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Industrie

Von dem Geld, das wird nicht haben, kaufen wir unnötig

  • Maximilian Vogelmann

  • Sa, 07. November 2015
    Wirtschaft

Wie uns die Industrie das madig macht, was wir besitzen – damit wir scharf werden auf das minimal veränderte Nachfolgemodell.

So stellt sich die Industrie den Konsumenten vor.    | Foto: Trueffelpix  (Fotolia.com)
So stellt sich die Industrie den Konsumenten vor. Foto: Trueffelpix  (Fotolia.com)

"Von dem Geld, das wir nicht haben, kaufen wir Dinge, die wir nicht brauchen, um Leuten zu imponieren, die wir nicht mögen" – dieses Zitat aus dem Film Fight Club passt zu dem Phänomen, dass viele Menschen Altes, obwohl es noch tadellos funktioniert, durch Neues ersetzen. Die Tricks der Hersteller und Händler – und wie sich Verbraucher dagegen wehren können.

Wenn im Stabmixer ein Plastikzahnrad in eines aus Stahl greift, kann das nicht lange gut gehen. Das harte Material verschleißt das weiche, das Gerät geht kaputt, ein neues muss her. Dass Hersteller mit Absicht ihre Produkte so bauen, dass sie sich kurz nach Ablauf der Garantiezeit selbst zerstören – dies ist die These der geplanten Obsoleszenz. Verdachtsmomente dafür gibt es einige; aber nachweisen konnte man das noch keinem Hersteller.

Klar ist aber: Es gibt eine psychische Obsoleszenz. Sie ist so alt wie die Werbung, der Handel und die Mode. Hierbei wird nicht die Funktion eines Gerätes zerstört, sondern sein Image. Hersteller und Händler machen Verbrauchern das madig, was sie besitzen – mit kleinen Veränderungen am Produkt, modifiziertem Material, anderer Farbe, veränderter Form, neuem Namen oder anderer Verpackung.

"Das Neue ist in den seltensten Fällen wirklich neu", sagt der Kulturwissenschaftler Markus Krajewski, Professor an der Universität Basel. "Da wird die Hülle eines Produkts poliert, aber sein Inhalt bleibt weitestgehend gleich." Die Hersteller arbeiteten mit ganz einfachen massenpsychologischen Mitteln, sagt Krajewski und erklärt: "Bei uns hat sich der Zyklus so eingespielt, dass einmal im Jahr das neu aufpolierte Produkt auf den Markt kommt, ob Auto, Smartphone oder Laptop. Eine neue Heckflosse – schon fühlt sich der Wagen, den man besitzt und noch bestens funktioniert, veraltet an."

Es geht bei der psychischen Obsoleszenz um gut geplante Produktserien – und darum, Verbrauchern das Gefühl zu geben, ihre Sachen seien alt und hässlich. Betriebswirt Stefan Schridde erklärt das Phänomen so: "Die Hersteller wollen uns dazu durch niederschwellige Ansprache von Bedürfnissen, Hoffnungen, Instinkten und Trieben dazu bewegen, so schnell wie möglich etwas neu zu kaufen, auch wenn das alte Produkt noch funktioniert." Schridde rief die Kampagne "Murks? Nein Danke!" ins Leben.

Krajewski sagt: Ein Trick der Hersteller sei es, bei einem neuen Produkt nicht mit der besten aktuell verfügbaren Technik zu arbeiten, sondern sich zunächst Luft nach oben zu lassen. "Dann hat man nächstes Jahr gleich etwas Neues zu verkaufen, das die alten Produkte hinfällig scheinen lässt – zum Beispiel die bessere Kamera-Auflösung eines Smartphones."

Dass dies klappt, zeigt eine Studie von Umweltbundesamt und Freiburger Öko-Institut. Demnach wurden 2012 mehr als 60 Prozent der noch funktionierenden Flachbildfernseher deshalb ersetzt, weil ein neues Gerät vermeintlich besser war. Nur ein Viertel der Befragten kaufte einen neuen Fernseher, weil der alte kaputt war. Rainer Grießhammer vom Öko-Institut sagt dazu: "Heute werden mehr Elektro- und Elektronikgeräte ersetzt, obwohl sie noch gut funktionieren." Häufig seien Technologiesprünge ein Auslöser dafür. Der Studie zufolge tauschten Verbraucher fast ein Drittel ihrer Waschmaschinen, Wäschetrockner und Kühlschränke aus, obwohl sie noch funktionierten. "Man sagt ja oft, die Kunden seien schuld, die wollten das ja so, jedes Jahr ein neues Handy, einen neuen Fernseher, ein neues Auto", sagt Schridde. Doch das stimme nicht. "Es sind die Hersteller und Händler, die ganz gezielt Knöpfe drücken, auch über neurobiologisches Marketing."

Im Fokus der Verkäufer: die Amygdala, das Lustzentrum des Hirns. "Die Amygdala ist so eingestellt, dass neue Dinge für uns interessant sind, und wir mit Glückshormonen belohnt werden, wenn wir Neues erleben", so Schridde. Wenn wir etwas kaufen, wird Dopamin ausgeschüttet, ein Neurotransmitter, der als Glückshormon bezeichnet wird. Also, sagt Schridde, gingen wir auf Beutezug und stellten unser Zuhause mit Trophäen voll, die wir nicht bräuchten, aber wollten.

Hersteller und Händler nutzten gezielt das psychologische Grundgerüst des Menschen aus, sagt Schridde. Alle Sinne würden angesprochen, damit der Kaufanreiz direkt im Unterbewusstsein lande: Restaurants blasen Küchendüfte auf die Straße, der Sound der Autotür werde optimiert, damit sie schön satt schließt, Erdnussflips so klein gemacht, dass man immer wieder zugreifen will. Schridde: "Man kriegt das bewusst gar nicht mit." Auch soziale Grundbedürfnisse würden gezielt genutzt, damit Menschen etwas Neues kaufen, obwohl sie es nicht brauchen. Denn die meisten wollen dazugehören und Anerkennung bekommen.

"Psychische Obsoleszenz funktioniert am besten bei Statussymbolen wie Autos oder Smartphones – bei Bleistiften eher nicht", sagt Krajewski. "Die psychische Obsoleszenz ist nur eine Facette der geplanten Obsoleszenz", meint Schridde. Beides hänge mit dem Wirtschaftssystem zusammen: "Die Wirtschaft arbeitet nicht auf Glück hin, sondern auf Mangel. Den braucht sie, sonst könnte sie uns keine Produkte verkaufen." Viele Menschen seien unglücklich und dächten, sie könnten das überwinden, indem sie Dinge kaufen, sagt Schridde. "Aber man weiß aus der Forschung: Mit Geld kann man kein Glück kaufen. Das kann man nur mit Zeit. Und die fehlt uns grundsätzlich."

Wie können Verbraucher sich gegen diese Manipulation wehren? Krajewski empfiehlt: "Man sollte sich fragen: Warum will ich das haben? Und wenn möglich eine Nacht drüber schlafen." Schridde rät ebenfalls zur kritischen Selbstbefragung: "Brauche ich das wirklich?"

Ressort: Wirtschaft

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 07. November 2015: PDF-Version herunterladen

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