"Wieder nach Hause zu fahren, ist mir am Ende schwer gefallen"

Heimweh ist nicht das einzige Problem, das Jugendliche fern der Heimat bei Auslandsaufenthalten zu bewältigen haben - vier Protokolle von Lösungen.  

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Wer verzichtet schon freiwillig auf alle Bequemlichkeiten des wohl bekannten täglichen Lebens und begibt sich in eine völlig fremde unbekannte Welt? Viele Jugendliche tun das: Jahr für Jahr gehen etliche für längere Zeit ins Ausland. Jessica Vanscheidt hat für die JuZ vier Gespräche mit Jugendlichen protokolliert, die hier erzählen, welche Probleme sie vor Ort hatten - und wie sie sie gemeistert haben.

Caspar, 16 Jahre (drei Monate Adelaide, Australien):

Aller Anfang ist schwer? Nein! Von zu Hause weg zu sein war in der ersten Zeit kein Problem. Ich musste mich an so viel Neues gewöhnen, dass ich keine Zeit hatte, an Daheim zu denken. Bei mir fing das erst nach etwa zwei Wochen an. Ich hatte zwar kein richtiges Heimweh, aber es gab öfters mal Momente, in denen mir mein Zuhause fehlte. Das war vor allem, wenn ich allein war, oder nichts zu tun hatte.

Mir wurde bewusst, dass diese neue Unabhängigkeit auch bedeutet, dass man Familie und Freunde nicht mehr sehen kann. Das habe ich am meisten vermisst, aber auch meine gewohnte Umgebung: Obwohl in Australien traumhaftes Wetter war, hatte ich plötzlich Sehnsucht nach Schnee. Da habe ich gemerkt, wie dieses Gefühl meine Wahrnehmung verändert hat.

In der ersten Zeit habe ich oft mit meiner Familie telefoniert, das hat mir geholfen. Da ich mich allerdings sehr gut mit dem Sohn meiner Gastfamilie verstanden und schnell neue Freunde gefunden habe, hatte ich nie das Gefühl, es nicht mehr aushalten zu können. Ich habe dort so etwas wie eine zweite Heimat gefunden. Als ich wieder zurück war, hatte ich immer noch diese leise Gefühl von Heimweh, diesmal jedoch nach Australien.
Meret, 18 Jahre (ein Jahr Guayaquil, Ecuador):

Der eigentliche Grund war mir selbst nicht klar, aber ich habe mich von Anfang an nicht wirklich wohl in meiner Gastfamilie gefühlt. Es war eher so ein Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich fühlte mich unglaublich allein, in einem fremden Land, dessen Sprache ich damals nur wenig gesprochen habe und dessen ganzes System mir vollkommen unbekannt war. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte und war ziemlich verzweifelt, also habe ich erst mal nur geheult.

Zu meinem großen Glück war eine Freundin von mir in derselben Stadt. Sie war für mich in dieser Zeit die größte Stütze. Das Beste war einfach mal mit jemandem Deutsch zu reden: endlich konnte ich wirklich sagen, was ich wollte, was mir auf Spanisch natürlich noch nicht gelingen konnte. Zum Glück sind die Menschen in Ecuador unglaublich nett, was mir die Umstellung auch erleichtert hat. Ich habe dort sehr schnell viele Bekanntschaften gemacht, die sich im Laufe der Zeit zu Freundschaften entwickelten. Da die Leute auch neugierig waren, etwas über mich und meine Kultur zu erfahren, war es einfach Anschluss zu finden. Alle waren sehr nett zu mir und ich war sofort von ihrer Lebensart und Aufgeschlossenheit begeistert. Nach drei Monaten habe ich meine Gastfamilie gewechselt. Eine gute Entscheidung: Mein neues Zuhause hat mir sehr viel besser gefallen - alle haben sich sehr darum bemüht, dass es mir gefällt.

Anke, 18 Jahre, (drei Monate, Quebin, Frankreich):

Eigentlich kann bei mir von Heimweh keine Rede sein. Während meines Aufenthalts war ich unter der Woche in einem Internat und nur am Wochenende bei Gastfamilien. Nur einmal gab es ein Ereignis, mit dem ich nicht klar gekommen bin: ein Wochenende in einer Gastfamilie war katastrophal. Ich kam in eine Familie, bei der ich mich überhaupt nicht wohl fühlen konnte. Die Mutter begann schon morgens zu trinken, überall wimmelte es von kleinen Kindern und niemand kümmerte sich um mich. Im Gegenteil: die Familie war unfreundlich zu mir und gab mir das Gefühl zu stören. An diesem Wochenende habe ich mir wirklich gewünscht, ich wäre niemals ins Ausland gegangen. Das Einzige, was ich getan habe, war mich daran zu klammern, dass ich nur zwei Tage durchhalten muss. Das klappte, weil ich im Internat viele gute Freunde gefunden hatte und wusste, dass ich mich im Notfall an sie wenden könnte. Wenn ich gedacht hätte "ich muss hier unbedingt weg, das halt ich nicht mehr aus", hätte wohl ein Anruf genügt. Das zu wissen hat mir Kraft gegeben.

Heimweh hatte ich nie, weil es immer jemanden gab, mit dem ich reden konnte. Ich war die einzige Ausländerin an der Schule und alle wollten mich kennen lernen. Das war bestimmt ein Vorteil. Man muss aber von Anfang an offen und freundlich sein, wenn die Leute auf einen zugehen. Für mich war es eine sehr schöne Erfahrung und das besagte Wochenende ist in der Relation dazu eigentlich nicht nennenswert.

Marcus 18 Jahre (sechs Monate Ottawa, Kanada):

Back to basics, das war so das Erste, was mir zu meiner neuen Behausung einfiel: Ich kam mitten in der Nacht dort an und musste feststellen, dass es bei minus 15 Grad Außentemperatur die Leitungen für Heizung und Wasser eingefroren waren. Erst am nächsten Tag wurde mir das Ausmaß dieser Situation bewusst: Bei solchen Temperaturen aus dem Bett zu klettern, ist wirklich nicht sehr angenehm. Ich wollte nur noch nach Hause. Die Eingewöhnung war insgesamt sehr schwierig: meilenweit weg von zu Hause und eine andere Sprache zu sprechen. Schon am nächsten Tag musste ich in die Schule gehen. Das war allerdings mein Glück: Ich stieß dort auf viele sehr nette Leute. Leider lag das Haus meiner Gasteltern weit außerhalb, deshalb konnte ich meine neuen Freunde ansonsten nicht sehen. Ich nahm mir vor, einen Monat durchzuhalten und erst dann wieder nach Hause zu fahren. Das haben mir auch die Freunde zu Hause geraten, mit denen ich telefoniert habe - in dieser Zeit war das sehr wichtig für mich. Meine Familie habe ich erstaunlich wenig vermisst, doch die Trennung von meinen Freunden war hart.

Mit der Zeit wurde die Situation etwas erträglicher, ich hatte mich wenigstens in die fremde Sprache eingelebt. Dann lernte ich einen Jungen aus einen benachbarten Dorf kennen, der mir beibrachte, mit einem Schneemobil zu fahren, also konnte ich ihn besuchen. Danach war ich so gut wie nicht mehr zu Hause. Meine Gasteltern waren zwar nett, aber schon älter und auch sehr selten daheim. Ich habe sie gegen Ende nur noch zum Abendessen getroffen. Nach diesen sechs Monaten wieder nach Hause zu fahren ist mir trotz des harten Anfangs am Ende sehr schwer gefallen.

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