Kubas neue Helden – fast so alt wie die Revolution

Erst kam Obama, dann kamen sie: Die Rolling Stones durften erstmals auf Castros sozialistischer Insel spielen, für Havanna wurde es das größte Konzert aller Zeiten.  

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Die Generation Beyoncé ist begeistert.  | Foto: dpa
Die Generation Beyoncé ist begeistert. Foto: dpa
Natürlich ist dies kein normales Konzert. "Hier sind wir endlich", ruft Mick Jagger auf Spanisch ins Mikrophon und die schier endlose Menge jubelt ihm zu. Die Betonung liegt auf endlich.

Die Rolling Stones in Havanna! Noch vor Jahren war das undenkbar. "Unter Fidel hätte es das nicht gegeben", sagt der Nebenmann im Publikum beim Warten auf den Konzertbeginn. Die Musik der Stones durfte auf Kuba noch bis 1980 nicht gespielt werden, galt wie auch die der Beatles als subversiv. Jugendliche, die die Haare über die Ohren trugen oder sich ungewöhnlich kleideten, wurden von Fidel Castro als antisoziale Elemente beschimpft, landeten sogar in Umerziehungslagern. Aber die bleierne Zeit ist vorbei.

Nicht mehr der strenge Fidel, sondern sein jüngerer Bruder Raúl hat heute auf Kuba das Sagen. Er gilt als offener, entspannter, witziger. Und er verhandelt gerade mit den USA über das Ende des anachronistischen Handelsembargos, das Washington vor mehr als einem halben Jahrhundert über Kuba verhängte und das auch Künstler und Kulturgüter betrifft.

Das Stones-Konzert ist deswegen auch nicht zu denken ohne das andere Weltereignis der Karwoche: Barack Obama besucht Kuba, als erster amtierender US-Präsident seit 1928. Er verspricht das Ende des Embargos und beeindruckt die Kubaner durch seine zugewandte Art und die selbstironischen Sketche, die er mit dem Komiker Pánfilo aufnimmt. Kulturdiplomatie. Einige scherzen an diesem schwülen Abend schon, Obama sei ja nur die Vorgruppe von Jagger & Co. gewesen.

Den ganzen Karfreitag über sind Menschen auf die riesige Freifläche in Havannas Ciudad Deportiva geströmt. Es ist ein weitläufiges Areal mit verschiedenen Sport- und Trainingsstätten. Die Menschen haben sich auf der Wiese vor der Bühne zum Picknick niedergelassen. Alkohol ist verboten, die Polizei beschlagnahmt die eine oder andere Flasche Rum. Auch Essen gibt es außer Mais-Chips und Popcorn nicht zu kaufen. Als Toiletten dienen rostige Metallwände, die man um die Gitter der Wasserabflüsse in den umliegenden Straßen gestellt hat.

Als die Stones ihr Set mit "Honky Tonk Women" eröffnen, steht mindestens eine halbe Million Menschen vor ihnen. Es ist es das wohl bestbesuchte Konzert in der Geschichte Kubas. Die Show ist gratis. Kaum ein Kubaner hätte sich eine reguläre Eintrittskarte leisten können, die anderswo um die 200 Dollar kostet. Familien sind hier, Senioren – und all die Subkulturen, die es heute auf Kuba gibt. Am auffälligsten die Punks mit ihren Irokesenschnitten. Dieses Konzert, es hat nichts mehr zu tun mit dem berüchtigten Auftritt von Billy Joel und Kris Kristofferson, die 1979 im Karl-Marx-Theater ausschließlich vor Parteikadern und Mitgliedern kommunistischer Jugendorganisationen spielten.

Als Mick Jagger singt "It’s only rock ’n’ roll but I like it", möchte man von einigen Jugendlichen wissen, welche Songs sie eigentlich von den Stones kennen. Die prompte Antwort: keinen einzigen. Sie kennen sich besser mit Beyoncé und Jay-Z aus. Beide US-Stars spielten schon auf Kuba. Nicht nur deswegen ist die Behauptung Unsinn, Kuba würde sich mit den Stones kulturell endlich der Welt öffnen. Das Land hat selbst weltberühmte Tänzer, Musiker und Schriftsteller hervorgebracht.

Zwei Phänomene kommen aber zusammen: das sozialistische Kuba und die Rolling Stones. Sie haben eines gemeinsam: erstaunliche Langlebigkeit. Als die Stones sich 1962 in London gründeten, war die kubanische Revolution zwei Jahre alt, und die USA verhängten ein Embargo über die Insel, um sie zur Aufgabe ihres sozialistischen Kurses zu zwingen. So wie das Ende des Sozialismus auf Kuba ist auch Ende der Stones ist immer wieder vorausgesagt worden. Bis heute sind beide recht lebendig, stammen für junge Kubaner aber aus einer vergangenen Epoche, deren Konflikte sie nicht mehr erlebt haben.

Den vier schlanken älteren Herren in den engen Hosen sind solche Überlegungen eher schnuppe. Mick Jagger, Ron Wood, Keith Richards und Charlie Watts amüsieren sich, jammen von einem erwartbaren musikalischen Höhepunkte zum nächsten. Mick Jagger tigert wie immer ausgelassen, Arme und Beine von sich schmeißend, über die Bühne und flirtet heftig mit seiner schwarzen Backgroundsängerin. Das Konzert wird über Großleinwände übertragen, die Ausrüstung kam mit 61 Containern und einem vJumbojet nach Havanna. Welch Kontrast zur kubanischen Mangelwirtschaft, in der immer noch Menschen für Brot und Eier anstehen und ihre Nahrungsmittelkarten abzeichnen lassen müssen.

Die Stones sind keine explizit politische Band. Einmal sagt Jagger auf Spanisch: "Ich glaube, die Dinge ändern sich." Das kann man natürlich verstehen, wie man will. Es ist aber klar, dass die Band keiner Zensur unterliegt. Anders als in China, wo sie 2006 spielten und auf Druck der Behörden auf "Brown Sugar" verzichteten. In Havanna spielen sie das Lied über Heroin ohne Probleme.

Als Zugaben dann "You can’t always get what you want" und ein fünfzehnminütiges "Satisfaction". Auf dem Nachhauseweg sagt der Taxifahrer in seinem Chevrolet, dass er beide Lieder oft heimlich gehört habe. Damals! Und nun: "Obama und die Stones in einer Woche. Es tut sich was." Was genau, sinniert er, das muss sich erst noch zeigen.

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