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Mode

Verändertes Konsumverhalten - Bekleidungsfirmen handeln

  • Petra Kistler

  • Di, 22. April 2014
    Wirtschaft

Immer mehr Modehersteller werden auch zu Modehändlern: Produziert wird, was sich am schnellsten und am besten verkauft.

Die Mode von morgen? Jungdesigner von ...ulen  zeigen in Apolda ihre Entwürfe.   | Foto: DPA/PRIVAT
Die Mode von morgen? Jungdesigner von europäischen Hochschulen zeigen in Apolda ihre Entwürfe. Foto: DPA/PRIVAT
Schwarze Stilettos, rote High Heels, rosarote Ballerinas, dunkelblaue Sneaker, schicke Sandaletten, bequeme Sandalen... 16 Paar Schuhe haben die deutschen Frauen im Schnitt im Schrank stehen, die Männer kommen immerhin auf zehn Paar. Braucht es da noch den Schuh mit Blockabsatz und Knöchelriemchen in Metalloptik oder die Sommerboots, die die Schuhindustrie in dieser Saison als das Must-have anbietet?

Obwohl die Wirtschaft floriert und die Zinsen niedrig sind, sind die Deutschen nicht bereit, mehr Geld für Mode auszugeben. Und dies seit einem Jahrzehnt. Bekleidung und Schuhe sind den Deutschen nicht einmal fünf Prozent ihres Konsumetats wert – die Frauen machen im Durchschnitt 850 Euro im Jahr locker, die Männer 420 Euro. Dieser Betrag scheint wie eingefroren zu sein.

Haben die Deutschen die Lust an modischer Kleidung verloren? Keineswegs, aber sie sind nicht bereit, dafür jeden Preis zu zahlen. Nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung wurde im vergangenen Jahr nur jedes zweite Kleidungsstück zum regulären Preis verkauft. Besserung ist nicht in Sicht: Auch in den ersten drei Monaten dieses Jahres ließen sich die Kunden oft nur durch hohe Rabatte zum Kauf verführen, schreiben die Konsumforscher in ihrem jüngsten Branchenreport.

Der Grund: Es gibt von allem viel zu viel. Zudem wird die neueste Ware immer früher geliefert – Wintermäntel im August, Sommerkleider, wenn die Heizung auf Hochtouren bollert. Ist es endlich Frühling, hat man sich schon sattgesehen. All dies führt zu einem Vermarktungsdruck, der im Sale-Syndrom endet – irgendetwas gibt es immer zum reduzierten Preis.

Wachsen können Hersteller und Händler nur noch, indem sie ihren Mitbewerbern Marktanteile wegnehmen. Die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Herstellern und Händlern funktioniert nicht mehr, der Bekleidungsfachhandel kämpft heute an zwei Fronten: gegen die Online-Konkurrenz und die vertikal aufgestellten Anbieter, die die ganze Wertschöpfungskette vom Design bis zum Verkauf in den eigenen Läden kontrollieren.

Der Markt giert ständig nach neuem Stoff, das Tempo ist gigantisch. Zara, bekannt als großer Kopierer und "demokratischer Übersetzer" von Luxuslabels, benötigt oft nur zwei bis drei Wochen von der Idee bis zur Ankunft neuer Modelle im Laden. Produziert wird vorwiegend in Spanien, Portugal und in der Türkei, Frachtschiffe sind für dieses Geschäft viel zu langsam.

Nicht nur die Fast-Fashion-Hersteller setzen auf eigene Läden. Gerry Weber, das gediegene Damenmodeunternehmen aus Westfalen, eröffnete im vergangenen Jahr 68 eigene Geschäfte. Der schwäbische Modekonzern Hugo Boss verdient sein Geld schon jetzt vor allem in eigenen Bekleidungsgeschäften. "Der Konzern rechnet damit, dass sich der Umsatzanteil des eigenen Einzelhandels aufgrund von Neueröffnungen, Produktivitätssteigerungen und Übernahmen auf mindestens 60 Prozent im Jahr 2015 erhöhen wird", heißt es im Geschäftsbericht 2013. "Langfristig wird der Anteil voraussichtlich noch deutlich darüber liegen."

Kein Wunder, dass der klassische Bekleidungsfachhandel im vergangenen Jahr erneut Federn lassen musste. Sein Anteil am gesamten Textilmarkt wird in diesem Jahr wohl unter 30 Prozent liegen. Und der Strukturwandel fängt erst an. "Der Onlineanteil wird sich bis 2020 um 109 Prozent mehr als verdoppeln und dann 30 Prozent des Gesamtumsatzes der Modeindustrie ausmachen", heißt es in der Studie "Die Modebranche im Umbruch" der Unternehmensberatung Booz & Company. Die Verkaufsfläche werde in Deutschland in den kommenden acht Jahren um 16 Prozent von 28,5 Millionen Quadratmetern (2012) auf 24 Millionen Quadratmeter abnehmen. Die Hauptleidtragenden werden kleine und mittelgroße Geschäfte sein.

Brandaktuelle Trends für ganz wenig Geld, dass dieses Konzept aufgeht, zeigt auch der Siegeszug des irischen Textil-Discounters Primark, der zur britischen Gruppe Associates British Food gehört. Der Billigheimer schafft es anders als Lidl, Tchibo oder Aldi, die zu den Top Ten der deutschen Textileinzelhändler gehören, als stylisch und billig zu gelten. In diesem Jahr sollen Geschäfte in Köln, Stuttgart und Berlin eröffnet werden.

An einem ganz normalen Samstag herrscht in der Karlsruher Filiale ein Gedränge, als ob Justin Bieber und die royale Kate Hand in Hand 500-Euro-Scheine verschenken würden. Hunderte Jugendliche reisen Wochenende für Wochenende an, um sich mit Wegwerfmode einzudecken. Die riesigen Einkaufstaschen sind prall gefüllt, wer zahlen will, muss sich in einer langen Schlange einreihen. Ein Shirt kostet zwei Euro, das Sommerkleid 22 Euro, Schuhe sind für neun Euro zu haben. Die Wühltisch-Atmosphäre verschreckt die jungen Käufer nicht. Im Gegenteil: Sie stachelt den Kaufrausch eher noch an – kostet ja alles nicht viel. Masse statt Klasse eben.

Ein komplettes Outfit dürfe bei Primark nicht mehr als 50 Euro kosten, lautet die Firmendevise – und zwar für alles, was man sieht, und alles, was man nicht sieht. "Ethischer Handel ist ein zentraler Bestandteil unserer Strategie", heißt es beruhigend auf der Homepage, die die Dumpingpreise so erklärt: "Wir kaufen und verkaufen große Mengen und erzielen dank dieser Einkaufsmacht Kostenersparnisse, die wir an unsere Kunden weitergeben können."

Auf die Hoffnung, dass die Kunden aus dem H&M- und Primark-Alter herauswachsen und sich dann gern etwas edler und nachhaltiger kleiden und dafür auch tiefer in die Tasche greifen, sollte sich die Konkurrenz der Fachhändler aber lieber nicht verlassen. Die Schweden investieren bereits langfristig: Mit "Cos" und "& Other Stories" haben sie zwei weitere Marken im Portfolio, die nach eigenen Angaben "langlebige Schätze für die Garderobe" anbieten und besonderen Wert auf "Details und Qualität" legen sollen. Und die nächste Konkurrenz ist bereits auf dem Markt: In Berlin hat der japanische Textilriese Uniqlo eine riesige Dependance eröffnet.

Ressort: Wirtschaft

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 22. April 2014: PDF-Version herunterladen

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