Türkei/Freiburg

Was halten türkischstämmige Freiburger von Erdogans Aussagen?

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan provoziert immer wieder mit seinen Aussagen – was halten türkischstämmige Freiburger davon? Die BZ hat sich umgehört.  

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„Europa wird kulturell sein oder es wird nicht sein“ stand am Stadttheater 2008 auf Türkisch. Foto: Ingo Schneider
Der türkische Präsident spaltet – Recep Tayyip Erdogan hat mit seinen Äußerungen auch türkischstämmige Deutsche in zwei Lager geteilt. Für türkischstämmige Bundestagsabgeordnete forderte er zuletzt gar Bluttests. Was halten Freiburger mit türkischen Wurzeln von Erdogans Aussagen? Die BZ hat sich umgehört.
"Heute deklarieren sie Erdogan als Autokraten, aber wo waren sie vor zehn Jahren, als man die Türkei unterstützte?" Hüseyin Keser
Am 2. Juni hatte der Deutsche Bundestag den Tod von bis zu 1,5 Millionen Armeniern während des Ersten Weltkriegs als Völkermord eingestuft und die sogenannte Armenien-Resolution verabschiedet. Aus der Türkei waren schon vor der Abstimmung kritische Stimmen laut geworden, insbesondere Erdogan wollte eine solche Entscheidung nicht hinnehmen. Was vor der Verabschiedung der Resolution "nur" nach Kritik aussah, eskalierte in den folgenden Tagen und mündeten in die Äußerungen Erdogans vom 5. Juni, dass die Abgeordneten mit türkischem Migrationshintergrund ein "verlängerter Arm" der PKK seien und dass man anhand von Bluttests die "wahre Abstammung" der Parlamentarier kenntlich machen solle.

Hüseyin Keser gehen solche Aussagen eindeutig zu weit. Der Besitzer des "Schmuckstücks" in der Herrenstraße findet, dass "die Deutschen Erdogan viel zu viel durchgehen lassen. Der darf schimpfen und beschimpfen, wie es ihm passt – und das, ohne dass er Konsequenzen fürchten muss." Der studierte Politikwissenschaftler fühlt sich in seiner Angst von vor 15 Jahren bestätigt: Die Türkei habe einen Diktator bekommen. "Alle haben ihn unterstützt: Merkel, Özdemir und Co. Heute deklarieren sie Erdogan als Autokraten, aber wo waren sie vor zehn Jahren, als man die Türkei unterstützte?" Trotzdem ist Hüseyin Keser in der Causa Armenien-Resolution der Meinung, dass solch eine Entscheidung erst anhand von Expertenmeinungen, Untersuchungen und Auswertungen des Archivmaterials hätte gefällt werden sollen. Auch hält er eine Auslagerung beispielsweise auf UN-Ebene für sinnvoller, als dass jedes Land für sich entscheidet ob Völkermord oder nicht: "So bekommt solch eine Entscheidung Gewicht und Aussagekraft."

"Erdogan hat den Begriff der Integration nicht verstanden." Murat Yildirim
Auch Murat Yildirim, Inhaber des Restaurants "Babylon" im Zentrum Oberwiehre (ZO) und tätig bei der Caritas, kann Erdogans Aussage nicht nachvollziehen. "Erdogan hat den Begriff der Integration nicht verstanden. Wenn er Cem Özdemir als Nicht-Türken angreift, hat er vieles nicht verstanden. Özdemir ist weder typisch deutsch noch typisch türkisch, er ist vielmehr ein universeller Weltbürger; es ist Quatsch zu denken, dass Özdemir und die türkischstämmigen Abgeordneten die Türkei vertreten oder die Türken in Deutschland. Sie sind von deutschen Bürgern gewählte Vertreter des Volkes und haben somit die Pflicht, eben jenes zu vertreten – nicht mehr und nicht weniger. Alle Aussagen, die darüber hinausgehen, sind diskriminierend und werden persönlich." Außerdem habe er in Gesprächen mit Türken festgestellt, dass viele von ihnen enttäuscht seien. Enttäuscht deshalb, weil es sich um ein türkisches Staatsoberhaupt handle, das die internationalen Gepflogenheiten nicht respektiere, sondern mit Füßen trete.

Ratlosigkeit über Cem Özdemirs Haltung

Ibrahim Sarialtin hat in dieser Hinsicht andere Erfahrungen gemacht, wie er erzählt. Der Freiburger Grünen-Stadtrat berichtet von Gesprächen mit türkischen Vereinen, in denen insbesondere die Ratlosigkeit über Cem Özdemirs Haltung – der Politiker war einer der Initiatoren der Resolution – Thema war. Sätze wie "Die Grünen wähle ich nicht mehr" und "Wie kann es sein, dass ein Grüner, vor allem ein türkischer Grüner, so etwas sagt?" seien gefallen. "Ich versuche, den Menschen das zu erklären, aber sie fragen sich, warum auf einmal genau jetzt diese Resolution sein muss."

"Erdogan wird falsch verstanden."

Ibrahim Akbas, 24 Jahre
"Auch ich frage mich, ob es nicht klüger gewesen wäre, im Rahmen einer Kommission mit Experten, Historikern und allem, was dazugehört, diese Frage zu klären", so Sarialtin weiter. Verschweigen solle man das Thema nicht, das Aufarbeiten sei bei solch heiklen Themen äußerst wichtig, meint er. Jedoch verwundere es ihn, zu welchem "nicht nachvollziehbaren und unwürdigen Muskelspiel" das Ganze sich entwickelt habe: "Diese Polarisierung erschwert ein lösungsorientiertes Vorgehen auf allen Ebenen. Wir sollten nicht vergessen, dass es sich hierbei zwar um Weltpolitik handelt, eine Auseinandersetzung mit den Bürgern, den Wählern, aber immens wichtig ist", so Sarialtin.

Es gibt nicht mehr viel zu diskutieren über das Thema

Türkan Karakurt, ebenfalls im Freiburger Gemeinderat, findet deutlichere Worte. Die SPD-Vertreterin findet solche Aussagen "vollkommen inakzeptabel und herabwürdigend". Man habe doch gesehen, dass die Abgeordneten, auch die türkischstämmigen, es sich in der Vergangenheit mit diesem Thema nicht leicht gemacht hätten. In ihren Augen sind die Äußerungen ein Affront an "die Politiker in Deutschland und an den Bundestag als solchen. Meiner Meinung nach zeigt sich wieder einmal, dass die politische Kultur in der Türkei sich von den europäischen Standards immer weiter entfernt", sagt die türkischstämmige Freiburgerin. Mit ihren Kollegen und Freunden spreche sie nicht mehr viel über dieses Thema, denn: "Da gibt es nicht viel zu diskutieren, solche Äußerungen sagen doch schon alles aus."

Der 24-jährige Ibrahim Akbas empfindet die gesamte Debatte als hochproblematisch. "Erdogan wird von den Medien falsch verstanden", sagt er zu den Äußerungen. "Wenn der türkische Präsident sagt ,Das sind keine richtigen Türken‘, dann deshalb, weil in seinen Augen diese Abgeordneten die Stimme der Türken in Deutschland sind." Außerdem findet Akbas, dass auch die Medienlandschaft ihren Teil zu dieser Stimmung gegen den türkischen Staatspräsidenten beigetragen habe. "Alles geht nur noch um Erdogan, es gibt keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern ein Einschießen auf das, was er gesagt hat." Außerdem betont Akbas, dass Erdogan mit 52 Prozent gewählt worden sei: "Welcher andere Präsident bekommt noch solchen Zuspruch?" Anstatt stets alles zu kritisieren, solle man sich dem Thema auch einmal aus der türkischen Perspektive annähern und sich fragen, warum Erdogan solch einen Zuspruch genießt.

Studentin echauffiert sich über die mediale Aufbereitung

Mit dieser Meinung scheint Akbas alleine zu stehen. Doch viele scheuten sich spätestens beim Namen "Erdogan" und der Tatsache, in der Zeitung zu erscheinen, ihre Meinung kundzutun. Eine 25-jährige Studentin, die nicht namentlich genannt werden will, echauffierte sich über die Art und Weise der medialen Aufbereitung. In ihren Augen würden die Türkei und Präsident Erdogan quasi angeprangert. Sie wundert sich, "dass sich seit Wochen vieles nur um Erdogan dreht. Erdogan hier, Erdogan dort – man kann es nicht mehr ertragen". Zwar seien die Aussagen des türkischen Präsidenten unglücklich und unpassend, doch werde vieles aus dem Kontext gerissen und in Deutschland anders aufgefasst, als es beispielsweise in der Türkei der Fall sei.

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