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"Wir müssen die Kinder beruhigen"

Sophia Hesser
  • Do, 11. Juni 2015
    Kreis Breisgau-Hochschwarzwald

BZ-INTERVIEW mit Thomas Oertel, Juryvorsitzender beim Bundeswettbewerb "Jugend musiziert", über Anforderungen und Erfolge.

Thomas Oertel   | Foto: Privat
Thomas Oertel Foto: Privat

FREIBURG/HAMBURG. Schwitzende Hände, zitternde Knie und anspruchsvolle Musikstücke: In der letzten Maiwoche fand in Hamburg der Bundeswettbewerb von "Jugend musiziert" statt. Das Kenzinger Geschwisterpaar Catherina (Violine) und Christopher (Klavier) Czekay erreichte bei diesem Finale einen dritten Platz. Der Freiburger Thomas Oertel koordiniert den Wettbewerb in der Region und im Land Baden-Württemberg und war als Jurychef in Hamburg dabei. BZ-Mitarbeiterin Sophia Hesser hat mir ihm gesprochen.

BZ: Beim Bundeswettbewerb Jugend musiziert in Hamburg haben 2500 Musiker teilgenommen. Sie saßen in der Jury – wie vielen Beiträgen durften Sie lauschen?
Oertel: Ich war Juryvorsitzender in der Kategorie Horn. In jeder Jury sitzt in der Regel auch ein fachfremder Juryvorsitzender. Ich bin Geiger und habe somit den Blick über den Tellerrand hinaus. Neben den Fachfremden sitzen Professoren, Musiklehrer, Orchester- und Solomusiker aus dem jeweiligen Instrumentenfach in der Jury. In diesem Jahr durfte ich 68 Hornisten zuhören. Jeder spielt 15 bis 20 Minuten. Haben alle Teilnehmer einer Altersgruppe vorgespielt, zieht sich die Jury zurück und vergibt Punkte.

BZ: Ist das nicht anstrengend?
Oertel: Doch sehr. Allerdings war es im Vergleich zum letzten Jahr für mich wesentlich entspannter. 2014 war ich Juryvorsitzender in der Kategorie Klavier. 130 Jugendliche traten an. Das war unglaublich.

BZ: Wie bleiben Sie da konzentriert?
Oertel: Zunächst ist die Erfahrung wichtig. Man muss gleich einschätzen können, in welchem Bereich der Jugendliche spielt – ist das jetzt Platz Eins würdig, oder vielleicht gar nicht preisverdächtig. Der Gesamteindruck des Spielens ist entscheidend. Man darf dann nicht Spieler Nummer 102 mit Spielerin Nummer 59 vergleichen – zumal man das auch gar nicht kann. Dann muss man offen sein und immer unvoreingenommen jedem einzelnen Musiker zuhören. Am Abend ist man dann völlig erschöpft. Nach solch einer Reizflut muss ich persönlich immer alleine sein und alles verarbeiten. Im Nachgang des Wettbewerbs ist solch ein Wettbewerb unglaublich bereichernd. Schließlich sehe ich mich in der Verpflichtung durchzuhalten, die Jugendlichen haben monatelang geübt und sich auf diesen Wettbewerb vorbereitet, da muss man selbst auch motiviert sein.

BZ: Auf was achten Sie beim Musizieren der Jugendlichen genau?
Oertel: Wir achten zum Beispiel auf Tempo, Rhythmus und technisches Vermögen. Außerdem sind die Intonation, also die Reinheit der Töne, die Stilsicherheit, etwa Mozartwerke nicht wie Bachwerke zu spielen, und die Musikalität wichtig. Musikalität bedeutet, dass die Jugendlichen die Musik verstehen und rüberbringen können. Wir geben den Jugendlichen auch Tipps bezüglich ihres Spielens, was mit der Bewertung nichts zu tun hat – eine Botschaft für zu Hause.

BZ: Die Teilnehmer haben viel geübt und sind aufgeregt, wenn der Moment des Auftritts da ist. Hat ein Juryvorsitzender auch pädagogische Aufgaben?
Oertel: Natürlich. Wir müssen die Kinder beruhigen. Es ist unsere Aufgabe, sie freundlich zu empfangen und ein bisschen Small Talk zu betreiben. Doch es bleibt nun mal ein Wettbewerb und dazu noch ein öffentlicher, das bedeutet, dass beim Bundeswettbewerb bis zu 200 Zuhörer im Publikum sitzen.

BZ: Was ist der Ansporn für die Jugendlichen, überhaupt am Wettbewerb teilzunehmen?
Oertel: Es ist eine Art Kräftemessen. Die Teilnehmer können ihre eigenen Möglichkeiten ausprobieren. Die Jugendlichen haben ein Ziel, auf das sie hinarbeiten. Jugend musiziert hat außerdem einen hohen Stellenwert in Deutschland. Nicht aus allen Teilnehmern werden einmal professionelle Musiker, aber fast alle Berufsmusiker haben einmal an diesem Wettbewerb teilgenommen.

BZ: Was lernen die Jugendlichen denn durch den Wettbewerb – und was die Juroren?
Oertel: Zielstrebigkeit, der Umgang mit Lob, aber auch mit Kritik, das Auftreten vor anderen und das Hinhören sind soziale Komponenten, die neben dem Musikalischen entwickelt werden bei solch einem Wettbewerb. Wenn der Jugendliche einen Fehler macht, muss er damit umgehen. Auch für uns Juroren ist es eine Erfahrung, bei Jugend musiziert dabei zu sein. Es ist eine Ehre, als Juror einberufen zu werden. Deshalb sitzen auch viele hochkarätige Musiker in der Jury, die Zusammensetzung wechselt jährlich. Ich lerne immer wieder dazu und kann das an meine Schüler weitergeben.

BZ: Muss man als Juror nicht aufpassen, parteiisch zu sein?
Oertel: Wir kennen in der Regel die Herkunft der Teilnehmer nicht, außerdem sind alle Jurymitglieder gleichberechtigt und geben zunächst verdeckt ihre Punkte ab. Außerdem wäre das in hohem Maße unseriös, wenn man nicht völlig neutral bewerten würde. Das wäre nicht gut für die Förderung der Kinder, die ja unser Hauptanliegen ist. Letztlich bin ich aber unglaublich stolz, wenn die Teilnehmer aus unserer Region erfolgreich waren. Auch wenn das natürlich nicht mein Verdienst, sondern der der Teilnehmer und deren Lehrer ist.

Thomas Oertel (60) lebt in Freiburg. Er unterrichtet an der Musikschule Freiburg Violine und ist Verantwortlicher der Regional- und Landeswettbewerbe von Jugend musiziert in Baden-Württemberg.

Ressort: Kreis Breisgau-Hochschwarzwald

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 11. Juni 2015: PDF-Version herunterladen

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