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Schweizer Klima-Klägerinnen: "Wenn wir gewinnen, gewinnen wir für alle"

Die Schweizer "Klima-Seniorinnen" klagen sich seit Jahren durch alle Instanzen. Nun sind sie beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angekommen. Es geht um mehr Tempo beim Klimaschutz.  

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Die Schweizer Klima-Seniorinnen Ende März vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Foto: Jean-Christophe Bott
"Stadtklima-Initiativen" steht auf einem Banner an der Fassade im Basler Wohngebiet Neubad, das Eckhaus ist in herbstlich rotes Weinlaub gehüllt. Drinnen begrüßt einen Rosmarie Wydler-Wälti, eine zierliche ältere Frau, die zu den Schweizer Klima-Seniorinnen gehört. Sie ist Co-Präsidentin und für Presseanfragen zuständig. Die gibt es in letzter Zeit reichlich.

Die rund 2500 Seniorinnen, allesamt jenseits der 64, haben nämlich ihr Land verklagt – und zwar auf mehr Tempo beim Klimaschutz. Sie wollen auf dem Rechtsweg erzwingen, was die Politik ihrer Überzeugung nach nicht ausreichend tut, und berufen sich auf das Vorsorgeprinzip. Die Schweiz halte das Pariser Abkommen nicht ein, argumentieren die Frauen, und verletze damit nicht nur die eigene Verfassung, sondern auch die EU-Menschenrechtskonvention, die ein Recht auf Leben und Gesundheit festschreibt.

"Wenn wir gewinnen, gewinnen wir für alle."
Für die Klage müssen die "Klima-Seniorinnen Schweiz" eine besondere Betroffenheit ins Feld führen, berichtet Rosmarie Wydler-Wälti. Sie erzählt lebhaft, ganz bei der Sache – und lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie von dem Vorhaben tief überzeugt ist. Es geht konkret darum, dass die zunehmende Hitze mehreren Studien zufolge Frauen, die älter sind als 75 Jahre, besonders gefährdet. Zusätzlich geht es um vier Einzelklagen von Frauen, die anführen, die Hitze habe sie krank gemacht. Eine von ihnen ist inzwischen gestorben.

Die Alten, die sich um den CO2-Ausstoß ein Leben lang keine Gedanken gemacht haben, berufen sich jetzt auf ihre Gebrechlichkeit? Ja, sagt Rosmarie Wydler-Wälti, diesen kritischen Einwand kenne sie. Doch das, was sie und ihre Mitstreiterinnen erreichen wollen, komme ja vor allem den Jungen zugute. "Wenn wir gewinnen, gewinnen wir für alle", sagt sie kämpferisch.

Klage in Straßburg bevorzugt behandelt

Darum also beißen sich die gut 2500 Frauen seit sieben Jahre durch alle Instanzen. Vor den Schweizer Gerichten sind sie durchgefallen, zuletzt im Mai 2020 vor dem Bundesgericht. Darum stehen die Seniorinnen mit ihrer Klage nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Da die Schweiz Mitglied des Europarates ist, unterliegt das Land der Zuständigkeit des Straßburger Gerichtshofs. Dort wurde die Klage bevorzugt behandelt – sogar in der Großen Kammer, in der alle 17 Richterinnen und Richter vertreten sind, erklärt Wydler-Wälti mit Stolz.

Eine Delegation der Klima-Seniorinnen war Ende März zur Anhörung in Straßburg, nun warten sie gespannt auf das Ergebnis. Das sollte ursprünglich noch in diesem Jahr vorliegen, nun aber werde es wohl Anfang 2024, sagt die 73-Jährige. Leute, die sich auskennen, räumen ihnen Chancen ein – und darum ist auch die Baslerin ganz guten Mutes. Sollte das Gericht eine Menschenrechtsverletzung feststellen, hätte das wohl Auswirkungen über die Schweiz hinaus.

Mindestalter 64

Der Anstoß für die recht spektakuläre Aktion ging von der Umweltorganisation Greenpeace Schweiz aus, von dort kommt auch der Großteil der Geldmittel, die über diese lange Zeit hinweg vor allem für Anwältinnen und Anwälte gebraucht werden. Mitgliedsbeiträge gibt es nicht, Spenden sind aber willkommen. Für die Mitgliedschaft bei den Klima-Seniorinnen gelten drei Kriterien: Eine Frau von mindestens 64 Jahren muss man sein, da beginnt für Eidgenossinnen die Rente. Und Schweizer Staatsbürgerin.

Von jenen, die dabei sind, haben sich viele schon in der Vergangenheit für mehr Umwelt- und Klimaschutz eingesetzt. Das gilt auch für Rosmarie Wydler-Wälti. Sie habe sich zwar nie parteipolitisch engagiert, sagt sie, sei aber schon als junge Frau zu Demonstrationen gegangen, habe Unterschriften geleistet, Stände betreut und mit zwei anderen Frauen zusammen erreicht, dass vor vielen Jahren die Realpstraße als erste in Basel verkehrsberuhigt wurde.

Warum keine Männer beitreten dürfen

Die vierfache Mutter und achtfache Großmutter hat auch für die Kirche Vorträge organisiert. Vorträge halten sie und ihre Vorstandskolleginnen auch im Zusammenhang mit der Klage. Die Baslerin ist auch Mitglied der "Großmütter-Revolution Basel", eines Think-Tanks, der sich auf politischer Ebene für die Belange alter Frauen einsetzt. Da geht es um Altersarmut, die Sicherung von Lebensqualität und Würde bis in den Tod. Das passt gut zu den Zielen der Klima-Seniorinnen.

Dass keine Männer beitreten dürfen, sei immer wieder erklärungsbedürftig, räumt die Co-Präsidentin ein. Es liege an der Formulierung der Klage und dem Gebot der Betroffenheit. Männer und Jüngere sind als Unterstützer und Unterstützerinnen mit im Boot – 1500 Köpfe stark ist diese Gruppe.



Intensiv verfolgt auch Roda Verheyen den Fortgang der Klage. Verheyen ist eine prominente Anwältin, die als Prozessbevollmächtigte in Deutschland den Klimabeschluss von 2021 mit durchsetzte. Darin erklärt das deutsche Bundesverfassungsgericht Bestimmungen des Klimaschutz-Gesetzes mit dem Grundgesetz für unvereinbar. Der Klimaschutz erlangte dadurch Verfassungsrang. Sie glaube, für die Schweizer Klima-Seniorinnen stünden die Chancen gut, zu gewinnen, sagte Verheyen. Die deutsche Anwältin mache ihnen Mut, sagt Wydler-Wälti. Das Schweizer Bundesverwaltungsgericht, so habe Verheyen sinngemäß gesagt, habe in der Ablehnung "grottenschlecht argumentiert", erzählt die Basler Seniorin. Das gefällt ihr sichtlich.

Babyboomer in der Verantwortung

Eigentlich sei es ganz gut, dass man nun in Straßburg gelandet sei, findet Rosmarie Wydler-Wälti – das erzeuge große Aufmerksamkeit. Die ist freilich nicht immer zustimmend. Längst nicht alle sind mit dem Weg einverstanden, den die Rentnerinnen eingeschlagen haben. In letzter Zeit gebe es auch ganz schön Gegenwind, in aller Regel anonym. Geht doch Kinder hüten, wird ihnen geraten. Den Satz "Euch hätte man früher auf dem Scheiterhaufen verbrannt" nehme sie allerdings mit gewissem Stolz zur Kenntnis, sagt Wydler-Wälti. Hexen waren schließlich starke Frauen.

Und privat? Die Baslerin hält ihren ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich. Sie isst kein Fleisch, sie fährt nicht Auto. Und sie "würde nie mehr fliegen", früher habe sie es hin und wieder getan. Deswegen würde sie das auch Jüngeren zugestehen, die ja andere Kulturen kennenlernen sollten. Wydler-Wälti könnte sich dafür Flug-Kontingente vorstellen.

Eines ist für die 73-Jährige keine Frage: Sich für die Klage einzusetzen und selbst so zu leben, als gebe es den Klimawandel nicht, das gehe nicht. Als Teil der Babyboomer gehöre sie zu der Generation, die den Klimawandel mitverursacht hat. Die Verantwortung anzunehmen, sagt Wydler-Wälti, sei für sie selbstverständlich.

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