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Ausbildungsmarkt

Von wegen Chancengleichheit – der mühsame Weg von Özge Özkan zur Lehrstelle

Bernd Kramer
  • Do, 31. Januar 2013, 08:05 Uhr
    Wirtschaft

Wer als Jugendlicher aus einer Einwandererfamilie stammt, hat schlechtere Karten auf dem Ausbildungsmarkt in der Bundesrepublik. Das belegen Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (Bibb).

Weltoffener Optiker in Freiburg (von l...nn und Özge Özkan von der Brillengaler  | Foto: Bernd Kramer
Weltoffener Optiker in Freiburg (von links): Khadidja Ouryamchi, Optikermeister Hubertus Hellermann und Özge Özkan von der Brillengaler Foto: Bernd Kramer

Die Freiburgerin Özge Özkan hat es dennoch geschafft: Heute hat sie eine Lehrstelle als Augenoptikerin. Der Weg zum Ausbildungsplatz war für die 21-jährige Deutsche mit kurdischen Wurzeln allerdings nicht einfach.

Eigentlich hatte die Realschulabsolventin einen anderen Berufstraum. Sie wollte Büro- oder Bankkauffrau werden. Auf die großen Hoffnungen folgten jedoch bald etliche Enttäuschungen. "Ich habe wohl rund 300 Bewerbungen verschickt. Stets kam eine Absage." In einem Fall erfuhr sie auf Nachfrage auch, warum. "Der Mann von einem Autohaus sagte mir, er habe schon zwei junge Leute aus Einwandererfamilien eingestellt. Beide hätten nach kurzer Zeit geheiratet und die Ausbildung abgebrochen. Dieses Risiko wollte er nicht noch einmal eingehen."

"Entscheidend ist, ob jemand etwas erreichen will"Hubertus Hellermann
Mit kräftiger Unterstützung der Fördergesellschaft der Handwerkskammer Freiburg hat Özge Özkan, die im Alter von neun Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam, nun eine Lehrstelle gefunden. In der Freiburger Brillengalerie im ZO wird sie vom 52-jährigen Augenoptikermeister Hubertus Hellermann zur Augenoptikerin ausgebildet – zusammen mit ihrer Freundin Khadidja Ouryamchi (20), die aus Freiburg stammt und deren Vater Marokkaner ist.

Hellermann sagt: "Woher jemand kommt, welche Hautfarbe dieser Mensch hat, welcher Religion er angehört, all dies ist für mich kein Einstellungskriterium. Ich habe junge Leute mit afrikanischem Hintergrund ausgebildet, ebenso junge Männer und Frauen, die aus Osteuropa kamen. Entscheidend ist, ob jemand etwas erreichen will. Das spürt man ziemlich schnell."

Bei Özge Özkan war der Handwerksmeister rasch überzeugt. Die junge Frau hatte ein Praktikum in der Brillengalerie gemacht. "Es hat auf Anhieb gut funktioniert. Sie hat eine freundliche Art, die die Kunden sehr schätzen", sagt er. Jetzt lernt Özge Özkan löten, sägen und wie man Brillengläser präzise schleift. Am meisten Spaß bereitet ihr, dass sie den Kunden Tipps für die passende Sehhilfe geben kann. Wenn andere am Sonntag lange ausschlafen, arbeitet die junge Frau. Sie hilft neben ihrer Lehre in einer Großküche, um sich noch ein paar Euro zum Azubi-Gehalt dazuzuverdienen. Ihre Entscheidung gegen den Traumberuf und für die Optikerlehre hat sie nicht bereut: "Der Job passt zu mir."

Nicht jeder deutsche Chef ist jedoch so offen wie der Freiburger Augenoptikermeister Hellermann. Wie Untersuchungen des Bibb zeigen, fällt es jungen Menschen aus Einwandererfamilien – mit deutschem Pass und ohne – deutlich schwerer, eine Lehrstelle zu bekommen als ihren Altersgenossen. Ein Beispiel: Das Bibb befragte Schulabgänger, ob sie nach einer Bewerbung zu Vorstellungsgesprächen eingeladen wurden. Drei Fünftel (61 Prozent) der Befragten ohne Migrationsgeschichte bekamen einen Vorstellungstermin in der Personalabteilung der Firmen. Bei den Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln war es jedoch nur jeder Zweite (50 Prozent). Noch niedriger lag der Anteil nach Angaben des Bibb bei Bewerbern mit türkischer oder arabischer Herkunft. Hier betrug der Anteil lediglich 46 Prozent.

Ein Teil dieser Unterschiede lässt sich zwar mit den durchschnittlich niedrigeren Schulabschlüssen von Jugendlichen aus Einwandererfamilien erklären. Das Bibb schreibt aber in seiner Untersuchung: "Bewerber aus Familien mit einer Zuwanderungsgeschichte hatten somit insgesamt gesehen selbst bei ansonsten gleichen Bedingungen (also vergleichbarer Schulabschluss) schlechtere Aussichten auf einen Ausbildungsplatz als die Jugendlichen ohne einen Migrationshintergrund." Lehrer bestätigen dies. Arbeitgeber begegneten vor allem Jungen mit arabischem oder türkischem Hintergrund mit einem höheren Maß an Skepsis als ihren Schulkameraden.

Selbst Industrievertreter räumen ein, dass Schulabgänger mit ausländischem Hintergrund wegen ihrer Herkunft bei der Lehrstellensuche abgelehnt würden. "Ich kann das nicht ausschließen", sagt Hartmut Möller, bei der Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein (IHK) für die Ausbildung verantwortlich. Untersuchungen der IHK und der Pädagogischen Hochschule Freiburg hätten ergeben, dass in ländlichen Gegenden die Widerstände ausgeprägter seien als in der Stadt. "Je größer die Stadt, je größer das Unternehmen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass solche Faktoren bei der Einstellung eine Rolle spielen."

Möller warnt aber ausdrücklich vor einer fremdenfeindlichen Haltung: "Es gibt das Vorurteil, dass Jugendliche mit ausländischem Hintergrund mehr Probleme in der Lehre bereiten würden als ihre Altersgenossen. Das stimmt jedoch überhaupt nicht. Vielmehr ist es so, dass viele über die praxisbezogene Lehre enorm motiviert werden." Der IHK-Ausbildungschef verweist hier gerne auf die wachsende Zahl von Führungskräften mit Einwanderungshintergrund in der südbadischen Wirtschaft.

Nach den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit haben ausländische Lehrstellenbewerber (ohne deutschen Pass – andere Zahlen stehen der Arbeitsagentur nicht zur Verfügung) in Südbaden im Durchschnitt einen niedrigeren Schulabschluss als ihre deutschen Altersgenossen. Sie benötigen für einen Ausbildungsplatz auch mehr Anläufe. Das Fazit der Arbeitsagentur: "Die Chancen, erfolgreich in eine duale Ausbildung einzumünden, sind für ausländische Jugendliche in Südbaden etwas ungünstiger als für deutsche Jugendliche."

Firmen schätzen Mehrsprachigkeit

Nach Ansicht der Berufsberater sind dafür eine ganze Reihe von Gründen verantwortlich: Neben Sprachbarrieren nennen sie Berührungsängste von Arbeitgebern und Bewerbern wegen der kulturellen Unterschiede. Zudem hätten einzelne ausländische Schulabgängerinnen aufgrund ihres Rollenverständnisses nur ein sehr eingeschränktes Berufespektrum. Anders gesagt: Außer einem Arbeitsplatz in Dienstleistungsberufen wie Verkäuferin und Friseurin kommt für diese Gruppe oft nichts infrage. Auch habe Bildung in manchen ausländischen Familien einen anderen Stellenwert als in deutschen.

Dies sei jedoch nur ein Aspekt. Seien ausländische Jugendliche vollständig integriert und verfügten über einen hohen Bildungsabschluss, hätten sie mitunter sogar Vorteile, sagen die Berufsberater. Weil die Unternehmen in der Region stark exportorientiert seien, würde Mehrsprachigkeit zunehmend geschätzt. Deutsch und eine Sprache wie Türkisch, die kaum an den Schulen gelehrt wird, sind für viele Einwandererkinder eine Selbstverständlichkeit.

"Meine Familie hat mich und meine vier Geschwister stets dabei unterstützt, etwas zu lernen", sagt Özge Özkan. "Dies gilt auch für meine Verwandten, die in der Türkei leben." Ob sie nach dem Abschluss der Lehre weitermacht, Optikermeisterin wird? "Ich kann mir durchaus vorstellen, auf die Meisterschule zu gehen", sagt die junge Frau.

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Ressort: Wirtschaft

Dossier: Jobmotor

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