Interview mit Maria Sándor aus Rumänien

"Sie haben mich behandelt wie ein Schwerverbrecher"

Maria Sándor, ungarischer Abstammung, ist in Siebenbürgen (Rumänien) geboren. Anfang Februar 1990 hat Maria beschlossen nach Deutschland zu flüchten. Ein Interview von Alexander Kalai aus der Klasse 9b des Kreisgymnasiums Bad Krozingen.  

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Zischup: Wie bist du hierher gekommen?
Sándor: Ich bin aus Siebenbürgen über Ungarn und Österreich nach Deutschland geflüchtet.
Zischup: Hattest du ein Visum?
Sándor: Ich hatte nur ein Visum für Ungarn, aber für Österreich und Deutschland nicht. In Ungarn habe ich meine Verwandten besucht und habe mich dort
entschieden, weiter zu flüchten, und zwar ganz alleine.
Zischup: Hast du niemanden gehabt, der dich auf deinem Abenteuer begleitet hat?
Sándor: Nein, ich bin alleine geflüchtet. An dem Tag meiner großen Tat, habe ich meinen Verwandten natürlich nicht gesagt, was ich vorhabe. Ich hatte Angst, dass die Verwandten die ungarische Polizeibehörde informieren würden. Ich hatte allerdings einen Brief bei den Verwandten hinterlassen, in dem stand, was ich vorhatte. Sie haben den Brief nach einer Zeit gefunden und haben sofort die Polizei informiert, aber zu dem Zeitpunkt war ich schon weit weg.

Zischup: Wie war die Zeit in Deutschland?
Sándor: In Karlsruhe angekommen habe ich mich bei der Polizei gemeldet, da ich illegal in Deutschland war. Ich wurde gleich vernommen und habe Asyl beantragt. Anschließend kam ich in ein zentrales Lager für Ausländer. Es sind schlimme Erinnerungen an die Zeit im Lager, hohe Mauern mit Stacheldraht, viele Menschen verschiedener Nationen, und die Mitarbeiter waren auch nicht besonders freundlich. Ich wurde dort wie ein Schwerverbrecher behandelt, mit Fingerabdrücken, Foto, Lungenröntgen und vielen anderen Kontrollen. Das Lager durfte man nicht verlassen und die Schlafräume wurden gemischt. Es gab eine Kantine für Hunderte von Menschen und das Tablett hatte Einkerbungen für Suppe und Hauptgericht. Das Essen wurde von den Mitarbeitern auch regelrecht hineingeschmissen. Mann musste auch oft im Stehen essen, da es keine freien Sitzmöglichkeiten gab. Ich hatte das Gefühl, im Gefängnis zu sein. Es war auch Winter, und man musste einen Eisenofen mit Holzkohle anfeuern, um Wärme zu haben. Es gab ein Bad und eine Toilette für viele Menschen. Nach acht Tagen kam ich dann nach Freiburg in ein Lager, das es heute nicht mehr gibt. In Freiburg durfte ich dann mit fünf weiteren Frauen verschiedener Nationen ein Zimmer teilen, wir hatten ein Bad für die gesamte Etage. Wir hatten auch einmal pro Woche eingepacktes Essen bekommen und ich konnte selber etwas kochen.


Zischup: Wie war die Zeit ohne Kontakt zu den Eltern?
Sándor: Ich habe natürlich meine Eltern, Geschwister, Großeltern und Freunde sehr vermisst. Den ersten Kontakt hatte ich nach zwei Monaten, als meine Mama im Lager angerufen hat. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir beide sehr geweint haben – aus Freude, voneinander gehört zu haben.
Zischup: Gibt es einen Grund, warum du geflohen bist?
Sándor: Ja, ich bin geflüchtet, weil ich zu einer Minderheit in dem Land gehörte. Wegen der ungarischen Abstammung wurden wir dort als ausländisch abgestempelt und oft beleidigt oder sogar geschlagen. Ungarische Schulen und Kindergärten wurden geschlossen. Irgendwann war es dann so weit, dass ich beschlossen hatte zu fliehen, und das tat ich dann auch im richtigen Moment.
Zischup: Wie war die Zeit für deine Eltern?
Sándor: Für sie war es auch nicht leicht, da sie zwei Monate lang nichts von mir wussten, und damals hatten sie auch kein Telefon. Selbst ein Brief war damals zwei bis drei Wochen unterwegs. Nachdem die Regierung erfuhr, dass ich geflüchtet bin, wurden meine Eltern öfters auf das Polizeirevier eingeladen, um ausgefragt zu werden, warum ich geflüchtet bin.

Zischup: Gibt es Momente, in denen du gerne zurückwillst?
Sándor: Nein, definitiv nicht. Ich war und bin heute noch so verbittert und enttäuscht von dem Land, das ich keinen Moment bereue, was ich getan habe. Der Neuanfang war sehr schwer ohne Sprachkenntnisse, ohne Bekannte, mit nichts.
Zischup: Hattest du Angst, als du nach Deutschland kamst?
Sándor: Ja, ich hatte große Angst, schon bei der Grenzüberquerung, dann im Lager mit vielen fremden Männern, die mich als Jugendliche oft belästigt haben.
Ich hatte sogar Angst, nachts auf den Flur zu gehen.
Zischup: Wie ging es nach dem Freiburger Lager weiter?
Sándor: Nach Wochen kam ich in ein Mehrfamilienhaus, in dem ich ein Zimmer im Keller hatte. Ich war sehr froh, meine eigenen vier Wände zu haben, um mich zurückzuziehen. Meine ersten Möbel kamen vom Sperrmüll, ebenso wie der Schwarzweiß-Fernseher. Meine ersten Kleidungsstücke kamen vom Roten Kreuz. Über das Sozialamt habe ich eine kleine Unterstützung bekommen. Nach einem Jahr bekam ich dann die Arbeitserlaubnis und durfte endlich arbeiten. Aufgrund meiner Herkunft habe ich die Erlaubnis bekommen, in Deutschland bleiben zu dürfen und kurze Zeit danach habe ich auch die Staatsangehörigkeit erworben. Ich habe versucht mich von Anfang an zu integrieren. Ich habe eine Sprachschule besucht und eine 3-jährige Umschulung absolviert. Ich kann mich immer wieder bedanken, dass der deutsche Staat mich hier aufgenommen hat, dass ich eine neue Zukunft aufbauen und realisieren konnte und in Frieden lebe.

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