"Vorurteile bleiben nicht aus"

ZISCHUP-INTERVIEW mit einer Muslima darüber, warum sie ein Kopftuch trägt und wie ihre Umwelt darauf reagiert.  

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Blick vom Balkon: Merve B.   | Foto: Nika Shahbaz
Blick vom Balkon: Merve B. Foto: Nika Shahbaz

Für die eine ist das Kopftuch ein Zeichen der Unterdrückung, für die anderen ein Ausdruck für Selbstbestimmung. Eine Frau, die Kopftuch trägt, hat ihren Mut zusammengenommen und Zischup-Autorin Nika Shahbaz, Schülerin der Klasse R8a der Klosterrealschule Offenburg, ihre Geschichte erzählt. Weil die Interviewte unerkannt blieben will, taucht sie im Interview als Merve B. auf.

Zischup: Um Sie besser kennenzulernen, erzählen Sie doch von Ihrer Person.
M. B.:
Ich bin Merve, 27 Jahre alt, in Offenburg geboren und aufgewachsen. Meine Eltern sind damals als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Ich habe die Schule in Deutschland besucht und mein Abitur erfolgreich abgeschlossen. Danach habe ich mich für ein Studium entschieden und habe dieses mit einer sehr guten Note beendet.

Zischup: Welche Rolle spielt Religion in Ihrer Familie?
M. B.: Religion hat bei meinen Eltern natürlich immer eine Rolle gespielt. Wir sind Muslime, aber nicht sehr religiöse. Meine Familie war sehr locker. Meine Mutter und meine Schwestern tragen kein Kopftuch. Auch ich habe lange keines getragen , jedoch nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt, an dem ich merkte, mir fehlt etwas Besonderes im Leben, was mir in schweren Zeiten Kraft gibt und woran ich mich festhalten kann. Somit war ich auf der Suche nach dem Unbekannten. Man kann das vielleicht Schicksal oder auch Zufall nennen, jedoch traf ich einen Menschen, der mein Leben veränderte und mich meiner Religion näher brachte.

Zischup: Darf ich Sie nach diesem Menschen fragen?
M. B.: Natürlich. Das war der Wendepunkt in meinem Leben. Eine meiner Freundinnen nahm zu einem Treffen ihren Cousin mit – und das war unser erstes Zusammentreffen. Um die Geschichte abzukürzen, wir verstanden uns auf Anhieb. Seine Eltern waren im Gegensatz zu meinen Eltern sehr streng gläubig und folgten dem Islam. Zu dem Zeitpunkt war ich 23 und er 24 Jahre alt. Wir haben uns immer mehr mit dem Islam auseinandergesetzt. Wir erinnerten uns gegenseitig an die Pflichten und absolvierten diese voller Freude und Motivation. Seine Eltern waren sehr stolz auf ihn, weil er sich dem Islam widmete.

Zischup: Sie sprechen hierbei nur über seine Eltern, wie haben denn eigentlich Ihre Eltern darauf reagiert, dass Sie sich dem Islam widmen?
M. B.: Meine Eltern hatten Angst, dass ich diesen Weg nur gehe, um meinem Verlobten und seiner Familie zu gefallen, und dass ich mich gegen meine Eltern und meiner Erziehung wende. Zum Kopftuch kam ich nämlich auch durch die Unterstützung meiner Schwiegermutter. Ich erinnere mich daran, als ob es gestern gewesen wäre, als ich das erste Mal mit dem Kopftuch zu meiner Familie gehen musste. Ich hatte solch eine Angst. Das können Sie sich nicht vorstellen. Im ersten Moment war der Schock in ihren Augen zu sehen. Als der erste Schock weg war, erklärte ich ihnen alles ganz genau und sagte ihnen, dass ich immer noch dieselbe Person sei, nur mit einem stärkeren Glauben und Willen. Innerlich und Äußerlich. Sie brauchten etwas Zeit, um diese Tatsache zu akzeptieren. Mittlerweile unterstützen sie mich bedingungslos.

Zischup: Gibt es andere Bereiche, in denen Sie nicht akzeptiert werden, so wie Sie sind?
M. B.: Diese Frage kann ich Ihnen pauschal nicht so beantworten. Natürlich gibt es Menschen, die mich für meinen starken Glauben bewundern. Ebenso gibt es natürlich auch Menschen, die mein Kopftuch als Zeichen der Unterdrückung und des Zwangs sehen. Ich kann Ihnen aber versichern, dem ist nicht so und ich habe mich bewusst und freiwillig für mein Kopftuch entschieden.

Zischup: Hat Ihr Kopftuch eine Auswirkung auf Ihr Berufsleben?
M. B: Natürlich fällt mein Kopftuch direkt auf. In einem Land wie Deutschland, vor allem in einer Stadt wie Frankfurt am Main, in der Diversität und verschiedene Kulturen die Geschichte der Stadt schreiben, dürfte man nicht davon ausgehen, dass mein Kopftuch eine negative Auswirkung haben dürfte. Ich meine im Jahre 2021 ist doch ein Kopftuch nichts Außergewöhnliches?!

Zischup: Und trotzdem haben Sie schlechte Erfahrungen gemacht?
M. B.: Ich kann mit Ihnen eine persönliche Erfahrung teilen: Vor nicht allzu langer Zeit habe ich mich als Sozialarbeiterin an einer Schule beworben und wurde zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Der Direktor war sehr begeistert von mir, meinem Abschlusszeugnis und dem Probearbeitstag. Schon kurz darauf erhielt ich einen Anruf und der Direktor fing an, nur Positives zu erzählen. Am Ende des Gesprächs kam jedoch das große Aber. Frau B., hat er gesagt, wir würden Sie gerne einstellen, aber könnten Sie in der Schule Ihr Kopftuch ablegen?

Zischup: Wie haben Sie darauf reagiert?
M. B.: Ich dachte, ich höre nicht richtig. Ebenso erhielt ich trotz meines Einser-Abschlusses viele Absagen von öffentlichen Ämtern. Ob diese mit dem Kopftuch zusammenhängen? Das weiß ich nicht!

Zischup: Käme es für Sie in Frage, Ihr Kopftuch für ihre berufliche Laufbahn abzunehmen?
M. B: Auf gar keinen Fall! Das Kopftuch ist nicht nur ein Kleidungsstück für mich! Mein Kopftuch ist ein Teil von mir. Ich habe mich bewusst für meine Religion und mein Kopftuch entschieden. Im heiligen Buch, dem Koran, gibt es Textstellen, in denen gesagt wird, Frauen sollen sich bedecken. Komplette Verhüllung, ein Kopftuch, keine figurbetonten Kleidungsstücke. Was damit gemeint ist, weiß keiner. Ich finde, es gibt keinen Zwang in der Religion. Natürlich gibt es gewisse Regeln, an die man sich halten muss, aber vieles ist auch Interpretationssache. Am Ende des Tages ist es meiner Meinung nach wichtig, dass man die Religion so ausübt, wie es für einen persönlich richtig erscheint. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, ich würde mich für keinen Job dieser Welt verstellen. Mein Kopftuch abzulegen würde für mich bedeuten, dass ich einen Teil meiner Identität ablegen müsste. Das kommt für mich nicht in Frage.

Zischup: In der Schweiz gilt künftig ein Verbot der islamischen Vollverschleierung. Was ist Ihre Meinung dazu?
M. B: Ich konnte meinen Ohren nicht trauen, als ich das gehört habe. Solch ein Verbot? Im 21.Jahrhundert? Alle Menschen reden über Meinungsfreiheit, über starke Frauen, die sich selbstverwirklichen sollen, über Religionsfreiheit. Wenn es jedoch um die Umsetzung geht, verhalten sich die meisten ziemlich fragwürdig. Wahrscheinlich klingt das alles nur in der Theorie schön und diese Menschen sehen unser Kopftuch und unseren Glauben als eine Art Bedrohung. Die Schweiz greift da natürlich extrem in die Grundrechte der Menschen ein, die wir in Deutschland kennen. Droht uns in Deutschland auch solch eine Einschränkung?

Zischup: Was denken Sie?
M. B. In Deutschland ist das Kopftuchverbot am Arbeitsplatz bereits zulässig. Ich weiß nicht, ob es Ihnen bekannt ist, jedoch dürfen Arbeitgeber größere religiöse Symbole am Arbeitsplatz, wie das islamische Kopftuch, verbieten. Wie weit werden diese Verbote noch gehen? Kann man tatsächlich nicht die Neutralität bewahren, wenn man ein Kopftuch trägt? Ich meine, ich würde niemandem meinen Glauben oder meine Religion aufzwingen. Wie ich bereits erzählte, bin ich ebenso nicht gedrängt worden. Wieso kann man denn die Menschen nicht so leben lassen, wie sie es möchten? Wieso muss man in allem, was man nicht kennt, eine derartige Bedrohung sehen?

Zischup: Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, möchten Sie noch paar Worte an andere junge Musliminnen richten?
M. B. Ich möchte, dass alle Mädchen und Frauen, egal ob mit oder ohne Kopftuch, niemals den Mut verlieren und sich nicht für andere verstellen! Vorurteile bleiben nicht aus! Man begegnet immer Menschen, die versuchen, einem Steine in den Weg zu legen. Wichtig ist, dass alles, was man macht, aus freiem Willen geschieht. Oftmals erfährt man Zurückweisung, aber man muss lernen, damit umzugehen. Das heißt, fällst du zwei Mal runter, stehst du drei Mal auf und richtest deine Krone, um danach präsenter und stärker weiterzugehen.

Merve B. (27) lebt in Frankfurt am Main und arbeitet als Sozialarbeiterin an einer Schule.
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