Wie kam der Flamingo an den Titisee?
Durch den Klimawandel kommen allerhand exotische Tiere derzeit nach Deutschland. Aber einen Flamingo im Hochschwarzwald hat es vermutlich noch nicht gegeben. Bis vergangene Woche. Da stand plötzlich einer im Titisee.
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Denn tatsächlich, da stand ein Flamingo im Titisee. Ein Jungtier, einige Monate alt. Es trug noch sein graues Gefieder – das charakteristische rosafarbene Gefieder stellt sich erst bei erwachsenen Tieren ein.
Die exotischen Vögel kommen sonst nur in Gegenden vor, die deutlich wärmer sind. In Afrika etwa. Oder auch in Südeuropa. Die nächsten Kolonien finden sich in Italien, etwa der Po-Ebene, oder in Südfrankreich. Die Camargue ist berühmt für ihre weißen Pferde und für die Flamingos. Der Hochschwarzwald hingegen nicht. Wobei: Vor rund 15 Jahren habe es schon einmal eine Gruppe von Flamingos in Südbaden gegeben, erinnert sich der Ornithologe Hans-Günther Bauer vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell, an das die dortige Vogelwarte angeschlossen ist. Aber das war am Bodensee mit seinem deutlich milderen Klima und den besseren Möglichkeiten der Nahrungssuche. Flamingos essen keinen Fisch. Mit ihrem krummen Schnabel filtern sie den Untergrund in Seen nach Kleinkrebsen. Die gebe es am Titisee nicht, weshalb es keine gute Idee des Flamingos gewesen sei, dort zu landen.
Auch Biologe Kuppig erkannte die Notlage. Zusammen mit einem befreundeten Angler fing er das Tier ein, setzte es in einen großen Karton und fragte herum, wer das Tier aufnehmen könne. In der Auffangstation des Bugginger Tierheims wurde er fündig. Das Team der Freiburger Reptilien-Auffangstation Dragon Shelter sagte zu, ihn dorthin zu bringen. Die packten noch gefrorene Krebstiere und Würmer ein, die sie aus der Schildkröten- und Fischhaltung vorrätig hatten. "Zusätzlich haben wir am Samstag noch das ganze Zoofachgeschäft leergekauft", sagt Johannes Bockstaller von Dragon Shelter. Ein Flamingo brauche mindestens 200 Gramm Krebstiere pro Tag.
Seit etwas mehr als einer Woche ist das Tier nun im Bugginger Tierheim. Am Montagabend wurde es von einer Bahlinger Tierärztin untersucht. Von dieser Untersuchung hängt einiges ab. Denn viele Flamingos sind mit dem West-Nil-Virus infiziert, sind somit eine potenzielle Überträgerquelle. Sollte auch dieses Tier das Virus in sich tragen, könnte es nicht einfach wieder in die Freiheit entlassen werden.
Was bei dieser Untersuchung herauskam, ist bislang unklar. Die Bahlinger Tierärztin möchte gegenüber der Presse keine Angaben machen, verweist an die Behörden. An welche, weiß sie aber auch nicht. Das Landratsamt des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald erklärt sich für nicht zuständig, verweist auf die Gemeinde. In Buggingen ist derzeit niemand erreichbar. Das Tierheim möchte ebenfalls keine Angaben machen und verweist auf das Regierungspräsidium Freiburg. Das wiederum erklärt sich ebenfalls für nicht zuständig. Zuständig sei die Gemeinde Titisee-Neustadt, auf deren Gemarkung das Tier gefunden wurde. Dort aber verweist man bei Fragen der Auswilderung ans Regierungspräsidium. "Ich bitte da um Entschuldigung. Es passiert ja nicht so oft, dass ein Flamingo bei uns landet", heißt es im Rathaus in Neustadt.
Eine der grundlegenden Fragen, die gelöst werden müssen, ist die, ob das Tier überhaupt ein Wildvogel ist. Ornithologe Bauer wundert sich darüber, dass der Flamingo sich so problemlos hat einfangen lassen. "Mein erster Gedanke war, das kann kein Wildvogel sein, wenn er sich so leicht einfangen lässt", sagt Bauer. Die Gruppe Flamingos, die vor Jahren einmal den Bodensee besucht hatte, sei so scheu gewesen, dass man sich ihnen kaum auf hundert Meter hätte nähern können. Ein Vogel, der sich so leicht einfangen lasse,
sei entweder völlig erschöpft oder eben an menschliche Präsenz gewöhnt, meint Bauer.
Der Ornithologe Wolfgang Fiedler wiederum, ebenfalls von der Vogelwarte in Radolfzell, kann bestätigen, dass derzeit Reisezeit bei jungen Flamingos sei. "Es ist überhaupt nicht überraschend, dass Einzelvögel oder manchmal auch kleine Grüppchen im Rahmen dieser Wanderungen bis zu uns kommen – auch wenn sich das oft als nicht so gute Idee herausstellt, weil vielerorts die Nahrung für Flamingos fehlt. Insofern passt der Titisee-Flamingo genau ins Bild." Eine kleine Gruppe der Vögel hätte sich dieser Tage auch an den Klingnauer Stausee im Kanton Aarau verirrt, so Fiedler.
Gut möglich also, dass man ihn nun wieder fliegen lässt. Vermutlich würde man versuchen, ihn bei der Kolonie im Kanton Aarau auszusetzen. Doch da die Schweiz kein EU-Mitglied ist, sei es sehr aufwendig, die nötigen Papiere zu beschaffen, um den Vogel über die Grenze zu bringen, heißt es beim Regierungspräsidium. Eine andere Lösung sei, ihn an der deutschen Grenze nach Frankreich, südlich von Mulhouse auszusetzen. In dem dortigen Naturschutzgebiet Petite Camargue seien Gerüchten zufolge ebenfalls einige Jungflamingos gelandet. Die Frage ist nur, ob der Flamingo es noch vor Wintereinbruch über die Alpen schafft. Was im September noch problemlos möglich, könnte im Oktober schon schwer werden, meint Fiedler. Er plädiert dafür, den Vogel ins Auto zu packen und an die italienische Adria-Küste zu fahren.
Was bereits jetzt klar ist: Die kurze Stippvisite des exotischen Vogels hat viele Menschen auf Trab gehalten.