Keine Schnulzen und kein Happy-End

JUZ IM MUSIKTHEATER (3): Cabaret ist ein Musical, das vom Beginn des Naziterrors aus der Warte eines Nachtklubs berichtet.  

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"Willkommen, bienvenue, welcome!" Willkommen in "Cabaret", willkommen im Freiburger Theater, das sich für dieses Musical in Schale geworfen hat und in verruchtem rotem Glanz erstrahlt. Ein Conérencier tänzelt mit elegantem Schritt, gewagtem Hüftschwung und schickem Spazierstock über die Bühne und stellt die Tänzerinnen mit all ihren diversen Vorzügen vor: Herzlich willkommen im KitKat-Klub, willkommen im Berlin der frühen 30er Jahre.

"Lassen Sie Ihre Sorgen vor der Tür!" säuselt der Conférencier, "leave your troubles outside." Die Vorstellung kann beginnen. Bunte Lichter bescheinen Tänzerinnen in schwarzer Spitze und Strapsen, mit blonden, roten und schwarzen Perücken: die "Girls". Die bringen mit ihren eindeutig zweideutigen Tänzen schwüle Klub-Atmosphäre auf die Bühne. Eindeutig jetzt auch, um was für eine Art von Schuppen es sich beim KitKat-Klub handelt: ein Amüsierbetrieb ganz im Stil der 20er und 30er Jahre. Die Gäste: die Vorläufer der heutigen Spaßgeneration.

Linkes Bein in die Luft, rechtes Bein in die Luft: Tanz, Sex, und Drogen versüßen das Leben der KitKat-Girls - und auch das von Sally Bowles. Sally ist die weibliche Hauptfigur in "Cabaret". Als Sängerin und Tänzerin in dem zwielichtigen Klub lernt sie den amerikanischen Schriftsteller Cliff kennen und beginnt eine Affäre mit ihm. Der ständige Zwiespalt zwischen Sallys Traum von der großen Karriere und dem einfachen Glück macht sie nur in einigen Momenten unsicher und zerbrechlich. Dagegen singt sie beherzt mit "Life is a cabaret" an. So als wolle sie sich selbst damit überzeugen, dass sie tatsächlich unwiderstehlich und für eine große Karriere geboren ist.

Ganz anders Cliff. Zuerst zu sehen in einem Zugabteil. Da sitzt er auf einer der beiden Holzbänke, groß, schlaksig. Ein amerikanischer Schriftsteller, der sich auf den Weg in das pulsierende Berlin gemacht hat. Die Hauptstadt versprach zu der Zeit entfesselte Lebenslust. Die Ausgelassenheit ist aber auch ein Tanz auf dem Vulkan: das Ende liegt auch schon bei der ersten Begegnung von Cliff und Ernst Ludwig in der Luft. Der kommt im korrekten Nadelstreifenanzug, seitengescheitelt und mit brauner Aktentasche ins Zugabteil gestürmt und benimmt sich etwas merkwürdig. Ein erwachsener Mann, der auf den zwei Abteilbänken hektisch herumklettert. Schnell stellt sich heraus, was da nicht stimmt: Ernst Ludwig ist Nazi, genauer noch: ein Kurier, und mit geschmuggelten Parteigeldern von Paris nach Berlin unterwegs. Das wird Cliff - zu seinem Entsetzen - erst später begreifen.

Anders als der skeptische Cliff, findet Sally, dass sie Politik nichts angeht. Lieber tanzt sie zu swingender Musik und singt, was das Zeug hält. Und nistet sich frech und selbstbewusst gleich in Cliffs Pension ein. Überhaupt gebärdet sie sich gerne wie eine Diva, und steht am liebsten im Mittelpunkt. Das gelingt ihr auch meistens, denn sie kreischt, schreit, schimpft, wettert und tobt und singt sich wirklich die Seele aus dem Leib. Sally ist immer explosiv, exzessiv und exzentrisch, überspielt damit ihre Zerbrechlichkeit. Und überzeugt voll.

1972 feierte Liza Minelli alias Sally Bowles ihren ersten Welterfolg mit der oscar-überhäuften Verfilmung dieses Musicals. Seither sind etliche der Cabaret-Songs absolute Ohrwürmer. Aber schon 1966 war die Bühnenversion von "Cabaret" (von John Kander und Fred Ebb) ein riesiger Broadway-Erfolg. Auch wenn dieses Musical eigentlich gar nicht Broadway-typisch ist: keine Schnulzen und schon gar kein Happy-End. Mit einfachen Mitteln, manchmal schrägen Tönen und schwungvollem Tanz im Nachtklub wird ein Stück gezeigt, das menschliche Schicksale vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit, dem Beginn das Nationalsozialismus, beschreibt. Erschreckend, wenn der Zuschauer auf dem Nachbarplatz mit den Gästen im Klub aufsteht und die Hand zum Hitlergruß erhebt. Erschreckend selbst dann noch, wenn er später als Schauspieler zu erkennen ist. Der jüdische Obsthändler Herr Schulze inmitten seiner Apfelsinen- und Ananaskisten ist dennoch bis zum bitteren Ende überzeugt, der Spuk geht vorbei. Er kennt die Deutschen - und will sich partout keine Sorgen machen.

Nur Cliff erkennt den Ernst der Lage und will die schwangere Sally mit nach Philadelphia nehmen. Der Nationalsozialismus hat allerdings in Sallys Wahrnehmung keinen Platz: "Was hat das mit uns zu tun?" Ein kleiner Tisch, ein Bett, eine Schreibmaschine, das ist die bescheidene Ausstattung ihres gemeinsamen Glücks.

"Scharfe Tanznummern und Geschichte in anschaulicher Form."

Und doch entscheidet sich Sally am Ende für das Leben als Klubsängerin und gegen Cliff und das Kind. Sie treibt ab. Man ahnt das, wenn sie am Schluss in die kleine Pension kommt, sich kaum auf den Beinen halten kann und auf die Bettkante sinkt. Die Entscheidung ist gefallen und Cliff geht schließlich alleine. Der amerikanische Schriftsteller verlässt Berlin. Er hat zwar seine Inspiration gefunden, aber seine Geliebte verloren.

Auf der Bühne tanzen die Tänzerinnen mit den bunten Perücken und den schwarzen Strapsen wie gehabt, der Conférencier tänzelt mit dem eleganten Spazierstock, die Nazis mitten im Publikum und mit dabei natürlich auch Sally Bowles. "Auf Wiedersehen!" schmeichelt der Conférencier und das rotsamtene Cabaret leert sich.

Was haben diese zwei Stunden im Klub geboten? Viele schöne lange Beine (von Männern und Frauen) in wirklich scharfen Tanznummer, beeindruckende Stimmen, etliche Ohrwürmer - und noch was: Geschichte in ziemlich anschaulicher Form, von einer anderen Seite. Nicht die Politik steht im Vordergrund, sondern die Gier nach Leben pur. Aber die Nazi-Wirklichkeit dringt bis in den KitKat-Klub vor. Und das Entstehen dieses Umschwungs geht nahe und reißt mit. Denn: das Theater ist der Klub und das Publikum sind die Gäste.



Cabaret im Großen Haus des Freiburger Theaters: Sonntag, 20.1., Freitag, 25.1., Sonntag, 3.2. (und weitere),

jeweils 19.30 Uhr. Kartenreservierung:

[TEL] 0761/34874.

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