"Vor dem Krieg war ich vollkommen sorglos"

ZISCHUP-INTERVIEW mit dem syrisch-kurdischen Flüchtling Yussief Khalil über sein Leben in Deutschland und darüber, was er zurückgelassen hat.  

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Eine Familie läuft über Trümmer in ihrer vom syrischen Bürgerkrieg gebeutelten Heimatstadt Aleppo. Foto: dpa

Flüchtlingspolitik ist nicht mehr brandaktuell, das Interesse der Bevölkerung beschränkt sich oft nur noch auf populistische Schlagzeilen. Dass es dabei um Menschen wie du und ich geht, wird manches Mal vergessen. Um aber Empathie und Interesse für die Flüchtlinge zu entwickeln, sollte man einfach mit ihnen ins Gespräch kommen. Deshalb habe ich, Zischup-Reporterin Teresa Ponec aus der Klasse 8a des Marie-Curie-Gymnasiums in Kirchzarten, Yussief Khalil (25), einen syrisch-kurdischen Flüchtling interviewt.

Zischup: Wie lange sind Sie schon in Deutschland?
Khalil: Ich bin schon zwei Jahre und drei Monate in diesem Land.

Zischup: Woher kommen Sie?
Khalil: Aus einem kleinen Dorf in Syrien, rund 80 Kilometer von Aleppo entfernt.

Zischup: Wie haben Sie dort gelebt?
Khalil: Als Kind habe ich mit meinen fünf Schwestern und meinen Eltern – zwei Brüder waren schon ausgezogen – in einem Haus mit zwei Zimmern gelebt. Ich bin der Jüngste. Meine Eltern leben von der Landwirtschaft. Wir besitzen viele Olivenbäume, Granatapfelbäume und Felder mit jeder Menge Gemüse. Die Kinder auf dem Land sind frei und können den ganzen Tag ohne Aufsicht ihrer Eltern draußen herumtollen. Das war super, nicht wie in Deutschland, wo ich selten Kinder auf der Straße spielen sehe. Nachdem ich mein Abitur gemacht hatte, studierte ich in Aleppo einige Semester Elektrotechnik, bis ich fliehen musste.

Zischup: Warum sind Sie ausgerechnet nach Deutschland geflohen?
Khalil: Ich habe Verwandte in Koblenz, die mir vom Leben in Deutschland berichteten und mein Interesse für das Land weckten.

Zischup: Auf welchem Weg sind Sie nach Deutschland gekommen?
Khalil: Nachdem ich im Libanon genug Geld für die Flucht erarbeitet hatte, floh ich in die Türkei, setzte mit einem Schlepperboot über den Atlantik nach Italien über und ging zu Fuß weiter Richtung Deutschland. Meine erste Anlaufstelle war Trier.
Zischup: Welche Meinung haben Sie inzwischen vom Leben in Deutschland?
Khalil: Ich dachte, das Leben hier sei ganz einfach. Man bekäme eine Wohnung und müsste kaum arbeiten. Ich merkte bald, dass ich mich getäuscht hatte. Um seine Wünsche erfüllen zu können, muss man viel und gut arbeiten. Überall gibt es bürokratische Hürden, und als ich in einem Job gut verdient hatte, wurde mir Steuer abgezogen. Ich wusste gar nicht, was das ist. Dann noch die vielen Regeln, die es zu beachten gibt. Ich habe meine Zweifel, ob ich die je alle lernen werde. Geschweige denn die Mülltrennung! Das Leben hier ist genauso hart wie in Syrien, nur ohne Krieg.

Zischup: Wie ist es für Sie ohne Ihre Familie hier?
Khalil: Klar wäre es toll, meine Familie hier zu haben, aber die Flucht ist anstrengend und sehr gefährlich. Ich hoffe, dass meine Eltern nie in diese Situation kommen. Meine Geschwister sind schon alle verheiratet und möchten ihre Familien auf keinen Fall im Stich lassen.

Zischup: Wenn in Ihrem Land wieder Frieden wäre, würden Sie zurückkehren?
Khalil: Meine Sehnsucht nach meiner Familie und meinem Land ist groß, aber der Krieg hat fast alles zerstört, und da ich Kurde bin, werde ich von meinen syrischen Landsleuten nicht akzeptiert. In Deutschland kann ich freier leben, und die Aussicht auf eine bessere Zukunft ist hier und nicht in Syrien gegeben.

Zischup: Wie ist Ihr Leben jetzt im Vergleich zu Ihrem Leben in Syrien?
Khalil: Zu Hause war ich, bis der Krieg kam, sorglos. Ich hatte die Unterstützung meiner Eltern und Geschwister. Ich konnte jederzeit meine Familie zu Rate ziehen. Meine Schwestern kümmerten sich um den ganzen Haushaltskram. Bei uns ist die Rollenverteilung noch so, wie es in Deutschland vor 50 Jahren üblich war. Jetzt muss ich selber einkaufen, kochen, waschen und so, was mich manchmal etwas überfordert. Den Rat meiner Familie kann ich nicht mehr einfordern, da ihnen die Gesellschaft hier vollkommen fremd ist. So muss ich meine eigene Meinung bilden und schwierige Entscheidungen selbst fällen. Da fühle ich mich oft einsam.

Zischup: Fällt es Ihnen schwer, die deutsche Sprache zu erlernen?
Khalil: Puh, die Grammatik ist zu erlernen, aber es gibt so viele ähnliche Wörter mit dem gleichen Sinn und doch wieder anders zum Beispiel übereilt, hektisch, hastig und so weiter. Viele Wörter gibt es im arabischen Sprachgebrauch überhaupt nicht. Dann haben viele Deutsche auch noch einen Dialekt oder Akzent. Den badischen und bayerischen finde ich cool.

Zischup: Wie gut finden Sie sich in Deutschland integriert?
Khalil: Durch meine Vermieter kam und komme ich der deutschen Sprache und Kultur immer näher. Wenn ich Fragen habe, bin ich bei ihnen immer willkommen. Außerdem habe ich hier Freunde gefunden. Meine Freunde, die in Aachen leben, sind mit mir weiterhin in Kontakt und besuchen mich hin und wieder. Ich bin mittlerweile gut in Freiburg angekommen.
Zischup: Haben Sie als Flüchtling schon negative Erfahrungen gemacht?
Khalil: Schon; wenn ich abends mit kurdischen oder syrischen Freunden in Clubs zum Tanzen gehen will, werde ich nicht eingelassen. Mit meinen deutschen Freunden ist das kein Problem. Manchmal werde ich auch negativ angesprochen, aber nicht nur von Deutschen, sondern auch von hier lebenden Arabern.

Zischup: Sollte die Integration von Flüchtlingen besser gefördert werden?
Khalil: Nein, ich finde, Deutschland macht schon genug. Ich empfehle meinen syrischen Kameraden immer, neugierig, offen und tolerant der neuen Kultur gegenüber zu sein. Eigentlich ist es doch spannend, Neues kennenzulernen. Aber als junger Mensch hat man es sicherlich einfacher als es ältere Menschen haben. Das Problem ist, dass Flüchtlingsheime nicht zur Integration taugen, aber Wohnungen sind rar, und die Vermieter bevorzugen Europäer. Sie haben nämlich auch Angst vor dem Unbekannten, genau wie die Flüchtlinge!

Zischup: Was sind Ihre Zukunftspläne?
Khalil: Am 5. April hoffentlich meine C1+-Deutschprüfung zu bestehen. Wenn ich die habe, kann ich im Herbst mit meinem Studium beginnen, dann den Bachelor und den Master machen.

Zischup: Und Ihre Träume und Wünsche?
Khalil: Ich möchte Ski fahren lernen, ein Haus im Schwarzwald bauen, eine Frau, egal welcher Nationalität, fürs Leben finden und zwei bis drei Kinder bekommen.

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