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Frankreich

Warum führen Rabatte für Nutella-Gläser zu Krawallen?

Stefan Brändle
  • Sa, 03. Februar 2018, 11:46 Uhr
    Wirtschaft

     

Ist der Supermarkt schuld? Die Armut des Volkes? Frankreich debattiert, warum Rabatte für Nutella-Gläser zu regelrechten Krawallen vor den Re galen einer Supermarktkette führen.

Auch  Wissenschaftler diskutieren eifrig über die Folgen des Nutella-Rabatts.  | Foto: AFP
Auch Wissenschaftler diskutieren eifrig über die Folgen des Nutella-Rabatts. Foto: AFP
Eine Woche ist es schon her, dass Intermarché, der viertgrößte Einzelhändler Frankreichs (hinter Carrefour, Auchan und Leclerc), die Aktion "Ein Glas Nutella für 1,41 Euro statt für 4,50 Euro" lancierte. Schon vor der Ladenöffnung versammelten sich die Kunden vor den Toren der knapp 1500 Läden im Land. Als sich die Pforten öffneten, stürzten sich die Kunden auf die 950 Gramm schweren Gläser und rissen sich sie schreiend und zankend aus den Händen. "Hört auf, meine Großmutter wird zertreten", schreit eine Stimme in einem Handyvideo. Im Intermarché von Forbach (Lothringen) sagte eine Verkäuferin: "Die Leute haben sich darauf gestürzt, alles umgeworfen, zerbrochen. Es war reinstes Chaos."

Weshalb dann diese Szenen kollektiver Hysterie?

Zuerst sprachlos schimpften die sozialen Medien bald über Nutella, diese teuflische Mischung aus Zucker, Haselnuss und Palmöl, die offenbar das Zeug habe, das Tier im Mensch zu wecken. Am Mittwoch wurde die Intermarché-Angebotsaktion namens "Die vier günstigsten Wochen" auch auf andere Produkte wie gemahlenen Kaffee oder Trockenwindeln von Pampers ausgedehnt. Auch diese Superrabatte für die Marken lösten vielerorts unschöne Szenen aus. Womit immerhin bewiesen ist, dass Nutella nicht krawallfördernder ist als andere Produkte. Weshalb dann diese Szenen "kollektiver Hysterie", wie der Forscher Medhi Moussaïd meint? Er führt sie auf den Mechanismus des "sozialen Dilemmas" zurück: "Aus einem individuellen Gesichtspunkt betrachtet ist es am besten, vor allen anderen zu sein, um von dem 70-Prozent-Rabatt zu profitieren. Das Problem besteht darin, dass alle dieser Überlegung folgen."

Politische Debatte: Ein Kaufkraftproblem mittelloser Franzosen?

Nichts Neues unter der Sonne, meinen andere mit Verweis auf den französischen Anthropologen Gustave Le Bon, der schon im 19. Jahrhundert die Psychologie der Massen studiert hatte und zum Schluss gekommen war, das Individuum folge in der Gruppe nur noch der "Unordnung und Dummheit". Gegen diese Sicht wendet sich Jean-Yves Mano vom Konsumentenverein CLCV. Er verurteilt die Kunden nicht: "In Frankreich gibt es neun Millionen Arme. Sie sind schlicht gezwungen, dauernd nach Vergünstigungen oder Treueboni Ausschau zu halten." Damit wird die Debatte politisch. Der Grünenpolitiker Yannick Jadot meint, die Nutella-Tumulte enthüllten in erster Linie ein Kaufkraftproblem mittelloser Franzosen. Damit kritisiert er auch Präsident Emmanuel Macron, der vor allem die Reichen steuerlich entlastet hat. Sein Minister Le Maire meint zur Verteidigung: "Bei Rabatten von 50 oder 70 Prozent stürzen sich die Konsumenten immer drauf – das gilt für Nutella oder Pampers, doch man kann sich solche Szenen auch in Luxusläden vorstellen."

Nun wird geprüft, ob Rabattregeln eingehalten wurden

Im Internet tauchte die Frage auf, ob man sich nun gestandene Damen in der Avenue Montaigne, der Pariser Luxusmeile, vorstellen müsse, wie sie sich um einen Gucci-Pelz balgten. Die Konsumforscherin Nathalie Damery hält das nicht für dasselbe: Für viele einfache Leute, Rentner oder Arbeitslose aus den Außenvierteln seien schon Markennamen wie Nutella oder Pampers Luxusprodukte, die sie sich normalerweise nicht leisten könnten. "Das sind keine raffgierigen Schnäppchenjäger, das sind Leute, für die es zum Monatsende auf jeden Euro ankommt."

Um Druck von der Regierung zu nehmen, hat Minister Le Maire nun den Intermarché-Direktor zu einer Standpauke vorgeladen; auch beauftragt er das Betrugsdezernat, die Einhaltung der Rabattregeln in der – aktuellen Ausverkaufszeit – zu prüfen. Am Mittwoch präsentierte die Regierung eiligst ein seit Langem geplantes Gesetz, das die Beziehungen zwischen Bauern und dem Einzelhandel regelt. Dazu gehört auch die Frage von Dumping-Rabatten. Die Ausführungserlasse sind noch nicht bekannt; nach letztem Stand sollen sie aber nur noch 34 Prozent Rabatt zulassen.

Ressort: Wirtschaft

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 03. Februar 2018: PDF-Version herunterladen

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