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Flucht

Syrischer Geiger über den Neubeginn nach seiner Flucht

  • xmpr

  • Sa, 09. April 2016, 00:00 Uhr
    Ausland

Interview mit dem syrischen Geiger Ali Moraly, der vor vier Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohen ist. Mittlerweile hat er einen Violine-Master der Musikhochschule Karlsruhe.

„Geige zu unterrichten  war effe...s jeder Deutschkurs“: Ali Moraly  | Foto: Presse- und Informationsamt Karlsruhe
„Geige zu unterrichten war effektiver als jeder Deutschkurs“: Ali Moraly Foto: Presse- und Informationsamt Karlsruhe
Den syrischen Musiker Ali Moraly treffe ich heute zum zweiten Mal: diesmal in Mannheim in einem Café mit dem treffenden Namen "Stark". Unser letztes Gespräch fand vor knapp zwei Jahren in Karlsruhe statt, wo Moraly seinen Asylantrag gestellt und sich einen Studienplatz an der Musikhochschule erkämpft hat. Ausführlich schilderte er damals seine Flucht von Damaskus über die Türkei nach Deutschland und erzählte, wie es sich für ihn anfühlte, seine Heimat verlassen zu müssen.

BZ: Herr Moraly, was hat sich in der Zwischenzeit bei Ihnen getan?
Ali Moraly: Zwei große Ziele habe ich erreicht: Vergangen Monat habe ich meinen Violine-Master an der staatlichen Musikhochschule Karlsruhe abgeschlossen. Außerdem habe ich den Schritt in den Arbeitsmarkt geschafft: Ich arbeite jetzt als Geigenlehrer an der städtischen Musikschule Viernheim.

BZ: Erzählen Sie von Ihrem Unterricht.
Moraly: Der Unterricht bedeutet mir sehr viel. Auch in Syrien habe ich immer unterrichtet. Ich habe ein geregeltes Einkommen und bin nicht von Sozialleistungen abhängig, wie etwa zu Beginn als Flüchtling. Außerdem habe ich so die Möglichkeit, die deutsche Gesellschaft von innen kennenzulernen, die Beziehungen zwischen den Menschen, zwischen Eltern und Kindern. Ich kann sehen, wie die Gesellschaft als Ganzes funktioniert, und kann so ein Mitglied dieser Gesellschaft sein, nicht nur ein Beobachter. Zudem habe ich mein Deutsch bis zu einem Grad verbessert, wie ich es in so einer kurzen Zeit nicht erwartet hätte. Der Geigenunterricht war effektiver als jeder Deutschkurs, den ich hätte besuchen können.

BZ: Ist Ihnen beim Eintauchen in die deutsche Gesellschaft etwas Besonderes aufgefallen?
Moraly: Ja. Ich habe erkannt, dass sich die Menschen mehr ähneln als dass sie sich unterscheiden.

BZ: Dennoch sind signifikante Unterschiede zwischen der deutschen und syrischen Gesellschaft nicht von der Hand zu weisen. Worin liegen diese Ihrer Meinung nach?
Moraly: Die deutsche Gesellschaft hält Werte hoch wie Arbeit, Genauigkeit oder Pünktlichkeit. Vielleicht ist das der Grund, weshalb manche den Eindruck haben, die Menschen hier seien eher kalt. Ich kann das aber keineswegs bestätigen. Vor allem in Freiburg und Karlsruhe, zu Beginn meines Aufenthaltes in Deutschland, habe ich Menschen getroffen, die mich ungemein unterstützt haben. Aber die deutsche Gesellschaft ist eine der bestorganisierten der Moderne. Die Bürokratie, die Institutionen, all das funktioniert sehr gut. Und so verlassen sich alle Menschen auf das System. In Ländern hingegen, in denen das System marode ist, brauchen die Menschen einander, um zu überleben. Die Beziehungen in Syrien sind daher stark zur Familie oder zum Stamm hin gerichtet.

BZ: Lassen Sie uns über das aktuelle politische Klima sprechen. Welche Gefühle löst es in Ihnen aus, wenn Sie an die vielen brennenden Flüchtlingsunterkünfte oder den Zuwachs rechter Parteien denken?
Moraly: Grundsätzlich habe ich nichts gegen Leute, die gegen die Flüchtlinge sind. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass sich ein recht großer Teil der Bevölkerung eingeschüchtert fühlen kann, wenn er Hunderttausende von Menschen die Grenzen überqueren sieht. Auch das ist eine menschliche Reaktion. Solange die Ablehnung auf demokratische Weise und ohne Gewalt zum Ausdruck kommt, sehe ich das als einen wunderbaren Vorgang an. Denn gerade die Meinungsvielfalt schätze ich besonders an Europa. Wenn wir aber zurück in die Menschheitsgeschichte gehen, wird klar, dass Migration seit den Anfängen ein menschliches Phänomen ist und es niemand jemals schaffen wird, Menschen davon abzuhalten, Orte, an denen sie nicht mehr leben können, zu verlassen. Momentan erleben wir eine Vertreibung von der gesamten Südhalbkugel, weil sie nicht mehr funktioniert. Wenn Europa diese Menschen an den Grenzen sitzen lässt, ist das unmenschlich und absolut unethisch.
BZ: Fühlen Sie sich trotz allem wohl in Deutschland?
Moraly: Absolut. Ich würde mich an jedem Ort wohlfühlen, an dem ich mich frei fühle, das zu tun, was ich mag, und an dem ich sagen kann, was ich möchte. Das ist in Deutschland gegeben.

BZ: Kommen wir auf Syrien zu sprechen. In Genf wurden vor einigen Wochen die Friedensgespräche wieder aufgenommen. Haben Sie Hoffnung, dass damit Ruhe in Syrien einkehrt?
Moraly: Ich wünschte, zuversichtlich sein zu können. Ich denke, es ist ein echter Wille da, die Waffen ruhen zu lassen, aber in meinen Augen sind die Verhandlungen ein Weg, die europäischen Probleme zu lösen und zu verhindern, dass mehr Flüchtlinge kommen. Sie dienen nicht der Lösung des syrischen Konflikts.

BZ: Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, um Frieden in Syrien herzustellen?
Moraly: Zuerst muss es eine neue Führung im Land geben. Das ist der einzige Weg, um ein Minimum an Gerechtigkeit zu garantieren. Dann braucht es außerdem den aufrichtigen Wunsch seitens der Syrer, die Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Ich mache mir nicht so große Sorgen um die immensen Zerstörungen im Land, sondern meine größte Sorge gilt der Fähigkeit der Syrer, wieder zusammenzuleben. Das erfordert große Anstrengungen und hierfür ist auch die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft nötig.
BZ: Ihre Eltern leben nach wie vor in Damaskus. Haben Sie eine Vorstellung, wann Sie sie wiedersehen?
Moraly: Nein, leider nicht. Das hängt ganz davon ab, ob der Konflikt in Syrien gelöst werden wird. Denn dort hinzugehen, ist höchst gefährlich. Es wäre auch emotional schwer für mich, nach Syrien zu gehen und zu sehen, wie unsere Hoffnungen auf Freiheit und Demokratie zunichte gemacht wurden. Es wäre hart für mich, all die Zerstörung zu sehen.

BZ: Es muss sehr schwierig sein, mit der Ungewissheit umzugehen. Haben Sie eine Strategie dafür?
Moraly: Es ist schwierig, auch nur irgendeine Strategie anzuwenden, sobald du in einen Bürgerkrieg geraten bist. Weil keiner weiß, weder ich, noch meine Eltern vor Ort, in welche Richtung sich die Lage in den nächsten 15 Minuten entwickelt. Ich versuche einfach weiterhin nach vorne zu blicken – zumindest so gut es geht.

BZ: Nachdem Sie Damaskus verlassen haben, so sagten Sie damals, habe sich Ihr Zeitgefühl verändert. Auch der Begriff "Zukunft" habe eine neue Bedeutung bekommen. Hat sich das wieder normalisiert?
Moraly: Nein, ich denke nicht, dass das je wieder normal sein wird. Wenn du dich von deinem Wohlfühlbereich trennst, ist das wie eine enorme Explosion. Sie katapultiert dich aus deiner Umlaufbahn, entzieht dir die Erdanziehung. Du bist auf dich alleine gestellt. Das hat die Art und Weise, wie ich die Welt und das Leben betrachte, komplett verändert. Ich bin ein anderer Mensch geworden.

BZ: Im Jahr 2014 wurden Sie als Asylsuchender anerkannt. Das damit verbundene Bleiberecht beträgt drei Jahre. Wie geht es danach für Sie weiter?
Moraly: Wissen Sie, ich würde gerne so lange in Deutschland bleiben, wie ich etwas zu tun habe. Und mit zu tun meine ich, zum kulturellen und künstlerischen Geschehen beitragen. Ich weiß es also nicht.

BZ: Sie machen sich offenbar nicht sehr viele Gedanken über Ihren Aufenthaltsstatus.
Moraly: Ja, ich mag den Gedanken nicht, von der Entscheidung einer Behörde abhängig zu sein. So lange ich das Recht habe, hier zu sein, und hier etwas zu tun habe, bin ich gerne hier. Ich bin nicht in Deutschland, nur weil ich ein Flüchtling bin. Ansonsten wäre ich in der Türkei geblieben. Ich beschäftige mich mehr damit, meinen künstlerischen und intellektuellen Bedürfnissen nachzukommen. In Deutschland zu bleiben, ist kein Ziel oder Zweck als solcher.

BZ:
Bleiben wir bei Ihrer Kunst. Inwieweit hat die Flucht mit all den Erfahrungen, die diese mit sich brachte, Ihre Musik verändert?
Moraly: Die Fluchterfahrung zwingt dich, dich neu zu positionieren und deine bisherigen Überzeugungen zu hinterfragen – im Hinblick auf die eigene Kunst, aber auch deine Rolle als Mensch. Ich denke, ich habe ein Stadium erreicht, in dem ich mit mir als Künstler stärker in Einklang bin. In der Art und Weise, wie ich auf meiner Geige spiele, in meiner Verortung von Kunst, insbesondere der Musik, in meinem Leben. Ich suche eifriger nach Neuem, möchte viel ausprobieren. Ich habe neue Ausdrucksmöglichkeiten entdeckt, experimentiere mit anderen Medien. Vielleicht orientiere ich mich heute auch viel stärker in Richtung Musikschreiben.

"Mir geht es um die Klänge,

die ich in mir drinnen höre."
BZ: Was für Stücke komponieren Sie?
Moraly: Ich weiß nicht einmal, ob ich mich selbst als Komponisten sehe. Ich würde mich einfach als jemanden bezeichnen, der Musik schreibt.

BZ: Warum bestehen Sie auf schreiben statt komponieren?
Moraly: Für mich hat komponieren eine strukturelle Dimension. Man konstruiert eine bestimmte Struktur. Mir geht es aber darum, auf die Klänge zu hören, die es bereits in meinem Unterbewusstsein gibt oder die von der Bühne heranrollen, auf der wir leben. Das ist es, was mich an der Musik fasziniert. Die Musik, die ich versuche niederzuschreiben, ist der Art und Weise, wie ich Stücke interpretiere sehr ähnlich: Wenn ich als Instrumentalist performe, versuche ich im Grunde die Töne zu artikulieren, die ich in mir drinnen höre. Beim Musikschreiben ist es genau das Gleiche.

BZ: Und was hören wir, wenn Sie die Töne artikulieren, die in Ihnen sind?
Moraly: Zu dem Klang kann alles beitragen, was ich irgendwann einmal gehört habe. Sei es etwas aus dem klassischen Repertoire oder aus der Kultur, in der ich groß geworden bin. Meine Herkunft hat mich natürlich beeinflusst. Ich habe klassische Musik gespielt, westliche klassische Musik gehört, aber passiv eben auch orientalische Musik. Man wird all das in meinen Stücken wiederfinden. Prinzipiell versuche ich aber, meinen orientalischen Einfluss nicht um jeden Preis zu artikulieren. Ich möchte nicht für eine Kultur oder Tradition werben. Ich versuche sowohl beim Spielen als auch beim Schreiben immer so ehrlich und direkt wie möglich zu sein.

Ressort: Ausland

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