Alpen

Kommt es bald häufiger zu Bergstürzen?

Beim Gletschersturz im Wallis rollten riesigen Massen aus Eis und Geröll ins Tal und begruben das Dorf Blatten. In den Alpen habe sich etwas verändert – sagen Experten. Wächst die Gefahr in den Bergen?  

Mail

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
Ein großer Teil von Blatten wurde unte... Fluss Lonza staut sich am Schuttberg.  | Foto: Cyril Zingaro (dpa)
Ein großer Teil von Blatten wurde unter Eis, Schlamm und Gestein begraben. Der eigentlich kleine Fluss Lonza staut sich am Schuttberg. Foto: Cyril Zingaro (dpa)

Die Bilder gehen um die Welt: Wo bis vor Kurzem noch eine typische Schweizer Berg-Idylle zu bewundern war, liegt nun ein gewaltiges, bis zu 100 Meter hohes Gemisch aus Eis, Fels und Geröll. In den vergangenen Tagen wagten erstmals Spezialisten, den Schuttberg über dem größtenteils zerstörten Dorf Blatten zu betreten. Was ist über das Unglück in der Schweiz inzwischen bekannt? Und steigt auch anderswo in den Alpen das Risiko von Bergstürzen? Ein Überblick

Wie ist es zum Gletscherabsturz gekommen?

"Bergstürze – auch mit diesen Geröllmassen – sind in den Alpen immer möglich. Das Besondere hier ist natürlich die Nähe zum bewohnten Tal und damit verbunden die große Zerstörung", sagt Jan Blöthe, Professor für Geomorphologie an der Uni Freiburg. Im Fall von Blatten war es ein Abbruch in zwei Stufen: Insgesamt stürzten in mehreren Schüben rund drei Millionen Kubikmeter Gestein vom Berg Kleines Nesthorn auf den weiter unten liegenden Birchgletscher. Der Gletscher konnte der schweren Last von oben irgendwann nicht mehr standhalten. Die Folge: Ein Teil des Gletschers rutschte mit dem Großteil des Gesteins nach unten auf das 300-Einwohner-Dorf.

Den Absturz des Gerölls vom Gletscher hätte man wohl nicht verhindern können, betont Forscher Blöthe. "Das Gelände ist so steil, da hat man keine Chance, heruntergestürztes Gestein vorher wegzuräumen. Von daher war die Evakuierung des Dorfes wohl der einzig mögliche Weg. Auch langfristige Hangsicherungen sind in dieser Höhe kaum möglich". Die Schweizer Behörden hatten die Gefahr noch rechtzeitig erkannt und fast alle Einwohner aus Blatten evakuiert, vermisst wurde nach dem Absturz allerdings ein 64 Jahre alter Schäfer. Nicht zu retten waren die Gebäude von Blatten: Hotels, Pensionen, schöne Bergchalets – das alles liegt nun unter der Eis-Geröll-Masse oder wurde vom angestauten Wasser des Talflusses überspült.

Was sind die Ursachen?

Die genauen Hintergründe sind noch nicht geklärt. "Erst einmal ist es normal, dass Gesteine über Tausende von Jahren verwittern, an Festigkeit verlieren und es irgendwann einen Absturz gibt", sagt Geomorphologe Blöthe. Doch wie viele Experten vermutet auch Blöthe, dass auch das Auftauen des Permafrostes in den Alpen in Blatten eine Rolle gespielt haben könnte. Forscher beobachten seit Jahren, dass durch die Klimaveränderungen Teile des einst dauerhaft gefrorenen Untergrunds am Berg auftauen.

Darum geht es: "Selbst wenn auf dem Gipfel sommerliche Temperaturen herrschen, ist es ein, zwei Meter tief im Boden des Berges weiter unter null Grad kalt", sagt Jan Blöthe. Wasser, das dort über die Zeit in die Risse und Spalten des Gesteins eintrete, gefriere im Bereich des Permafrosts wieder. Die Gesteinspakete hielten dadurch besser zusammen. "Man kennt das aus der Tiefkühltruhe zu Hause: Das Eis kittet die gefrorenen Lebensmittel zusammen", sagt Böthe. So sei es auch im Boden der Berge. "Wenn es nun zunehmend wärmer und der Permafrost seltener wird, dann geht dem Fels quasi der Kleber verloren", so der Wissenschaftler, der speziell zu den Auswirkungen des Klimawandels im Hochgebirge forscht. In der Folge steigt das Risiko von Felsstürzen.

Blöthes Kollege Jens Turowski vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam verweist zudem auf das Abschmelzen der Gletscher. "Sie stützen die Talwände ab und stabilisieren das Gestein. Wenn die sich zurückziehen, fällt diese Stütze weg", sagt Turowski. "Ich würde fest davon ausgehen, dass der Klimawandel bei dem Gletscherabbruch irgendeine Rolle gespielt hat, er ist aber sicher nicht der einzige Auslöser."

Am Kleinen Nesthorn sind die Spuren der abgebrochenen Felsen deutlich zu sehen.  | Foto: Cyril Zingaro (dpa)
Am Kleinen Nesthorn sind die Spuren der abgebrochenen Felsen deutlich zu sehen. Foto: Cyril Zingaro (dpa)

Werden solche Ereignisse künftig häufiger vorkommen?

Der wissenschaftliche Nachweis, dass Bergstürze in diesem Ausmaß häufiger vorkommen als früher, sei gar nicht so einfach zu führen, sagt Jan Blöthe: "Wir beobachten aber, dass die Häufigkeit von diesen größeren Ereignissen in den vergangenen 20 Jahren relativ hoch ist", betont er. Für kleinere Felsstürze sei die Datenlage zudem besser. Hier sei die Entwicklung eindeutig: "Sie haben tatsächlich in den Regionen zugenommen, in denen der Permafrost zurückgeht."

Müssen sich die Alpenländer besser auf die drohende Gefahr vom Berg einstellen?

Jan Blöthe warnt vor falschen Schlüssen: "Ich würde generell nicht in Hysterie verfallen und sagen, wir können nicht mehr in die Alpen fahren", betont er. Gerade die Schweizer sind, was mögliche Gefahren angeht, sehr sensibel. Es gebe gute Gefahrenkarten. Zu einem größeren Bergsturz komme es in der Regel nicht von jetzt auf gleich. "Auch in Blatten haben die Behörden ja die Veränderungen am Berg schnell bemerkt und reagiert", sagt er.

Wie geht es in Blatten weiter?

An größere Aufräumarbeiten ist nach Einschätzung der Schweizer Experten noch nicht zu denken. Christian Rieder, der Gemeindepräsident im Lötschental, zu dem Blatten gehört, hält es ohnehin für "unrealistisch", den gesamten Schuttkegel abzutragen: "Schon wegen der Frage, wohin mit dem Material", sagte er dem Schweizer Fernsehen. Den Schuttberg könne man vielleicht begrünen. Dass Blatten aber weiterleben wird, davon ist er überzeugt. Das Dorf könnte an anderer Stelle – "unter Einbezug aller bekannten Naturgefahren" – neu geplant werden.

Schlagworte: Jan Blöthe, Jens Turowski, Christian Rieder
Zeitungsartikel herunterladen Fehler melden

Weitere Artikel