Körperkunst

Warum die Beliebtheit von Tattoos immer weiter wächst

Carolin Johannsen

Von Carolin Johannsen

So, 06. August 2023 um 13:00 Uhr

Junges Leben (fudder) Junges Leben

Die Zahl der jungen Menschen mit Tattoos steigt stetig an. Tattoostudios sind monatelang ausgebucht, die Nachfrage ist hoch. Doch das Risiko von Tattoos sei nicht zu unterschätzen, sagen Hautärzte.

Wir haben am 6. August eine Version dieses Textes veröffentlicht, die Fehler enthalten hat. Diese haben wir nun korrigiert.

Feine, schwarze Blätter, schwarze Blüten, schwarze Beeren zieren den Arm von Judith Kohm. Die 25-jährige Freiburgerin hat sich einen Himbeerzweig auf den Unterarm tätowieren lassen. Eine Erinnerung an ihre Großeltern, in deren Garten Himbeersträucher wachsen. In Kohms Generation sind Tattoos weit verbreitet – und werden immer beliebter.

Nur noch wenige junge Menschen haben keine Tattoos

Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Norstat ergab, dass mehr als ein Drittel der Deutschen mindestens ein Tattoo hat. In der Altersgruppe der 18- bis 45-Jährigen sind es mit 44 Prozent besonders viele. "Ich schätze, es sind sogar mehr als 65 Prozent", sagt der Freiburger Tätowierer Martin von Wangenheim. "Es ist heutzutage schwierig, jemand Jüngeres ohne Tattoos kennenzulernen." Judith Kohm gehört noch zu den wenigen, die nur ein einzelnes Tattoo haben. Doch dabei soll es nicht bleiben. Sobald sie eine neue Idee und ausreichend Geld hat, sollen weitere Motive dazukommen, erzählt die 25-Jährige.

Die Regeln für Tattoos werden immer lockerer

Zahlreiche Tattoos zieren die Arme, Hände, sogar Gesicht und Hals von Tätowierer Martin von Wangenheim. Wie viele es genau sind, kann er schon lange nicht mehr sagen. Von Wangenheim gehört das Freiburger Studio "Fuchsbau Tätowierhandwerk". Meistens seien es Frauen, die sich unter die Nadel seiner Tätowiermaschine legen. Von Wangenheim sticht gerne feine Tattoos, die insbesondere bei Frauen gefragt sind. Doch sowohl beim Alter als auch bei den Berufsgruppen seien alle Ausprägungen vertreten. "Ich habe Ärzte, Juristen, Banker und Polizisten tätowiert", zählt er auf. Während früher insbesondere in diesen Berufsgruppen Tattoos unerwünscht, häufig sogar verboten waren, werden die Regeln heutzutage immer lockerer.

Tattoos können allergische Reaktionen hervorrufen

Wenn es aber nach Daniel Schuster, Facharzt für Dermatologie und Venerologie an der Uniklinik Freiburg, gehen würde, sollten Tattoos dennoch erst nach gründlicher Überlegung gestochen werden. Schuster ist an der Uniklinik Freiburg einer der Ärzte, die für die Entfernung von Tattoos mithilfe eines Lasers zuständig sind. Die Anzahl der Menschen, die für eine Tattoo-Entfernung zu ihm kommen, sei aber recht gering – auch aufgrund der Kosten von mehreren hundert Euro pro Behandlung. Mindestens fünf Behandlungen seien notwendig, um ein Tattoo verschwinden zu lassen, erklärt Schuster.
In die Uniklinik kommen aber nicht nur diejenigen, die ihre Tattoos wieder loswerden wollen, sondern auch Menschen, die körperlich unter ihren Tattoos leiden. "Nach dem Stechen können beispielsweise allergische Reaktionen auftreten", sagt Schuster. "Das passiert dann, wenn eine tätowierte Person schon eine Sensibilisierung auf Allergene in Tattoofarben hat, oder diese neu entwickelt", erklärt Schuster. In den meisten Fällen handle es sich bei den direkten Nebenwirkungen jedoch um normale Hautreaktionen durch die Nadelverletzung, die schnell wieder abklingen. Doch es gibt auch die Fälle, in denen erst nach einigen Tagen Juckreiz entstehe und sich Hautveränderungen bilden, die auch länger anhalten können. Infektionen durch das Stechen stellen auch ein Risiko dar.

Verordnungen sollen für Sicherheit bei Tattoofarben sorgen

Zum Schutz von Tattoo-interessierten Menschen gibt es in Europa seit 2022 die sogenannte REACH-Verordnung, eine Chemikalienordnung, die bestimmte Inhaltsstoffe in Tattoo-Farben verbietet. "Durch die Verordnung will man Gesundheitsrisiken minimieren", sagt Schuster. Doch wie gut das klappt, kann schwer beurteilt werden. Laut der Kommission für Tätowiermittel, einer weltweit einzigartigen Kommission des Bundesamts für Risikobewertung, sei "eine umfassende Risikobewertung von Tätowiermitteln aufgrund fehlender spezifischer Daten zu den Wirkungen von Farbpigmenten in der Haut und ihrer möglichen Verteilung im menschlichen Körper derzeit nicht möglich", heißt es in einer Stellungnahme vom März diesen Jahres.

"Der Wunsch nach einem Tattoo überwiegt oft potenzielle Risiken" Daniel Schuster, Dermatologe Uniklinik Freiburg
"Man muss wissen, dass man etwas in die Haut bringt, das dort nicht hingehört und das ist mit einem Risiko verbunden", sagt Daniel Schuster. Dennoch würde er niemandem pauschal von Tattoos abraten. Etwa Menschen mit vielen Muttermalen und mit Hautkrebs in der Familie würde er nur von großflächigen Tattoos abraten – sie erschweren die Erkennung von Hautkrebs. Doch Schuster weiß auch: "der Wunsch nach einem Tattoo überwiegt oft potenzielle Risiken."

Wer ein Tattoo hat, lässt sich meist noch weitere stechen

Das zeigen auch die aktuellen Zahlen – die Beliebtheit von Tattoos steigt weiter. "Ich glaube nicht, dass das in den nächsten zehn Jahren nachlassen wird", vermutet von Wangenheim. Einzig die Art der Motive werde sich weiter entwickeln. Insbesondere durch Social Media würden Trends geprägt. Früher habe er mehr Sleeves, also großflächige Tattoos an den Armen, gestochen, erzählt von Wangenheim. Inzwischen seien kleinere, feinere Tattoos eher gefragt. Ein solches ist eines der Tattoos der 35-jährigen Regina Jäggle. Auf ihrer Wade trägt sie eine fein gestochene Skyline von Freiburg – mit einem Fahrrad daneben. Am Oberarm und am Unterarm trägt sie je ein weiteres Tattoo. "Wenn man einmal anfängt, kommt man nicht wieder los", sagt sie und lacht.

"Tattoos geben ein Gefühl von Individualität, man fällt dadurch auf" Martin von Wangenheim, Tätowierer und Inhaber Fuchsbau Tätowierhandwerk
Wer ein Tattoo habe, komme meistens wieder, weiß auch von Wangenheim. "Ein Tattoo macht etwas mit dir, da ist auch ein Suchtfaktor dabei", sagt er. Ein bedeutender Faktor dabei: "Tattoos geben ein Gefühl von Individualität, man fällt dadurch auf", sagt er. Durch die Kunst auf der Haut würden sich viele attraktiver und besser fühlen und positives Feedback bekommen. Auch Verbindungen zu anderen Menschen spielen häufig eine Rolle. Das kann der 21-jährige Elias Arnold bestätigen. Er hat auf seiner rechten Wade einen Frosch mit Hut und auf der linken einen Baum prangen. "Den Frosch hat meine beste Freundin ausgesucht, den Baum hat mein bester Freund gezeichnet", erzählt er. So trage er sie in Gedanken immer bei sich, obwohl sie in Sachsen wohnen. Auch die Freiburgerin Kyara Daniuk trägt eine Erinnerung an Personen unter ihrer Haut: Auf ihren Unterarm hat sie die Koordinaten der Geburtsorte ihrer Eltern stechen lassen.

Die meisten wollen Tattoos mit Bedeutung

Auch wenn laut einer Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Jahr 2021 der häufigste Grund für eine Tätowierung die Ästhetik ist, widerspricht Tätowierer von Wangenheim: "Die meisten wollen ein Tattoo mit Bedeutung", sagt er. Ein Vorteil, wenn man die Norstat-Umfrage wieder heranzieht, laut der 22 Prozent der 31- bis 45-Jährigen mindestens eines ihrer Tattoos ungeschehen machen wollen. Oft handle es sich um schlecht gestochene Tattoos oder Jugendsünden, erzählt von Wangenheim. Er übersticht sie dann mit anderen Motiven, da eine Laserbehandlung teurer als ein neues Tattoo ist. Deswegen sind ihm gut überlegte Tattoos am liebsten. Wer ohne Idee in sein Studio kommt und "irgendwas" möchte, den schickt er wieder weg. Die Verantwortung für ein Bereuen der permanenten Veränderung des Körpers möchte er nicht tragen.

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