Rekordernte beim Getreide – 157 Millionen Tonnen – berichtet. In den vergangenen beiden Jahren sanken die Erträge jeweils. Immerhin hofft die Regierung auf eine bessere Ernte als im Vorjahr. Die Kartoffeln sollen dabei schon von kommender Woche an gerodet werden. Durch das steigende Angebot könnten die Preise vorläufig wieder fallen. Ansonsten muss Putin auf das Rezept seines Verbündeten zurückgreifen, des als "Kartoffeldiktator" verschrienen Machthabers von Belarus, Alexander Lukaschenko. Der hatte seinen Untertanen empfohlen, Kartoffeln nur noch maximal zweimal pro Woche zu essen. Ansonsten würden die Menschen zu dick, sagte Lukaschenko, der selbst nicht als Leichtgewicht gilt.

Schlagworte: Wladimir Putin, Maxim Reschetnikow, Alexander Lukaschenko

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